Was für ein Teufelskerl! Im Frühjahr 1944, Paris war noch von den Deutschen besetzt, flog der amerikanische Kampfpilot William Overstreet Jr. seine P-51B «Mustang» unter dem Eiffelturm hindurch. Und das notabene mitten in einem Luftkampf und unter Flak-Beschuss: Overstreet jagte einen deutschen Piloten in einer Messerschmidt Bf 109, schoss die Maschine ab und entkam.
Als der Fliegerheld Ende 2013 im Alter von 92 Jahren starb, erschienen zahlreiche Artikel, die seine tollkühne Tat in Erinnerung riefen. Das Problem dabei: Es ist nicht ganz sicher, ob sich die Sache wirklich so zugetragen hat. Aber fassen wir erst zusammen, was damals geschehen sein soll.
Overstreet eskortierte mit seiner Mustang – die er «Berlin Express» nannte – eine Bomberstaffel über Frankreich, als die US-Flugzeuge von deutschen Jägern angegriffen wurde. Nach einem Luftkampf drehten die meisten deutschen Maschinen ab, doch Overstreet befand sich gerade in einem Dogfight mit einer Me 109. Der deutsche Jäger, verfolgt von Overstreet, flog Richtung Paris, wohl in der Hoffnung, die dort positionierte deutsche Flak werde seinen Verfolger abschiessen.
Während die beiden Kampfflugzeuge über die Stadt flogen, konnte Overstreet – obwohl er heftigem Beschuss vom Boden her ausgesetzt war – einige Treffer landen und den Motor der Messerschmidt beschädigen. Der deutsche Pilot versuchte ihn nun mit einem verzweifelten Manöver abzuschütteln: Er flog unter den Bögen des Eiffelturms hindurch. Overmeester blieb aber hinter ihm, flog ebenfalls unter dem Turm durch, und traf die deutsche Maschine erneut mehrere Male. Während die Messerschmidt abstürzte, folgte Overstreet im extremen Tiefflug der Seine aus der Stadt hinaus und entkam so der deutschen Flak.
Die Geschichte klingt gut, doch sie wirft einige Fragen auf. Dass es keine Fotos vom doppelten Durchflug unter dem Eiffelturm gibt, ist an sich nicht weiter verwunderlich. Eher erstaunt es hingegen, dass keine Bilder der angeblich abgeschossenen deutschen Maschine zu finden sind, jedenfalls wenn sie in Paris selber abgestürzt wäre. Ein solch spektakulärer Vorfall wäre mit Sicherheit dokumentiert worden und es gäbe bestimmt Aufnahmen des Wracks.
Auch falls die Messerschmidt erst ausserhalb der Stadt abgestürzt wäre, hätte dies wohl Spuren in deutschen Akten hinterlassen. Doch auch hier findet sich nichts – zumindest nichts, was zeitlich und räumlich zu Overstreets Bericht passen würde. In einschlägigen Diskussionsforen, sowohl deutschsprachigen – die womöglich einer revisionistischen Agenda folgen – wie englischsprachigen, finden sich keine Hinweise, die Overstreets Geschichte erhärten. In beiden Foren wird ihr Wahrheitsgehalt eher bezweifelt.
Erschwert wird die Suche durch den Umstand, dass Overstreet nie ein genaues Datum für diesen Vorfall genannt hat, im Gegensatz zu anderen Abschüssen. Es findet sich nur die Angabe «im Frühjahr 1944». Im fraglichen Zeitraum vermelden jedoch die deutschen Verlustlisten nur wenige Abschüsse bei Paris. Zwar fanden am 20. April zwei Abschüsse durch amerikanische Mustangs «in der Nähe von Paris» statt, doch dabei handelte es sich jeweils um einen anderen deutschen Flugzeugtyp.
Ein weiterer Abschuss ereignete sich am 20. Juni 30 Kilometer südwestlich von Paris. Hier passt der Flugzeugtyp, doch es handelte sich um einen Überführungsflug von Mannheim nach Evreux, und nicht um eine Maschine, die feindliche Bomber im Jagdverband angriff. Auch bei zwei weiteren Abschüssen, die in Frage kommen, stimmt der Flugzeugtyp. Beide Maschinen vom Typ Messerschmidt Bf 109 G-6 wurden am 29. Juni in der Nähe von Paris abgeschossen. Doch just für diesen Tag meldete Overstreet den Abschuss einer Focke-Wulf Fw 190 «südwestlich von Leipzig».
Ausgehend von diesen Quellen erscheint Overstreets Geschichte nicht sehr glaubwürdig. Doch man sollte ihm nicht Unrecht tun und seine abenteuerliche Story vorschnell abschreiben: Es gibt auch Argumente, die für ihn sprechen. Obwohl in vielen Artikeln über seine Heldentat steht, er habe die Me 109 abgeschossen, scheint er selber dies offenbar nie behauptet zu haben. Falls die deutsche Maschine wider Erwarten nicht abstürzte, taucht sie auch nicht in den entsprechenden Listen auf.
Ausserdem war Overstreet, wie seine Nichte dem «Independent» sagte, sehr bescheiden und gab deshalb nicht mit seinem Stunt an. Hinzu kommt, dass mehrere Zeugen gesehen haben sollen, wie eine amerikanische Maschine wenige Wochen vor der Invasion in der Normandie einen deutschen Jäger in der Nähe des Eiffelturms verfolgte. Dies habe die Moral der Résistance-Kämpfer deutlich gehoben. 2009 erhielt er deswegen vom französischen Botschafter in den USA die höchste militärische Auszeichnung, die Frankreich zu vergeben hat: den «Ordre national de la Légion d'honneur».
Der – sicher bekannte – historisch verbürgte Vorfall des Bf 109 Piloten Franz Stigler, welcher die schwer beschädigte B17 des Piloten Charlie Brown und seiner Mannschaft aus dem feindlichen Luftraum eskortierte, gehört zu den bewegenden Momenten, wo Menschlichkeit über Krieg und Tod siegte.
1990 begegneten sich die beiden Männer zum ersten Mal.
Das Buch dazu «Eine höhere Pflicht» ist leider nicht mehr erhältlich.
Auf YouTube gibt es mehrere Dokumente dazu. Man sollte sich dabei nicht durch den heroischen Touch abhalten lassen.