Seit mehr als zwei Monaten sitzen die NASA-Astronauten Sunita Williams und Barry Wilmore auf der Internationalen Raumstation (ISS) fest. Als die beiden am 5. Juni an Bord des Starliner-Raumschiffs von einer Atlas-Trägerrakete in den Orbit geschossen wurden, sollte ihre Mission rund eine Woche dauern. Nun könnte sich die Rückkehr noch weiter verzögern – möglicherweise bis zum Februar 2025. Und sie würde mit der Crew Dragon von Konkurrent SpaceX erfolgen – ein Debakel für den Boeing-Konzern, der den Starliner entwickelt hat.
Grund für den unfreiwilligen Aufenthalt sind Probleme mit der krisengeplagten Raumkapsel: Der CST-100-Starliner – ein teilweise wiederverwendbares Raumschiff, das im Gegensatz zur Crew Dragon nicht auf dem Wasser, sondern auf der Erde landet – leidet seit Jahren unter technischen Mängeln, die das Projekt verzögert haben. Statt 2017 fand der erste bemannte Flug der Starliner-Kapsel erst im vergangenen Juni statt. Schon vor dem Jungfernflug waren Heliumlecks gefunden worden, und während des Hinflugs zur ISS kam es aufgrund weiterer Lecks zu einem temporären Schubabfall.
Die Frage, wie und wann die auf der ISS gestrandete Crew zur Erde zurückkehren kann, ist derzeit Gegenstand von Diskussionen zwischen der NASA und Boeing, wie das Onlinemagazin heise.de berichtet. Boeing stufe den Rückflug mit der Starliner-Kapsel als ausreichend sicher ein, während die NASA Sicherheitsbedenken hege. Die NASA teilte nun mit, damit Williams und Wilmore mit dem Starliner zurückkehren könnten, müssten die technischen Probleme ausgeräumt sein, was bisher nicht der Fall sei.
Falls die Mängel weiterhin nicht beseitigt werden könnten, würde folgendes Szenario eintreten: Der Starliner würde unbemannt zur Erde zurückkehren und die beiden Astronauten würden dann an Bord einer SpaceX-Mission zurückgebracht. Bereits hat die NASA deshalb den ursprünglich für den 18. August geplanten Start der nächsten Crew-Dragon-Mission «Crew-9» von SpaceX auf frühestens den 14. September verschoben. Der Rückflug ist für Februar 2025 vorgesehen.
Die auf eine vierköpfige Besatzung ausgelegte Crew-9-Kapsel «Freedom» hätte eigentlich eine neue Crew zur ISS bringen und nach Ablauf der Mission zurückbringen sollen. Die vier derzeit regulär an Bord der Raumstation befindlichen Astronauten kehren mit der aktuell angedockten Crew-8-Dragon «Endeavour» zurück. Sollte die Freedom nun auch Williams und Wilmore zur Erde bringen, müsste der Hinflug mit nur zwei Crew-Mitgliedern erfolgen, damit beim Rückflug ausreichend Platz für die Starliner-Besatzung vorhanden wäre. Der Entscheid darüber muss laut dem Technologie-Blog «Ars Technica» noch Mitte dieses Monats gefällt werden.
Sollte die Rückkehr von Williams und Wilmore – wie ursprünglich geplant – doch an Bord des Starliners stattfinden, müsste insbesondere die Frage geklärt werden, warum sich bei Tests mit den Starliner-Triebwerken auf der Erde eine Teflondichtung ausgedehnt und gewölbt hat. Die Ingenieure nehmen an, dass dies die Ursache für die Triebwerksausfälle war, denn die verformte Dichtung könnte den Zufluss des Treibstoffs behindert haben.
Während des Hinflugs waren fünf RCS-Triebwerke ausgefallen, vier konnten wieder eingeschaltet werden. Vermutlich hängen diese Ausfälle auch mit den festgestellten Heliumlecks zusammen. Da diese Triebwerke bei der Steuerung der Raumkapsel beim Wiedereintritt in die Atmosphäre benötigt werden, will die NASA auf Nummer sicher gehen.
Wenn indes der Fall eintritt, dass die beiden Astronauten an Bord der Crew Dragon Freedom zurückkehren, wird der Starliner unbemannt zur Erde fliegen. Dann müsste allerdings zuvor die Software der Raumkapsel aktualisiert werden. Der Starliner ist zwar an sich in der Lage, selbstständig und ohne manuelle Steuerung zu fliegen, wie die unbemannten Testflüge zur ISS gezeigt haben. Für den bemannten Flug war die Software aber für Eingaben von der Besatzung konfiguriert worden. Um den autonomen Rückflug zu ermöglichen, muss die Software wieder auf den Stand von 2022 gebracht werden, wie heise.de schreibt.
Für den notwendigen umfassenden Test der Software veranschlagen die Ingenieure rund vier Wochen. Wenn sich die NASA Mitte August dafür entscheiden sollte, die beiden Astronauten mit der Crew Dragon Freedom zurückzuholen, könnte der Starliner also in der zweiten Septemberhälfte von der ISS abfliegen. Die Kapsel ist momentan seit 63 der maximal 90 Tage, die er bleiben kann, an der ISS angedockt. Er belegt dieselbe Andockstelle, die für die kommende Crew-9-Mission mit Crew Dragon Freedom vorgesehen ist.
Das Starliner-Projekt entwickelt sich zusehends zu einem Debakel für den krisengeschüttelten Hersteller Boeing, der ohenhin in seiner Flugzeugsparte mit gravierenden Problemen zu kämpfen hat. 2014 hatte die NASA mit Boeing und SpaceX milliardenschwere Verträge über Transporte zur ISS abgeschlossen.
Während aber die vom Tech-Multimilliardär Elon Musk gegründete Firma SpaceX schon seit 2020 regelmässig Astronauten zur ISS und zurück bringt, startete der erste bemannte Starliner-Flug erst im Juni dieses Jahres – und sorgte umgehend für negative Schlagzeilen. (dhr)
Das passiert, wenn man einen Engineering-Konzern von Betriebswirten und Consultants führen lässt, die auf kurzfristigen Shareholder Value aus sind.