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Der schiesswütige Blumenliebhaber, dessen Tod den Ersten Weltkrieg auslöste

Sarajevo, 28. Juni 1914: Franz Ferdinand und seine Gattin wenige Minuten vor den Schüssen, die die Welt veränderten. Bild: AP
Vor 100 Jahren wurde Franz Ferdinand erschossen

Der schiesswütige Blumenliebhaber, dessen Tod den Ersten Weltkrieg auslöste

Der österreichische Thronfolger war eine widersprüchliche Persönlichkeit: bigott, schiesswütig, cholerisch – und zugleich ein fürsorglicher Familienmensch und Blumenliebhaber. Seine Ermordung war der berühmte Funke, der das europäische Pulverfass zur Explosion brachte. 
28.06.2014, 10:1129.06.2014, 10:48
Daniel Huber
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«Vielleicht wird man sagen dürfen: ‹Gott hat es gut gemeint mit Österreich, dass er ihm diesen Kaiser erspart hat› – einen von den Folgen der Lues [Syphilis, A. d. V.] und von Tuberkulose schwer angekränkelten Mann, dem einer, der ihn gut kannte, die Fühllosigkeit und Grausamkeit eines asiatischen Despoten nachgesagt hat.» 

Mit diesen vernichtenden Worten kommentierte der österreichische Reichsratsabgeordnete Josef Redlich die Nachricht von der Ermordung Franz Ferdinands in Sarajevo am 28. Juni 1914. Die Schüsse, die den österreichischen Thronfolger und seine Gattin tödlich trafen, lösten den Ersten Weltkrieg aus – jene oft zitierte «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts».

Wer war der Mann, dessen Tod solch weitreichende Folgen hatte? War Franz Ferdinand der grausame «asiatische Despot», der Österreich erspart blieb, wie Redlich glaubte? Oder war er im Gegenteil die letzte Hoffnung des Hauses Habsburg, dessen maroder Vielvölkerstaat sich nach dem Attentat von Sarajevo dann in einen Krieg stürzte, in dem er untergehen sollte? 

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3000 Möwen an einem Tag

Sicher ist: Franz Ferdinand von Österreich-Este, 1863 als Sohn Karl Ludwigs von Österreich und Prinzessin Maria Annunziatas von Neapel-Sizilien in Graz geboren, war vor allem ein widersprüchlicher und schwieriger Mensch. Er galt als herrisch und aufbrausend; wegen seiner schroffen Art mochten ihn nur wenige; sein Jugendfreund Prinz Gottfried zu Hohenlohe attestierte ihm sogar einen «niederträchtigen» Charakter. Sein Tod habe in Österreich «keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung» ausgelöst, berichtete Stefan Zweig.

Die Franz-Ferdinand-Biographin Alma Hannig weist darauf hin, dass der Erzherzog sich oft über den deutschen Kaiser Wilhelm II. wunderte, mit dem er befreundet war. Wilhelm habe stets grossen Wert auf seine Beliebtheit gelegt, während dies Franz Ferdinand völlig unwichtig gewesen sei. Respekt war ihm wichtiger. 

Sein Tod löste «keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung» aus: Franz Ferdinand (M.) kurz vor seiner Ermordung in Sarajevo. Bild: AFP

Seine Sammelleidenschaft war legendär; er lebte sie auf zwei Gebieten aus: der Jagd und der Kunst. Als hervorragender Schütze verbrachte er viel freie Zeit auf der Jagd. Der schiesswütige Erzherzog knallte dabei eine solch ungeheure Anzahl von Tieren ab – es sollen insgesamt über 270'000 gewesen sein –, dass man von manischem Töten sprechen muss. An einem einzigen Tag erlegte er einmal 3000 Möwen.

Schiesswütig: Franz Ferdinand mit seinem 5000. Hirsch.
Schiesswütig: Franz Ferdinand mit seinem 5000. Hirsch.Bild: Jagdkultur.eu

Ein entschiedener Reaktionär

Als fanatischer Kunstsammler war Franz Ferdinand gefürchtet. Er liebte Antiquitäten und kaufte wie besessen ein, auch Minderwertiges. So häufte er eine Kunstsammlung an, die «von entsetzlicher Geschmacklosigkeit» zeugte, verbat sich jedoch schroff jeden Widerspruch. Zeitgenössische, moderne Kunst missfiel ihm; sein Kunstverständnis war reaktionär. Deshalb verhinderte er zum Beispiel die Bestellung des Malers Gustav Klimt zum Professor an der Kunstakademie. 

In religiösen Dingen war er intolerant und bigott. Klerikale Tendenzen prägten auch seine politischen Ansichten, die entschieden reaktionär und antidemokratisch waren. Dies hiess indes nicht, dass der Thronfolger jede Modernisierung verworfen hätte. Als Generalinspektor der Armee machte er durchaus vernünftige Vorschläge, die freilich beim alten Kaiser durchwegs auf Ablehnung stiessen.  

«Solange ich lebe, regiere ich!»
Kaiser Franz Joseph I.
Langlebiger Monarch: Franz Joseph I. bestieg den Thron 1848 als 18-Jähriger und regierte 68 Jahre bis zu seinem Tod 1916. 
Langlebiger Monarch: Franz Joseph I. bestieg den Thron 1848 als 18-Jähriger und regierte 68 Jahre bis zu seinem Tod 1916. Bild: LEONHARD FOEGER/REUTERS

Der habsburgische Prinz Charles

Überhaupt war das Verhältnis zwischen dem greisen Franz Joseph I. und seinem designierten Nachfolger äusserst gespannt. Sie brachten sich gegenseitig zur Weissglut; oft schrien sie einander an, bis der Kaiser die Diskussion mit einem kategorischen «Solange ich lebe, regiere ich!» beendete. Der Thronfolger, in dieser Hinsicht ein habsburgischer Prinz Charles, wartete ungeduldig fast zwei Jahrzehnte lang auf das Ableben des Alten, der jedoch zäh weiterlebte und – regierte. 

Franz Ferdinands Refugium: Schloss Konopischt in Böhmen.
Franz Ferdinands Refugium: Schloss Konopischt in Böhmen.Bild: Wikipedia

Franz Ferdinand bildete mit seinen Beratern eine Art Schattenregierung, die ehrgeizige Pläne für die Zukunft der morschen Monarchie entwickelte. Er war ein Gegner des ungarischen Ausgleichs und trat zumindest zeitweise für eine stärkere Einbeziehung der slawischen Nationalitäten ein, den sogenannten Trialismus. Aus diesem Grund wird er oft als Reformer gesehen, der den Zerfall des Vielvölkerstaats hätte aufhalten können und dessen Ermordung den Untergang beschleunigte. 

Kein Kriegsgegner

Für die deutsche Historikerin Alma Hannig ist das nur eine nachträglich fabrizierte Legende, ähnlich wie die These, in Sarajevo sei ausgerechnet jener Entscheidungsträger der Doppelmonarchie ermordet worden, der den Frieden hätte bewahren können. Franz Ferdinand, so Hannig, sei ein überzeugter Autokrat gewesen und keinesfalls ein Kriegsgegner. 

Das Attentat: «Es ist nichts, es ist nichts...»
Es herrscht Feststimmung unter strahlender Sonne in Sarajevo am 28. Juni 1914. Der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand ist mit seiner Gemahlin Sophie in der Stadt. In Uniform samt federgeschmücktem Militärhut fährt er im offenen Wagen zum Rathaus, der Polizeischutz ist nur begrenzt. 


Unter die Schaulustigen hat sich ein halbes Dutzend bosnisch-serbischer Nationalisten gemischt. Mit Bomben und Pistolen haben sie sich entlang der Fahrtroute aufgestellt. Die ersten drei Verschwörer lassen den Wagen passieren, von Angst gelähmt.

Ein vierter aber, Nedeljko Čabrinović, wirft einen Sprengsatz. Der prallt vom Fahrzeug des Thronfolgers ab und explodiert unter dem folgenden Wagen. Der Erzherzog – unverletzt – schimpft: «Da kommt man nach Sarajevo, um einen Besuch zu machen, und wird mit Bomben beworfen! Das ist empörend.»

Die Situation sei unter Kontrolle, sucht General Oskar Potiorek, Militärgouverneur von Bosnien, Franz Ferdinand zu beschwichtigen. Ein Irrtum.



Nach einer Zeremonie im Rathaus will der 50-Jährige zum Garnisonsspital gebracht werden, wo Verletzte des ersten Attentatsversuchs behandelt werden. Doch auf dem Rückweg am Fluss Miljacka entlang biegt der Konvoi entgegen den Anweisungen in eine kleine Strasse auf der rechten Seite ab. Sie ist nach Kaiser Franz Joseph benannt. Der Tross stoppt, um umzukehren. Ein fataler Fehler – genau dort lauert Gavrilo Princip, einer der Verschwörer. Der 19-Jährige tritt auf den offenen Wagen zu und feuert aus wenigen Metern Entfernung zwei Schüsse aus seinem Revolver ab.

Die erste Kugel trifft Herzogin Sophie in den Unterleib. Die zweite trifft Franz Ferdinand am Hals, verletzt eine Vene und die Luftröhre. Ein dünnes Blutrinnsal läuft aus Franz Ferdinands Mund, er wischt es mit einem Taschentuch ab. Die Herzogin ruft: «Um Himmels Willen, was ist Euch geschehen?» Nach diesen Worten rutscht sie von der Bank auf den Fahrzeugboden. «Es ist nichts, es ist nichts ...», antwortet Franz Ferdinand, dann verliert er das Bewusstsein. Eine Viertelstunde später wird er für tot erklärt. (dhr/sda/afp)
«Lieber opfert man auf dem Altare der antiquierten und lächerlichen ‹Convenienz› zahlreiche gebrochene Herzen und vernichtet Existenzen, als dass man dem Herzen freien Lauf lässt und glückliche Menschen schafft!» 
Franz Ferdinand

Doch der unbeliebte Erzherzog hatte auch eine andere Seite: Er war ein liebevoller Gemahl und Familienvater. Sein Zerwürfnis mit dem Kaiser war nicht zuletzt deshalb so bitter, weil er dem alten Monarchen eine unstandesgemässe Heirat abgetrotzt hatte. Für seine Frau nahm Franz Ferdinand erhebliche Nachteile in Kauf: Gräfin Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin stammte zwar aus altem böhmischem Adel, doch nicht aus einer regierenden Dynastie. 

Franz Joseph stimmte nur einer morganatischen Ehe zu – dies bedeutete, dass Sophie nicht zur Erzherzogin erhoben wurde und Kinder aus der Verbindung mit Franz Ferdinand keinen Anspruch auf den Thron hatten. «Es ist merkwürdig, was für unglaubliche Begriffe in unseren höheren Gesellschaftsklassen herrschen und wie die Stimme des Herzens so gar nicht berücksichtigt wird», schrieb der Erzherzog in einem Brief. «Lieber opfert man auf dem Altare der antiquierten und lächerlichen ‹Convenienz› zahlreiche gebrochene Herzen und vernichtet Existenzen, als dass man dem Herzen freien Lauf lässt und glückliche Menschen schafft!» 

Gavrilo Princip feuert die fatalen Schüsse auf das Thronfolgerpaar ab. 
Gavrilo Princip feuert die fatalen Schüsse auf das Thronfolgerpaar ab. Bild: APA

Telegrafische Umarmung vor dem Tod

Obwohl man bei Hofe die Gattin des Thronfolgers auf Schritt und Tritt an ihre nicht standesgemässe Herkunft erinnerte – so durfte sie zum Beispiel im Theater nicht in der Hofloge sitzen –, war die Ehe offenbar glücklich. Die Familie verbrachte viel Zeit auf dem Schloss Konopischt in Böhmen, das der Blumenliebhaber Franz Ferdinand mit viel Geld zu seinem Refugium ausgebaut hatte.  

Das Attentat von Sarajevo (1/4).Video: BeautifulBosnia

Nach aussen hin war Franz Ferdinand unnahbar. Der Schriftsteller Karl Kraus schrieb in seinem Nachruf auf den Erzherzog: «Er war kein Grüsser […] Auf jene unerforschte Gegend, die der Wiener sein Herz nennt, hatte er es nicht abgesehen.» Doch seiner Familie war er ein fürsorglicher Vater. Auch in Sarajevo dachte Franz Ferdinand an seine Kinder: «Umarme euch innigst. Dienstag, Papi», telegrafierte er ihnen an seinem Todestag nach Hause.

Franz Ferdinand und Sophie kurz nach dem Attentat. (AP Photo/Historical Archives Sarajevo)Bild: Historical Archives Sarajevo
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