Die Darmflora setzt sich aus geschätzt zehn Billionen Bakterien und 400 Bakterienarten zusammen. Die verschiedenen im Darm angesiedelten Bakterienstämme übernehmen wichtige Aufgaben. Sie helfen nicht nur bei der Verdauung von Nahrung und Aufnahme von Nährstoffen. Sie bilden auch eine natürliche Abwehr gegen krank machende Keime – und beeinflussen unser Immunsystem im Allgemeinen. Es mehren sich Hinweise, dass der Darm ein bedeutender Mitspieler des Immunsystems ist.
Das menschliche Immunsystem ist sehr komplex. Die körpereigene Abwehr in Form von Hautbarriere, Schleimhäuten, Magensäure, Urin und Speichel bildet die ersten Barrieren, welche krank machende Erreger überwinden müssen. Gelangen solche Erreger in den Körper, werden bestimmte Signalstoffe und Zelltypen im Blut und im Lymphsystem aktiv, darunter die B- und T-Lymphozyten, die zur Gruppe der weissen Blutkörperchen gehören. Diese regen die Bildung von Antikörpern sowie komplexen Immunprozessen an – und der Kampf gegen die Eindringlinge beginnt.
«Neuere Forschungen haben gezeigt, dass auch im Darm Lymphzellennester angesiedelt sind. Der Darm hat damit ein eigenes Immunsystem, das sogenannte darmassoziierte lymphatische Gewebe. Dieses spielt eine wichtige Rolle bei der Abwehr von schädlichen Bakterien, Viren und Schadstoffen», sagt Dr. Birgit Terjung, Ärztliche Direktorin der GFO Kliniken Bonn und Vorstandsmitglied der Gastro-Liga e.V. Unter anderem ist der Darm durch die Entdeckung der im Darm befindlichen Lymphzellen als Mitspieler der Immunabwehr in den letzten Jahren stark in den Fokus der Wissenschaft gerückt.
Schon länger bekannt ist, dass Kinder, die auf natürlichem Wege auf die Welt kommen und durch den Geburtskanal mit den Bakterien von Scheiden- und Darmflora der Mutter in Kontakt kommen, ein geringeres Risiko haben, später an Allergien zu erkranken. Die natürliche Abwehr wird zusätzlich gestärkt, wenn die Kinder gestillt werden. «Die Darmflora der Kinder, die per Kaiserschnitt und per Vaginalgeburt auf die Welt kommen, unterscheidet sich voneinander», sagt Terjung. «Eine bedeutende Einflussgrösse scheint hierbei unter anderem der Kontakt mit Laktobazillen der Mutter zu sein. Neben Laktobazillen sind auch Bifidobakterien und Akkermansia muciniphila ein wichtiger Bestandteil einer gesunden Darmflora.»
Ein kranker Darm beziehungsweise eine schwache Darmflora hingegen können den Körper krank machen. Es gibt immer mehr Hinweise, dass bestimmte Krankheiten mit dem Darm im Zusammenhang stehen. «Es ist durchaus möglich, dass der Darm Ursprung verschiedener Krankheiten ist. Dabei spielen verschiedene Mechanismen eine Rolle und vieles muss noch erforscht werden. Bekannt ist bislang, dass durch Entzündungsprozesse im Darm oder eine ausgelenkte Darmflora Botenstoffe entstehen können, die über das Blut in den Körper gelangen und an anderer Stelle im Körper Probleme mitverursachen können», erklärt Terjung. Diskutiert werden derzeit unter anderem Multiple Sklerose, Parkinson, Depressionen, Lebererkrankungen wie die Fettleber und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung mit dem Darm. Auch bei der Adipositas (Fettsucht) scheint eine veränderte Zusammensetzung der Darmflora von Bedeutung zu sein.
Ein kranker Darm kann sich noch auf andere Weise auf das Immunsystem auswirken: Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa kann die Verdauung und Nährstoffverwertung so stark gestört sein, dass es zu starken Mangelerscheinungen kommt, die das Immunsystem zusätzlich stark schwächen. Das ist auch bei Zöliakie der Fall. Bei dieser Krankheit führt das Klebereiweiss Gluten aus Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste zu so starken Entzündungen in der Dünndarmschleimhaut, dass sich die Darmzotten Stück für Stück zurückbilden und irgendwann die Nährstoffe aus dem Dünndarm nicht mehr in ausreichender Menge dem Körper zugeführt werden können. Ein erster Hinweis kann ein anderweitig ungeklärter Eisenmangel sein, der auch zu einem Ausschluss einer Zöliakie Anlass geben sollte. Bei Nachweis einer Zöliakie ist es wichtig, dass Betroffene lebenslang vollständig auf Gluten verzichten.
Ein gesunder Darm und eine Darmflora, bestehend aus vielen nützlichen Darmbakterien, unterstützen die Immunabwehr des Körpers. Die Ernährung spielt bei der Gesunderhaltung des Darms eine wichtige Rolle. «Der Darm mag besonders mediterrane Kost, also die Mittelmeerküche», sagt Terjung. «Sie ist reich an Gemüse, Salaten, Kräutern, Hülsenfrüchten, Nüssen, Vollkornprodukten, pflanzlichen Ölen, Obst und Fisch. All das versorgt die Darmflora mit wichtigen Ballaststoffen, gesunden Fettsäuren, Eiweissen, Vitaminen und Mineralstoffen.»
Wem zu grosse Ballaststoffmengen Probleme bereiten und wer etwa mit einer starken Gasbildung auf die Faserstoffe reagiert, kann es alternativ mit Flohsamenschalen versuchen. «Meist reguliert sich der Darm nach einer Ernährungsumstellung nach drei bis vier Wochen und Blähungen auf Ballaststoffe lassen nach. Eine gute und verträgliche Ergänzung sind Flohsamenschalen. Sie geben den Darmbakterien Nahrung, machen den Stuhl gleitfähiger und nehmen Flüssigkeit auf. So kann Verstopfung, aber auch Durchfall reguliert werden.»
Nur in Massen sollte man dem Darm hingegen Zucker, tierische Fette und Alkohol zuführen. Diese schwächen die guten Darmbakterien, fördern die Bildung ungünstiger Stoffwechselprodukte und begünstigen das Wachstum schlechter Darmbakterien. Zudem können Entzündungen im Darm entstehen. Öfter zugreifen kann man hingegen bei alkoholfreiem Bier. Die im Bier enthaltene Hefe wirkt laut der Darmexpertin wie «ein kleines Probiotikum».
Rauchen schädigt die Darmzellen ebenfalls und fördert Entzündungsreaktionen. Auch Antibiotika sind kritisch. «Antibiotika können die Darmflora nachhaltig verändern, wenn diese über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Das kann möglicherweise Nahrungsmittelunverträglichkeiten begünstigen. Wer Antibiotika nehmen muss, sollte sich von seinem Arzt ergänzend ein Probiotikum empfehlen lassen, um die Darmflora zu schützen», rät Terjung.
Auch wer nach einem Magen-Darm-Infekt seine Darmflora stärken möchte, kann Probiotika einnehmen. Wer frei verkäufliche Probiotika kauft, sollte der Darmexpertin zufolge eines wählen, das möglichst breit aufgestellt ist. Damit steige die Wahrscheinlichkeit, genau die Stämme zu erwischen, die günstig für den Darm sind. «Falsch machen können Sie in der Regel mit einer Probiotika-Kur nichts. Sie nehmen nützliche Stämme von lebenden Bakterien zu sich. Negative Veränderungen Ihrer Darmflora müssen Sie in der Regel nicht befürchten», sagt Terjung. Aufpassen sollte man allerdings, wenn man immungeschwächt ist und Probiotika mit Bäckerhefe-Keimen einnimmt. Das sollte man vermeiden.
Verwendete Quellen:
Wir brauchen kein Ozempic oder Wegovy, wir brauchen gesundes Essen, und ein gesundes Microbiom.
https://www.nbcnews.com/healthmain/human-germs-obese-people-make-mice-fat-8c11086340