Ohne weitere Begründung schauen wir uns hier einfach mal die letzten paar Bücher von Stephen King an. Da er pro Jahr ja im Schnitt zwei Romane schreibt, können wir zum neusten, zu Finders Keepers noch nichts sagen, die dafür nötigen Ferien haben uns gefehlt. Selbstverständlich sind die Kritiken fantastisch. Grober Schrott allerdings ist sein anderer Roman von 2015, Revival. Nicht kaufen, bodenlos langweilig. Trotz fantastischer Kritiken.
Aber: Wir raten dringend zum Automörder Mr. Mercedes (keine Angst, es werden keine Autos ermordet) und zu Doctor Sleep, der recht genial geratenen Fortsetzung vom King-Klassiker The Shining (muss man eh einpacken, besonders bei Billigurlaub, kein Hotel der Welt kann so traumatisch sein wie das im Buch). Nicht ferientauglich: The Dome, so schwer, dass einem das Buch im Liegestuhl dauernd aufs Gesicht fällt, dazu viel zu viel Personal. Besser die Serie schauen.
Eine absolute Herzensangelegenheit aus einem schönen Urlaub in Italien ist Joyland, eine wunderschöne kleine Jugendgeschichte, stiller, literarischer als Kings sonst so lauter Horror. Ach ja, und hier noch Kings persönlicher Lieblingsroman – ein Liebesroman, herzzerreissend, ein Juwel der Dunkelheit: Lisey's Story, zu deutsch ganz einfach Love. Für Insider: Noch besser als das brillante Bag of Bones. Und wenn wir schon so weit zurückgehen, nämlich nach 2007, können wir auch noch gleich den King von 2006 empfehlen: Cell, (zu deutsch Puls) der Thriller, der schlüssig beweist, dass Handys uns zu Zombies machen.
The Love Affairs of Nathaniel P. von Adelle Waldman (liest am 14. September im Zürcher Kaufleuten) ist soeben als Das Liebesleben des Nathaniel P. auf deutsch erschienen. Ein grandioser, lustiger Roman über das Dating-Leben eines ekelhaften bzw. ganz normalen jungen Mannes in Brooklyn.
Die Autorin von Gone Girl, dem bisher vielleicht besten Eheroman des 21. Jahrhunderts, hat immer noch erst drei Bücher geschrieben. Eine Frechheit. Es gibt Menschen, wir gehören dazu, die sind überzeugt, dass ihr wahres Meisterwerk des häuslichen Psychothrillers allerdings Sharp Objects ist. Wir sagen nur: sehr unheimliche Kinder. Und: Zähne. Auch Dark Places – Horror auf dem abgelegenen Bauernhof, kann man gut lesen, allerdings erst bei ganz schlimmen Entzugserscheinungen.
Fight Club mit Brad Pitt und Edward Norton kennen alle. Und viele haben auch schon mal gehört, dass die Buchvorlage von Chuck Palahniuk stammt. Leider hat er in den letzten Jahren ein bisschen nachgelassen, und wir trauen uns nicht wirklich, sein Sequel Fight Club 2 zu lesen.
Aber: Abartig pervers genial und auch noch emotional sehr ergreifend sind Invisible Monsters (entstelltes Supermodel sinnt auf Rache); Survivor (Reinigungsexperte überlebt Sekte und Flugzeugentführung); Lullaby (ein Kinderschlaflied tötet); Choke (Simulant simuliert Ersticken in Restaurants); Diary (eine Ex-Künstlerin verstümmtelt sich) und Snuff (Pornostar plant Gang-Bang mit 600 Männern). Zu deutsch: Fratze, Flug 2039, Der Simulant, Lullaby, Das letzte Protokoll, Snuff.
Hmmmm ... Schwierig. Im Gegensatz zur angelsächsischen Literatur ist die deutschsprachige ja nicht darauf aus, einladend zu sein, sondern verlangt, dass man sich auf sie einlässt. Aber ab und zu kommt was unendlich Grossartiges, Packendes, stilistisch Tolles. Allen, die jetzt sagen Sibylle Berg!, Sven Regener!, Daniel Glattauer!, Wolf Haas!, antworten wir, klar, logisch, sichere Werte, unbedingt.
Aber es gäbe auch noch Indigo von Clemens J. Setz (unheimliche Kinder mit blauer Haut); Johann Holtrop von Rainald Goetz (Aufstieg und Fall des fiesesten Spitzenmanagers der Literatur); mehrere wunderbar kranke, krasse Romane von Karen Duve, bevor sie zu einer veganen Missionarin wurde, etwa Dies ist kein Liebeslied (Rant einer dicken Frau), Taxi (Rant einer Taxifahrerin) und Regenroman (Paar kämpft mit kaputtem Haus).
Uuuund: natürlich alle drei Romane der Wienerin
Doris Knecht . Also Gruber geht (ein Porschefahrer wird vom Leben geknickt), Besser (eine Tusse wird vom Leben geknickt), Wald (vom Leben geknickte Designerin wird Selbstversorgerin). So konsequent böse, wie das nur die Wiener können. Und wo wir schon bei «vom Leben geknickt» sind: Zähneknirschend empfehlen wir auch noch den deutschen Lesehit 2015, nämlich Die Glücklichen von Kristine Bilkau. Sprachlich und so ein grässlich schlechtes Buch, aber das putzige Protagonisten-Gentrifikations-Pärchen ist derart doof, dass man ganz sadistisch jedes Unglück geniesst, das ihm zuteil wird (und es ist viel Unglück).Meg Wolitzer (liest am 17. September im Zürcher Kaufleuten) wird seit 2015 auch für den deutschsprachigen Markt entdeckt, soeben ist ihr Roman The Interestings als Die Interessanten übersetzt worden. Ein Familienepos, ein Adoleszenzepos, es geschieht nicht rasend viel, aber exakt so viel, dass man gerne lang in ihrem Buch verweilt. Amazon empfiehlt Meg Wolitzer Lesern, die gerne Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides lesen – und hat damit recht. Nicht ganz so virtuos wie die beiden Meister, aber eine beglückende Leseerfahrung. Und: Sie hat bis jetzt schon zehn Romane geschrieben. Da kann man abtauchen.
Fred Vargas, die französische Historikerin, Mittelalterarchäologin und Archäozoologin schreibt wahnsinnig fantasievolle und skurrile Krimis. Die ersten allerdings sind noch nicht ganz so ausgereift, da ist auch die Sprache noch etwas holprig, aber Fliehe weit und schnell (Die Pest in Paris! Seitenverkehrte Vieren an den Türen und schwarze Leichen auf den Strassen!), Der vierzehnte Stein (das allerbeste Buch von Vargas, ein olympischer Dreizack als Tatwaffe, eine verkabelte Katze als Heldin, der Kommissar als Tatverdächtiger), Der verbotene Ort (auf dem Friedhof Highgate in London stehen siebzehn fein säuberlich aufgereihte Schuhe, in denen herrenlos gewordene Füsse stecken) und Die Nacht des Zorns (Das wütende und vor allem tote Heer von Seigneur Hellequin zieht durch das nördliche Europa).
Seid gewarnt, Frauen. Ihr werdet euch auf der Stelle in Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg verlieben. Vielleicht weil dieser langsame, ewig spazierende Wolkenschaufler die Erfindung einer Frau ist.
Dezsö Kosztolanyi. Etwas Besseres gibt es glaub ich (Anna) echt nicht in Ungarn. Ein Held seiner Zeit – Die Bekenntnisse des Kornel Esti heisst das Buch, in dem der Titelheld («ein Bohemien und Bürgerschreck, ein Mephisto der Moderne») sein elegantes Budapest verlässt und auf Reisen geht. In Deutschland wundert er sich über die Senf-Manie und die runde, restlos vollendete Logik, die das Denken seiner Bewohner auszeichnet. Da gibt es Schilder, fein an jeder Ecke aufgestellt. «Zum Meer». Verirren ist unmöglich. Und steht man dann am Meer, sieht man das letzte Schild. «Am Meer».
Kosztolanyis Roman über den römischen Kaiser Nero ist ebenso ein Schmuckstück. Ein Portrait eines gescheiterten Künsters, der mit seinen hölzernen Versen seinem Lehrer Seneca und eigentlich allen Ohren des alten Roms heillos auf die Nerven geht. Mit ungewöhnlicher Kraft will dieser Caesar ein Dichter sein, mit so viel Kasteiung, dass er manchmal erhaben ist, meistens aber lächerlich.
Ein lustiger Terror aus der italienisch-amerikanischen Ecke: Warte bis zum Frühling, Bandini von John Fante, übersetzt vom Schweizer Alex Capus. Ein Familienroman für eigenwillige Väter und katholische Mütter und alle dazwischen. Ein Buch wie ein Abend an einem erloschenen Kamin. Irgendwie wie die Simpsons. Nur drastischer.
Nachtschwarz und aus Polen: Dreckskerl von Wojciech Kuczok. Ein gescheiterter Künstlervater tobt seinen kolossalen Frust über sein Leben und die Enge der kommunistischen Welt an seinem Sohn aus. Dem schwulen Dreckskerl. Die Erzählung von Peitschenhieben, vergifteten Seelen und zuletzt von Rache.