Für die Energiewende brauche es viele kleine Revolutionen, sagt Christophe Ballif. Er vergleicht das mit dem Game «Fortnite». «Die haben es geschafft, über zehn Millionen Spieler mit einer Super-Synchronisation online zusammen zu schalten. Warum soll das bei den Energiesystemen nicht gehen?», fragte der Leiter des Fotovoltaiklabors der ETH Lausanne und des Fotovoltaik-Zentrums des CSEM in Neuenburg kürzlich im Hightech Zentrum Aargau in Brugg. Ballif, auch schon als Solar-Papst bezeichnet, hat im Jahr 2016 den renommierten Becquerel-Preis der EU-Kommission erhalten für die Entwicklung der Silizium Heterojunction Solarzellen und den Transfer der Fotovoltaik-Forschung in die Industrie.
Découvrez le portrait de Christophe Ballif, un chercheur à la personnalité résolument #solaire ! #GreenEnergy #SolarEnergy #photovoltaicglass @SolarSwiss @EPFL @CSEMInfo @actupv @SolarStratos @Etat_Neuchatel https://t.co/krHwJnd04f pic.twitter.com/8C04DuqKpr
— Microcity Neuchâtel (@MicrocityNE) March 27, 2019
Sie beklagen, dass die Erdöl- Wirtschaft eine zu starke Lobby habe. Bremst das die Solarenergie?
Christophe Ballif: Die fossile Wirtschaft verdient viel Geld. Da hat sie natürlich kein Interesse daran, fossile Treibstoffe verschwinden zu lassen. Die fünf grössten Ölfirmen haben in den letzten neun Jahren in Brüssel 250 Millionen Euro für Lobbying ausgegeben. Das Öl wird weiter fliessen. Es gibt keinen Öl-Peak, das ist Quatsch. Benzin könnte man auch aus Kohle machen und davon gibt es genug.
Welche Auswirkungen hat dieses Lobbying?
Es bremst die politischen Entscheidungen. Damit sich die Fotovoltaik entwickeln kann, muss man aber die richtigen Rahmenbedingungen haben. Auch für die anderen erneuerbaren Energien.
Inwiefern?
Natürlich muss die Schweiz wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleiben. In der nächsten Legislatur werden vier Wege diskutiert. Erstens nur das Minimum oder nichts tun, wie das einige im rechten Spektrum möchten. Zweitens eine Intensivierung mit mehr Unterstützung für Elektroautos, Wasserstoff-Lastwagen, Wärmepumpen, Solarenergie und Geothermie. Der dritte Weg ist, Gelder umzulenken, mit Lenkungsabgaben im CO2-Gesetz. Viertens ist das Verbieten und Verzichten eine Variante. Zum Beispiel die Pflicht, beim Bau eines neuen Hauses Fotovoltaik auf dem Dach zu installieren.
Sind Zwang und Verbote notwendig?
Auf Dauer wahrscheinlich schon. Wenn man für alle neuen Gebäude die Ölheizung verbietet, geht der CO2-Ausstoss zurück. Allerdings haben die Leute dann keine Wahl mehr. Also darf die Heizung mit erneuerbarer Energie nicht viel mehr kosten als eine Ölheizung. In der Schweiz werden wir einen Kompromiss zwischen Nichtstun und Verboten wählen.
Wieviel Fotovoltaik braucht es für eine Schweiz ohne fossile Treibstoffe?
Ein bedeutender Teil der Schweizer Dächer sollte 2050 mit Fotovoltaik bedeckt sein sowie auch ein Teil der Fassaden. Und zwar mehr als heute in der Energiestrategie des Bundes geplant ist. Theoretisch würden die Schweizer Gebäude für die Fotovoltaik ausreichen, um zusammen mit der Wasserkraft genug Energie für die Schweiz zu erzeugen, inklusive Mobilität und Heizung.
Skeptiker sagen, das sei zu teuer.
Die verstehen nicht, wie rasch sich die Technologie entwickelt. Solarmodule zu importieren ist heute günstiger als Erdöl einzuführen. Und zwar um den Faktor 15 pro nutzbare Kilowattstunde. Die Arbeitsplätze bleiben zudem in der Schweiz. Ich kämpfe dafür, dass die Solarenergie günstiger wird.
Wie soll Solarstrom billiger werden?
Strom aus der Sonne ist in vielen Teilen der Welt schon die günstigste Energie, wenn man den Strom auch verkaufen kann. Es gibt keine Begrenzung für die Menge an Solarenergie. Viele Firmen in Europa, nicht nur in China, bauen Solarmodule, damit sinkt der Preis.
Zum Beispiel?
Durch eine neue Schnitttechnik wird der Materialverlust beim Silizium reduziert. So wird 60 Prozent Material gespart, die Module werden günstiger, es geht weniger graue Energie verloren.
Und wie steht es um den Wirkungsgrad der Solarmodule, also wie viel Energie der Sonne wirklich in Strom umgewandelt wird?
Heute haben Siliziummodule im Durchschnitt einen Wirkungsgrad von 19 Prozent. Dieser wird laufend verbessert. Jedes Jahr um 0.3 bis 0.4 Prozent. Im Jahr 2025 wird er bei 21 bis 23 Prozent liegen, 2030 bei 23 bis 24 Prozent. Das wird die Kosten für eine Gesamtanlage reduzieren.
Ist mit diesem Wirkungsgrad das Ende erreicht?
Das Moduldesign ändert sich. Es gibt Module, die Sonnenlicht von beiden Seiten aufnehmen. Dank des reflektierten Lichts erzeugen diese Solarmodule 10 bis 25 Prozent mehr Energie. Es gibt verschiedene Ansätze, um noch höhere Wirkungsgrade zu erreichen. Zum Beispiel indem man die hocheffizienten PERC-Solarzellen wie Ziegel zu einem Modul stapelt. Generell hat eine Solarzelle aus Silizium aber ihre Grenzen, weil sie blaues Licht nicht gut nutzen kann. Der einzige Weg, das zu überlisten, ist, Solarzellen zu stapeln. Das ist auch das Prinzip der Weltraumzellen. Mit zwei gestapelten Solarzellen hat man den Weltrekord von 32.8 Prozent erreicht.
Die Sonne scheint nicht 24 Stunden am Tag. Wie sind die Fortschritte bei der Speicherung?
Leute mit Fotovoltaik auf dem Dach wollen genügend Geld für ihren Strom. Bekommen sie zu wenig, werden sie versuchen, den Strom für den Eigenbedarf zu speichern und investieren in Batterien. Die Batterien werden immer besser und werden dann auch die Spitzenerträge der Solaranlage abfedern. Wenn zudem mehr Elektroautos gefahren werden, erhalten wir mit diesen Autos zusätzliche Speicher- und Managementmöglichkeiten mit deren Batterien. Bei einer Million Elektroautos mit 50 KW Spitzenleistung und Batterien mit 50 kWh Speicherkapazität könnte viel Solarstrom wieder in die Häuser zurückfliessen.
Braucht die Batterieproduktion zu viel CO2?
Dieses Argument wurde auch für die Fotovoltaik gebraucht, ist aber heute falsch. Es gibt zwar immer einen CO2-Anteil bei der Batterie-Produktion. Aber man muss zwei Dinge sehen: Die Batterieherstellung macht Fortschritte. Wenn dabei zukünftig mehr Solar- oder Wasserstrom verwendet wird, geht der CO2-Anteil zurück. Und im Fahrbetrieb ist ein Elektroauto ökologischer als ein Verbrennerauto, wenn der Strom für das E-Auto sauber ist. Es gibt zudem genug Lithium. Wir forschen an neuen Materialien, an der Alterung und Management von Batterien, damit sie länger genutzt werden können, wie auch am Recycling und «Second Life». (aargauerzeitung.ch)