«Nazi», «Mörder»: An die E-Mails mit den Verwünschungen und Todesdrohungen hat er sich schon längst gewöhnt. Arie den Hertog, der erste und bisher einzige Gänsevergaser in den Niederlanden, weiss, dass sein Job Emotionen weckt – meistens negative. Er weiss auch, dass es gefährlich werden kann: 2008 brannte ein Schuppen in seinem Betrieb, die «Animal Liberation Front» bekannte sich per Sprayinschrift zum Anschlag. «Wir haben deshalb Kameras installiert und die Zäune verstärkt», sagt den Hertog.
Jetzt könnte es wieder gefährlich werden, denn seit dem 1. Juni hat er die Erlaubnis, im ganzen Land Gänse einzufangen und mit Kohlendioxid zu vergasen. «Es wird nun eine Weile böse Reaktionen geben, dann legt sich das wieder.» Den Hertog spricht aus Erfahrung. Bisher vergaste er Gänse in der Umgebung des Flughafens Schiphol. Dort, in einem Umkreis von 20 Kilometern um den internationalen Hub, war diese Tötungsmethode aufgrund einer Ausnahmeregelung der Europäischen Kommission schon erlaubt.
Die Gänse werden in Schiphol aus Sicherheitsgründen dezimiert, denn es kommt jedes Jahr zu hunderten von Zusammenstössen von startenden oder landenden Jets mit Vögeln, dem Grossteil davon Gänse. In der Regel verlaufen die Kollisionen glimpflich, aber es gab auch schon Notlandungen.
«Meine Firma ist die einzige in den Niederlanden, die diese Arbeit macht», sagt den Hertog nicht ohne Stolz. Der Familienbetrieb Duke Faunabeheer («Duke» steht für «Hertog», Herzog) in Lelystad wurde 1991 von seinem Vater Dick gegründet und ist vornehmlich auf die Bekämpfung von Vogelplagen ausgerichtet. «Ich bin mit Jagdtrieb auf die Welt gekommen», sagt der 40-Jährige lachend. Schon mit sieben Jahren stellte er auf dem heimischen Bauernhof mit Fallen den Mäusen nach.
Sein umstrittener Beruf sorgt dafür, dass der Niederländer regelmässig in den Medien erscheint. 2005 gab es sogar weltweit Schlagzeilen, als den Hertog einen Spatz erlegen musste. Der kleine Vogel war in Leeuwaarden in die Halle eingedrungen, in der über vier Millionen Domino-Steine für den Domino Day aufgebaut wurden, und hatte bereits 23'000 Steine umgeworfen. Auch hier gab es Todesdrohungen.
Aber was ist denn – von der Gefährdung des Luftverkehrs einmal abgesehen – so schlimm an den Gänsen, dass sie nun zu tausenden getötet werden müssen? «Das Problem liegt in der enormen Zunahme der Graugans-Population und den Schäden, die diese Vögel in der Landwirtschaft verursachen», erklärt den Hertog. Es wird geschätzt, dass die Bauern jedes Jahr 25 Millionen Euro durch Gänsefrass verlieren. Die Schadensvergütungen für die Landwirte belaufen sich auf jährlich 10 Millionen Euro.
Dieser Vogel, der in den 70er Jahren beinahe ausgestorben war, nistet mittlerweile das ganze Jahr über in den Niederlanden. Holland ist ideales Gänseland: Überall hat es Wasserflächen, ausgedehnte Weiden mit proteinreichem Gras und dazu sumpfige Naturschutzgebiete, in denen sie sicher brüten können. «Wir haben den Gänsen Hotels eingerichtet», sagt den Hertog über die Naturschutzzonen. «Aber zum Fressen gehen sie auf die Kuhweiden.»
Die Bauern hassen die Gänse, die ihren Kühen das Gras wegfressen und auf den Felder ihre Exkremente hinterlassen. Nicht so den Hertog: «Ich hasse die Gänse nicht, ich habe Respekt vor ihnen. Die Graugans ist die Krähe unter den Gänsen. So schlau.» Er sieht seine Arbeit als sportliche Herausforderung. Die Wochen, in denen er auf Gänsejagd ist, seien für ihn die besten des ganzen Jahres.
Die Jagd beginnt früh am Morgen, zwischen Ende Mai und Mitte Juni, wenn die Vögel in der Mauser sind und nicht fliegen können. Sie bleiben dann auch dichter beieinander und suchen den Schutz der Gruppe. Den Hertog und seine Helfer stellen zuerst Zäune auf, die auf einen Käfig zulaufen, und treiben die Gänse dann in die Falle.
«Wenn sie merken, dass sie keine Chance mehr haben, geben sie auf», sagt den Hertog. Dass die Tiere dicht aneinander gedrängt sind, beruhige sie etwas, auch die schwarze Verkleidung des Käfigs habe einen beruhigenden Effekt, weiss der Gänsejäger. Die Tiere werden dann in einem Anhänger, den er selbst gebaut hat, mit Kohlendioxid vergast. «Es geht schnell, nach 30 Sekunden verlieren sie das Bewusstsein, in anderthalb Minuten sind sie tot», erklärt den Hertog. «Eigentlich ist es die perfekte Tötungsmethode».
Bevor die Europäische Kommission ihre Erlaubnis erteilte, ging es bei der Gänsedezimierung bedeutend blutiger zu und her: Den Hertog und seine Helfer mussten jeder gefangenen Gans einzeln mit einem Beil den Kopf abhacken. Die Vergasung wurde daher auch in einem Test der Universität in Wageningen als geeignetste Methode betrachtet.
Vergasen weckt allerdings zwangsläufig Assoziationen mit dem Holocaust, was den Widerstand der Tierschützer erst recht befeuert. Den Hertog räumt denn auch ein: «Zusehen, wie die Tiere getötet werden, ist natürlich schrecklich. Aber das ist auch bei anderen Methoden so. Wenn ein Metzger die Kühe auf der Weide schiessen würde, wäre hier die Hölle los.»
Tierschützer argumentieren, es sei unnötig, die Gänse zu töten. Man könne sie auch von den Weiden vertreiben, zum Beispiel mit einem speziell dafür entwickelten Laser. Was meint den Hertog dazu? «Die Gänse verjagen ist keine Lösung für das Problem», sagt er entschieden. «Sie fliegen einfach auf eine andere Weide und fressen dort weiter. Und sie brauchen noch mehr Nahrung, weil das Herumfliegen Energie kostet. Es ist schlicht eine Problemverlagerung.»
Es führe kein Weg daran vorbei, die Gänse-Population einzudämmen, sagt den Hertog. Ohne menschlichen Eingriff würde sich die Population zwar irgendwann auch einpendeln, aber auf einem sehr hohen Niveau mit entsprechend hohen Schäden für die Landwirtschaft. Das sieht auch das Ministerium für Infrastruktur und Umwelt so, in dessen Auftrag er die Vergasungen durchführt. Die Behörden lassen sich eine tote Gans fünf Euro kosten – dieselbe Ausgabe, die beim Abschuss der Tiere anfallen würde.
«Ich bin selber ein grosser Tierfreund», dieses Statement ist den Hertog wichtig. «Durch meine Arbeit weiss ich viel mehr über Tiere als der durchschnittliche Tierschützer. Bei allem Respekt – aber ich bin jeden Tag in der Natur unterwegs.» Radikale Tierschützer, die mit Gewalt für ihre Ideale kämpfen, kann er nicht verstehen. «Ich bin auch mit manchen Dingen nicht einverstanden. Aber ich zünde deshalb niemandem das Haus an. In der Schweiz sind die Tierschützer weniger radikal, vielleicht weil die Schweizer naturnäher leben als die Niederländer.»
Was passiert eigentlich mit all den Gänsekadavern? Immerhin 15'000 bis 20'000 Tiere werden es in dieser Jagdsaison sein. «Die Gänse kann man essen. Diese Tiere hatten ein gutes Leben in der Natur, ihr Fleisch ist hochwertig», versichert den Hertog. Die toten Gänse liefert er gratis an einen Geflügelhändler. «Die Nachfrage ist nicht sehr gross, aber viele Gänse werden ins Ausland exportiert. Und es wird alles verwertet; was nicht für menschlichen Konsum bestimmt ist, wird zu Tierfutter verarbeitet.»
Illuminati