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Therapie mit CRISPR/Cas9 erhält erstmals Zulassung

Plötzlich gibt es Heilungschancen für 7000 Krankheiten: Bahnbrechende Therapie zugelassen

Erbkrankheiten sind in der Regel nicht heilbar. Jetzt vollzieht sich in der Medizin aber eine epochale Wende: Erstmals überhaupt hat eine Therapie mit der Genschere CRISPR/Cas9 die Zulassung erhalten. Gemäss Experten ist das erst der Anfang.
20.11.2023, 15:0120.11.2023, 22:00
Stephanie Schnydrig / ch media
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Die Genschere CRISPR/Cas9 kann den DNA-Doppelstrang, worauf das Erbgut gespeichert ist, gezielt an der gewünschten Stelle durchtrennen.
Die Genschere CRISPR/Cas9 kann den DNA-Doppelstrang, worauf das Erbgut gespeichert ist, gezielt an der gewünschten Stelle durchtrennenBild: Shutterstock

Sie leiden Höllenqualen, wenn sich das Blut in ihrem Körper quasi zersetzt. Die heftigen und diffusen Schmerzkrisen breiten sich aus in den Knochen, in Armen, Beinen, dem Brustkorb, im Bauch und den Gelenken. Solche Phasen durchleben Betroffene der Sichelzellanämie immer wieder. Zudem schädigt die Krankheit das zentrale Nervensystem, die Immunabwehr, Organe wie die Haut und Augen, das Herz und das Gehirn, die Nieren und die Milz.

«Es ist eine sehr ernstzunehmende Krankheit mit schwerwiegenden Komplikationen, an der Patienten relativ jung sterben», sagt die Hämatologin Linet Njue, Oberärztin am Inselspital Bern.» In der Schweiz werden laut der Ärztin in den grossen Unispitälern rund 100 Patienten mit der Krankheit behandelt, wie viele es genau sind, wird nicht erfasst. Weltweit gehört sie zu den am häufigsten vorkommenden Erbkrankheiten.

Schuld an der Krankheit ist ein Gen, das den Bauplan für den roten Blutfarbstoff Hämoglobin trägt. Durch eine Genmutation kristallisiert das Hämoglobin, wodurch sich die normalerweise runden roten Blutkörperchen zu Sicheln verformen. Diese wiederum verstopfen die Blutbahnen.

Zulassung in Grossbritannien

Nun hat die britische Arzneimittelbehörde grünes Licht für eine neue Gentherapie für Sichelzellanämie-Patienten ab 12 Jahren gegeben. Sie heisst Exacel (Markenname «Casgevy») und wurde von den Firmen Vertex Pharmaceuticals und CRISPR Therapeutics, Letztere mit Sitz in Zug, entwickelt.

Es handelt sich um die erste zugelassene Behandlung überhaupt, die auf der Genschere CRISPR/Cas9 beruht. Das ist die Technologie, die das Erbgut präzise durchtrennen und verändern kann und für deren Entdeckung es 2020 den Chemienobelpreis gab.

Bei Sichelzellanämie-Patienten kristallisiert der rote Blutfarbstoff Hämoglobin, wodurch die normalerweise runden Blutkörperchen (rechts) sich zu Sicheln (links) verformen.
Bei Sichelzellanämie-Patienten kristallisiert der rote Blutfarbstoff Hämoglobin, wodurch die normalerweise runden Blutkörperchen (rechts) sich zu Sicheln (links) verformen.Bild: Uni Zürich

Kein fremder Spender mehr nötig

Die heute 37-jährige Victoria Gray war der erste Mensch, der 2019 mit der Therapie behandelt wurde. Dank der neuen «Superzellen» habe sich ihr Leben völlig verändert, erzählte sie kürzlich. Sie lebt heute frei von Schmerzen, kann wieder arbeiten und sich um ihre vier Kinder kümmern.

Für die Hämatologin Njue ist die Therapie vielversprechend: «Das Tolle ist, dass die Krankheit damit geheilt werden kann.» Derzeit gibt es nur eine vergleichbare Behandlung, nämlich diejenige mit Blutzellen von einem Spender. Ein solcher fehlt jedoch häufig und die Therapie ist für Erwachsene meistens zu risikoreich.

Getestet wurde Exacel inzwischen an rund vierzig Sichelzellanämie-Patienten. Wie Vertex Pharmaceuticals und CRISPR Therapeutics mitgeteilt haben, sollen nun zusätzliche klinische Studien mit Kindern zwischen 2 und 11 Jahren anlaufen. Ein Zulassungsgesuch für die Therapie ist von den Firmen in der Schweiz noch nicht eingegangen, wie Swissmedic auf Anfrage bestätigt.

So funktioniert die Exacel-Therapie
Exacel zielt nicht auf das krankmachende und mutierte HBB-Gen ab, welches die sichelförmigen Blutkörperchen hervorruft. Vielmehr widmet sich die Therapie dem Gen namens BCL11A. Dieses Gen wird bei der Geburt aktiviert und hemmt dadurch die Bildung desjenigen Hämoglobins, welches eigentlich nur im Fötus produziert wird. Exacel schneidet nun BCL11A auseinander, womit das Gen wieder deaktiviert wird und die vorgeburtliche Hämoglobinproduktion wieder aufgenommen wird. Dadurch wird zusätzliches Hämoglobin bereitgestellt, das nicht missgebildet ist. Die Symptome der Krankheit verschwinden. (sny)

Vergleich mit der Entdeckung von Antibiotika

Jacob Corn ist Professor für Genombiologie an der ETH Zürich und beschäftigt sich seit Jahren mit CRISPR-Behandlungen, auch für die Sichelzellkrankheit. «Die ganze Crispr-Community ist in heller Aufregung. Die Exacel-Erfolge sind beeindruckend», sagt er.

Trotzdem sei es zentral, die behandelten Patientinnen und Patienten nun über lange Zeit zu begleiten, die Zulassungsbehörden verlangen mindestens 15 Jahre. Nur so lassen sich Langzeitnebenwirkungen ausschliessen, etwa ein erhöhtes Blutkrebsrisiko – eine Sorge, die manche Wissenschafter umtreibt. Corn betont allerdings: «Momentan sieht es wirklich sehr gut aus.»

Jacob Corn, Professor an der ETH Zürich.
Jacob Corn, Professor an der ETH Zürich.Bild: zvg

Die Genschere CRISPR bietet laut dem ETH-Professor ein Tor in eine neue Welt der Medizin. Er zieht einen Vergleich:

«Bevor Antibiotika entdeckt wurde, wusste man zwar, dass ein Bakterium die Krankheit verursacht. Aber den Medizinern waren die Hände gebunden, sie mussten die Patienten sterben lassen.»

Genauso sei es bislang mit Erbkrankheiten: Man kann leidenden Patienten zwar eine genetische Diagnose stellen, eine Therapie jedoch nicht anbieten – das ändert sich jetzt.

Therapie gegen «den grössten Killer der Welt»

Krankheiten, die wie die Sichelzellanämie auf einer einzigen Genmutation beruhen, gibt es mehr als 7000. Dutzende Therapien stecken denn auch bereits in der Pipeline, beispielsweise gegen die Stoffwechselkrankheit mit dem Namen familiäre Hypercholesterinämie, an der in der Schweiz etwa 1 von 200 Personen leidet.

Durch die Krankheit verbleibt immer eine gefährliche Menge an Cholesterin im Blut. Das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Hirnschlag ist dadurch stark erhöht. Studien mit der CRISPR-Therapie des Biotechunternehmens Verve Therapeutics verliefen bislang vielversprechend, sie deuten gar darauf hin, dass sich «der grösste Killer der Welt» bald stoppen lässt, titelte das US-Magazin «MIT Technology Review».

Mehrere Gene anzusteuern ist viel schwieriger

Andere Leiden im Fokus der Gen-Ingenieure sind etwa die zystische Fibrose, die Duchenne-Muskeldystrophie oder die Progerie, bei der betroffene Kinder wie im Zeitraffertempo altern. Neben diesen Ein-Mutation-Krankheiten gibt es unzählige weitere Krankheiten, die auf eine Kombination von mehreren Genmutationen und Umweltfaktoren beruhen: Alzheimer, Arthritis, viele Krebsarten, Diabetes, Autismus-Spektrum-Störungen sind nur ein paar Beispiele.

«Es ist allerdings viel komplizierter, mehrere Gene mit CRISPR anzusteuern als nur eines», sagt ETH-Professor Corn. Die gesundheitlichen Folgen von vielen Genveränderungen und die Möglichkeiten, dass bei jedem einzelnen Genschnitt etwas schief gehen kann, ist vergleichsweise hoch.

Eine weitere Hürde von künftigen CRISPR-Therapien stellt sich bei denjenigen Krankheiten, die Organe betreffen, welche schwierig zu erreichen sind. Bei der Sichelzellanämie ist es vergleichsweise einfach, die Blutzellen aus dem Körper zu gewinnen, zu manipulieren und wieder rückzuführen. «Bei der zystischen Fibrose hingegen, wo die Lunge geschädigt ist, ist es schon ein viel schwierigeres Verfahren, die genetische Medizin an den richtigen Ort zu bringen», sagt Corn.

Die hohen Kosten könnten Verfügbarkeit einschränken

Mächtig Sorgenfalten auf die Stirn beschert den Genetikerinnen und Genetikern die horrenden Kosten, die für eine einzige CRISPR-Behandlung schätzungsweise in die Millionen gehen werden. Ob sich ärmere Länder solche Therapien leisten können, ist fraglich. Selbst reiche Länder geraten in Nöte, wenn auf einmal viele Patientinnen und Patienten behandelt werden wollen.

Ein Dilemma ist gemäss Jacob Corn, dass die Sicherheitsauflagen seitens der Gesundheitsbehörden enorm hoch sind - und damit kostspielig. «Das ist gut, denn es muss garantiert sein, dass die Therapien nicht mehr schaden als nützen.» Die Hoffnung ruht darauf, dass nach den ersten Zulassungen die Vielzahl von Sicherheits- und Wirksamkeitstests nicht jedes einzelne Mal mehr durchgeführt werden müssen. «Wenn die Sicherheit der CRISPR-Technologie an sich erwiesen ist, dann wäre es hoffentlich legitim, die Erprobungen und die Zulassungen von Therapien gegen andere Erkrankungen zu beschleunigen», findet Corn.

Ein anderer Ansatz: Statt für die Genveränderungen die Zellen zu isolieren, zu behandeln und dann wieder in den Körper zu injizieren, tüfteln Forschende an einer Gen-Spritze: «Die Idee ist, dass das Genomeditierungsverfahren quasi in den Körper gespritzt wird, wo es den richtigen Ort findet und seine Wirkung entfaltet.» Das würde die Behandlung nicht nur billiger, sondern auch leichter zugänglich machen, etwa für Regionen Afrikas, in denen es nur wenige Gesundheitseinrichtungen gibt. Noch wurden keine entsprechenden Tests in Menschen durchgeführt, lediglich in Tieren.

Doch Jacob Corn gibt sich zuversichtlich: «An CRISPR sind weltweit sehr viele Forschungsgruppen beteiligt. Wie schnell es manchmal gehen kann, wenn viele kluge Köpfe gleichzeitig an einem Problem arbeiten, sah man bei der Corona-Impfung.» (aargauerzeitung.ch)

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98 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Der Buchstabe I (Zusammenhang wie Duschvorhang)
20.11.2023 16:04registriert Januar 2020
"Trotzdem sei es zentral, die behandelten Patientinnen und Patienten nun über lange Zeit zu begleiten, die Zulassungsbehörden verlangen mindestens 15 Jahre."

Freut mich, aber für mich als Laien klingt das doch recht übertrieben. Klar, für ein "flächendeckendes Okay" braucht es Zeit, aber m.M.n. müsste eine breitere Zielgruppe (diejenigen, die mit den aktuellen Möglichkeiten dem Tod geweiht sind) möglich sein.

Ist doch eine relativ einfache Risikoabwägung: Sicherer Tod jetzt, oder evtl. halt späterer Tod mit Chancen auf Genesung.

Mein Bruder hat z.B. mit seiner Diagnose keine 15 Jahre mehr.
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ETH1995
20.11.2023 15:35registriert Juni 2016
"Fun" fact zu Sichelzellenanämie:
Man fragt sich, weshalb sich diese Mutationen (es gibt einige, die die selbe Krankheit auslösen) überhaupt evolutionär gehalten hat? Antwort: Leute mit dieser Krankheiten sind resistent gegen Malaria. Deshalb findet man die Krankheit vorwiegend in Ländern des Südens.
So funktioniert Evolution....
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Potzholzöpfelondzepfelchappenonemol
20.11.2023 17:29registriert August 2019
Ich gönne es allen denen es hilft!
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98
Nenne das Land ... anhand der Nachbarländer

Liebe Quizzticle-Klasse

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