Nazis und Sex – es ist vermutlich die Kombination von zwei zugkräftigen Themen, die das zähe Gerücht am Leben hält: 1940 soll der «Führer» persönlich die Produktion von – selbstredend blonden und blauäugigen – Sex-Puppen für die Wehrmacht abgesegnet haben. Hitler habe das streng geheime «Borghild-Projekt» auf Anregung von Heinrich Himmler angeordnet.
Der «Reichsführer SS» sorgte sich demnach um Gesundheit und damit Wehrkraft der im besetzten Frankreich stationierten deutschen Soldaten. So schilderte Himmler angeblich im November 1940 dem «Führer» die Verlockungen, die im Sündenpfuhl Paris auf den deutschen Landser lauerten: «Die grösste Gefahr in Paris bilden die wilden Dirnen, die ihr dunkles Gewerbe auf der Strasse und in den Cafés, Restaurants, Bars und Vergnügungsstellen ausüben. Es ist unsere Aufgabe, den Soldaten die Triebabfuhr zu erleichtern.»
Das «Borghild-Projekt» habe, so die Legende, dem SS-Arzt Joachim Mrugowsky unterstanden. Mit der Entwicklung der Sex-Puppe sei 1941 angeblich der Modellbauer und Präparator Franz Tschackert am Deutschen Hygiene-Institut in Dresden beauftragt worden.
Anfang 1942 soll Himmler den Prototyp der Sex-Puppe inspiziert haben. Der SS-Chef sei begeistert gewesen. Doch dann sei das Projekt aufgrund der ungünstigen militärischen Entwicklung an der Ostfront auf Eis gelegt worden. Die Puppe sowie Gipsabdrücke und Studien seien dann beim verheerenden Bombenangriff der Alliierten auf Dresden im Februar 1945 vernichtet worden.
All diese Angaben sind seit mindestens 2003 auf der obskuren Webseite borghild.de zu finden, die vermutlich die Quelle der Sex-Puppen-Ente ist. Seither wird die Story immer wieder aufgewärmt: Vor zehn Jahren berichtete zum Beispiel die israelische Nachrichtenseite Ynetnews.com darüber und berief sich dabei auf «eine norwegische Zeitung» (vermutlich «Verdens Gang») und das italienische Blatt «Corriere della Sera». Die «taz» und «Bild» brachten die Geschichte ebenfalls im Frühsommer 2005.
Spätestens damals wurde der Hoax aber auch schon entlarvt. Der Blog Seifenschreiber.de listet mehrere Unstimmigkeiten auf, und der deutsche PR-Exp0erte Rochus Wolff schreibt, der auf borghild.de als Autor genannte Journalist Norbert Lenz existiere nicht. Zudem habe er «keine der angeblich an ‹Borghild› unmittelbar beteiligten Personen ausser Franz Tschackert und Joachim Mrugowsky» in biographischen Nachschlagewerken ausfindig machen können.
Tschackert existierte tatsächlich; er fertigte für die Zweite Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden 1930 den «Gläsernen Menschen» – eine dreidimensionale männliche Figur mit transparenter Hülle. Der SS-Sturmbannführer Mrugowsky war Leiter des Hygiene-Instituts der SS; er führte tödliche Menschenversuche durch und wurde 1948 gehängt.
Mit der Sex-Puppen-Legende hat 2010 auch der australische Autor Anthony Ferguson aufgeräumt: «Es ist verdächtig», schreibt er in seinem Buch «The Sex Doll – A History», «dass anscheinend alle Beweise, ausser ein paar höchst dubiosen Fotografien, zerstört wurden.»
Dennoch gab es im Sommer 2011 eine weitere Kaskade von Erwähnungen: Damals berichteten diverse Zeitungen – etwa die britische «Daily Mail» oder die «Huffington Post» – über den Autor Graeme Donald («Mussolini's Barber»), der bei Recherchen zur Geschichte der Barbie-Puppe über das «Borghild-Projekt» gestolpert war.
Mittlerweile war der Hoax, dem Prinzip der Stillen Post gemäss, mit weiteren Einzelheiten ausgeschmückt worden: Die Deutschen hätten die Puppen demnach auf der besetzten Kanalinsel Jersey eingehend getestet. Die SS habe dann 50 Stück geordert.
Einmal im Web, immer im Web: Die Sex-Puppen-Ente ist nicht mehr tot zu kriegen. Ein eingehender Bericht 2013 oder eine Erwähnung 2015 auf auf dem Blog remarkable-travels.blogspot.ch«War History Online» zeigen: Hitlers Sex-Puppe wird uns noch lange begleiten.