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In der Jungsteinzeit waren auch Frauen auf Grosswildjagd

Steinzeit-Jägerin auf der Altiplano-Hochebene, Peru, vor rund 9000 Jahren
So könnte die junge Frau Jagd auf Kleinkamele – wildlebende Vorfahren der Alpakas – gemacht haben. Bild: Matthew Verdolivo, UC Davis

In der Jungsteinzeit waren auch Frauen auf Grosswildjagd

15.11.2020, 19:22
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Die Rollenverteilung in der Frühgeschichte der Menschheit – als unsere Vorfahren noch als Jäger und Sammler lebten – scheint klar zu sein: Die Männer jagten, die Frauen sammelten. Doch dieses Bild einer quasi natürlichen Aufgabenverteilung, in der die Männer auf die Jagd gingen und die Frauen Beeren, Früchte und Pilze sammelten und sich um den Nachwuchs kümmerten, erhält durch eine neue Studie Risse.

2013 entdeckte ein Bauer auf dem Altiplano – einer rund 3600 Meter über Meer gelegenen Hochebene in den Anden – fünf Grabhügel aus der Jungsteinzeit. Die Ausgrabungen im peruanischen Wilamaya Patjxa förderten Jagdwaffen, Pfeilspitzen und Werkzeuge zum Zerlegen von Grosswild zutage. Da Grabbeigaben meistens von den bestatteten Personen auch während ihres Lebens benutzt wurden, konnte man davon ausgehen, dass hier Jäger begraben waren.

In der Grabstätte Wilamaya Patjxa gefundene Artefakte: Projektilspitzen (1-7), unbearbeitete Steinabschläge (8-10), bearbeitete Steinabschläge (11-13), eine Steinklinge (14), Miniaturschaber (15, 16), ...
In der Grabstätte Wilamaya Patjxa gefundene Artefakte: Projektilspitzen (1-7), unbearbeitete Steinabschläge (8-10), bearbeitete Steinabschläge (11-13), eine Steinklinge (14), Miniaturschaber (15, 16), Schaber/Hackmesser (17-19), polierte Steine (17, 20, 21), Steinklumpen (22-24).Bild: Randy Haas/UC Davis

2018 stiessen Anthropologen um Randy Haas von der University of California bei den Ausgrabungen auf die Überreste von zwei vor rund 9000 Jahren dort bestatteten Menschen. Zur Überraschung der Forscher – sie waren nach eigenem Bekunden von der herkömmlichen Rollenverteilung ausgegangen – zeigte sich, dass eine der beiden Personen weiblich war; sie war zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 17 und 19 Jahren alt. Zu Lebzeiten hatte sie unter anderem Jagd auf Kleinkamele gemacht, wildlebende Vorfahren der Alpakas. Der Tote im zweiten Grab war ein 25 bis 30 Jahre alter Mann.

Den Wissenschaftlern stellte sich die Frage, ob es sich bei dieser frühen Jägerin um eine seltene Ausnahme handelte, oder ob Frauen in der Steinzeit generell eine wichtigere Rolle bei der Jagd gespielt hatten als bisher angenommen. Sie untersuchten daher bisherige Grabfunde in Nord- und Südamerika aus dem Zeitraum des späten Pleistozäns, das vor rund 11'700 Jahren endete, und des frühen Holozäns, dem gegenwärtigen Zeitabschnitt der Erdgeschichte. Von 429 bestatteten Individuen an 107 Standorten liessen sich 27 Personen anhand ihrer Grabbeigaben klar als Jäger identifizieren. Elf von ihnen waren weiblich.

Geography of Wilamaya Patjxa and early burials of the Americas. Female and male burials with (+) and without (−) big-game hunting tools are indicated. WGS84, World Geodetic System 1984.
https://advanc ...
Fundstellen in Nord- und Südamerika. Karte: ScienceAdvances

Die Stichproben liessen den Schluss zu, dass Frauen in der Frühzeit in bedeutendem Mass an der Jagd beteiligt waren, schreiben die Forscher im Fachjournal «Science Advances». 30 bis 50 Prozent der Jäger waren laut der Studie weiblich – ein krasser Gegensatz zu späteren Gesellschaften bis zur Neuzeit, in denen die Jagd völlig überwiegend eine Männerdomäne sei. «Unsere archäologische Entdeckung sowie die Analyse von früheren Bestattungspraktiken kippen die lange angenommene Hypothese vom Mann als alleinigem Jäger», erklärt Haas. Und der Anthropologe stellt weiter fest:

«Die Arbeitsverteilung in jüngeren Jäger-und-Sammler-Gesellschaften ist stark geschlechtsspezifisch. Das könnte manche zu der Annahme verleiten, dass Ungleichbehandlung oder gar Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern irgendwie ‹natürlich› seien. Tatsächlich sieht es aber so aus, dass die Zuteilung der Aufgaben in unserer fernen Vergangenheit grundlegend anders und wahrscheinlich auch gerechter war.»
Ausgrabungen auf dem Altiplano in Peru.
Ausgrabung in Wilamaya Patjxa auf dem peruanischen Altiplano. Bild: Randy Haas

Da der Anteil der Frauen an der Jagd in dieser steinzeitlichen Gesellschaft deutlich höher lag als in den meisten Jäger-und-Sammler-Gesellschaften der Gegenwart, möchte Haas nun die Frage klären, wie es dazu gekommen ist, dass sich diese Arbeitsteilung in den vergangenen Jahrtausenden verändert hat und in der Moderne zu einer hauptsächlich männlichen Tätigkeit geworden ist.

(dhr)

So stimmt diese junge Jägerin am 27. September ab

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60 Kommentare
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Scenario
15.11.2020 20:49registriert Mai 2015
"Tatsächlich sieht es aber so aus, dass die Zuteilung der Aufgaben in unserer fernen Vergangenheit grundlegend anders und wahrscheinlich auch gerechter war.»"

Ich glaube zu dieser Zeit hat sich niemand darüber Gedanken gemacht, ob der "Job" erfüllend oder gerecht war. Es ging um das nackte Überleben. Entweder hatte man etwas zum beissen auf dem Tisch, oder man hat das zeitliche gesegnet.
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Muecke
15.11.2020 20:54registriert Juli 2018
Macht Sinn. Die Mitglieder der Sippe dort einsetzen wo sie gut sind. Man hatte damals wohl nicht den Luxus fähige Leute aufgrund von "Traditionen " oder sonstwie geprägten Rollenbilder übergehen zu können.
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weissauchnicht
15.11.2020 21:53registriert März 2019
Oh, und gemäss Illustration waren die jungen Jägerinnen auch schon recht modisch gekleidet..😅
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