Kaum ein medizinisches Thema wird so kontrovers diskutiert wie Vitamin D: Die einen sehen es als Wundermittel, das sogar Krebs heilen kann, andere haben Vitamin D längst als verflogenen Hype abgetan. Was stimmt denn nun?
Wir haben uns die neusten Forschungsergebnisse angeschaut, mit einem Experten gesprochen und die Empfehlungen des Bundes analysiert. Hier erfährst du unter anderem, welche Aufgaben Vitamin D überhaupt hat, wie schwerwiegend ein Mangel tatsächlich sein kann und warum eine prophylaktische Einnahme bei den meisten Menschen trotzdem nichts nützt.
Vitamin D ist der Überbegriff für eine Gruppe von fettlöslichen Vitaminen. Die wichtigsten davon sind Vitamin D3 und Vitamin D2. Streng genommen handelt es sich eigentlich gar nicht um ein Vitamin. Diese werden nämlich als Stoffe definiert, die nicht vom Körper selbst hergestellt werden können und über die Nahrung aufgenommen werden müssen. Unser Körper stellt aber die Vorstufen des sogenannten Vitamin D selbst her.
Es ist aus diesem Grund das einzige «Vitamin», das in unseren Körpern hergestellt, genauer gesagt synthetisiert, wird. Korrekterweise handelt es sich beim Vitamin D also um ein sogenanntes Prohormon, auch Hormonvorläufer genannt. Gemäss dem Unispital Zürich spricht man auch zunehmend vom D-Hormon.
Der Grossteil (80 bis 90 Prozent) unseres Bedarfs an Vitamin D – nennen wir es trotzdem weiterhin so – wird in der Haut hergestellt. Dafür benötigt diese Sonnenlicht, genauer gesagt UV-B-Strahlung. Um Vitamin D zu generieren, ist übrigens das Solarium keine gute Lösung, weil dort fast ausschliesslich UV-A-Strahlung auf die Haut gelangt.
Würden wir uns konstant mit Sonnencreme eincremen, würden wir nicht genügend Vitamin D aufnehmen, sie reduziert die Vitamin-D-Bildung also. Allerdings sagt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV):
Die restlichen Prozente können wir über die Nahrung aufnehmen. Allerdings gibt es nicht viele Lebensmittel, die in ihrer natürlichen Form Vitamin D beinhalten.
Dafür werden heute zunehmend Lebensmittel mit Vitamin D angereichert, zum Beispiel Milchersatzprodukte wie Hafer- oder Sojamilch sowie Margarine, aber auch Fleischersatzprodukte. In einigen Ländern, wie zum Beispiel den USA, zeigte sich, dass solche systematischen Anreicherungen zur Minderung von Vitamin-D-Mangeln beitrugen. Auch in der Schweiz dürfen Vitamin D2 und D3 Nahrungsmitteln freiwillig zugesetzt werden, vorausgesetzt, der Konsument wird darüber informiert.
Nicht alle Menschen benötigen gleich viel Vitamin D. Im höheren Alter braucht es etwas mehr, insbesondere weil ältere Menschen schlechter Vitamin D verstoffwechseln können als junge. Das BLV empfiehlt folgende tägliche Mengen an Vitamin D – über die Sonne, die Nahrung oder Supplemente:
Zum Vergleich: In einer grossen Portion fettreichen Fischs (100 Gramm) – der vergleichsweise viel Vitamin D aufweist – hat es etwa 10 bis 20 Mikrogramm. Das bedeutet theoretisch, dass an einem Tag ohne Sonnenlicht eine solche Portion bereits für die Deckung der täglichen Dosis reicht. Wichtig ist aber, dass es sich hier lediglich um Schätzwerte handelt, die berücksichtigen, dass Säuglinge und ältere Menschen weniger der Sonne ausgesetzt sind. Angereicherten Lebensmitteln dürfen maximal 5 Mikrogramm pro Tagesdosis zugefügt werden.
Vitamin D hat mehrere wichtige Aufgaben. Zunächst spielt es eine entscheidende Rolle beim Calciumstoffwechsel: Es steuert die Calciumaufnahme im Darm, reguliert den Calciumspiegel im Blut und hilft so beim Knochenaufbau.
Vitamin-D-Rezeptoren sind aber auch an anderen Orten in unseren Körpern vorhanden, weshalb das Vitamin nachweislich auch bei weiteren komplexen Stoffwechselvorgängen eine Rolle spielt. So hilft es bei der Stärkung der Muskeln, der Bildung von Proteinen und der Regulierung von Hormonen. Nicht zuletzt hat es einen Einfluss auf verschiedene Immunzellen und trägt so zur normalen Funktion des Immunsystems bei.
«Weil Vitamin D an so vielen Prozessen im Körper beteiligt ist, hatte man lange das Gefühl, es sei eine Art ‹Superhormon›», sagt Stoffwechselexperte Philipp Schütz. Das sei auch einer der Gründe, weshalb so viele Menschen das Vitamin auch ohne bekannten Mangel einnehmen – und weshalb einer zusätzlichen Einnahme so viele positive Effekte bescheinigt wurden. Vieles davon bestätige sich aber heute nicht mehr, so Schütz.
«Eigentlich gilt wie für alle Vitamine: Die Einnahme hilft nur, wenn man einen entsprechenden Mangel hat», sagt uns der Stoffwechselexperte. Weist ein Mensch einen normalen Vitamin-D-Wert auf, bringe die zusätzliche Supplementation in der Regel nicht viel.
Bei Kindern im Säuglings- und Kleinkindalter kann ein schwerer Vitamin-D-Mangel zu Knochenwachstumsstörungen (Rachitis) führen. Rachitis äussert sich in Form von Verformungen des Skeletts, da die Mineralisierung (Einbau von Calcium und Phosphat) der Knochen gestört ist.
Im Erwachsenenalter ist die Folge eines starken Mangels eine Knochenerweichung (Osteomalazie). Bereits bei einem leichten Mangel besteht das Risiko für Knochenbrüchigkeit (Osteoporose).
Bei einer Vitamin-D-Unterversorgung bei Erwachsenen kann es gemäss BLV ausserdem zu folgenden Symptomen kommen: diffuse Knochen- oder Muskelschmerzen, Muskelschwäche und allgemeine Müdigkeit.
In den vergangenen Jahren wurden in Beobachtungsstudien überdies Zusammenhänge zwischen einem Vitamin-D-Mangel und anderen Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ 2 sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebskrankheiten gefunden. Ob dieser Zusammenhang kausal ist, diese Krankheiten also durch den Vitamin-D-Mangel ausgelöst werden, konnte bislang aber nicht bewiesen werden.
Gemäss BLV, wenn die Konzentration im Blutserum langfristig unter einen gewissen Wert fällt (genauer genommen unter einen Wert von 50 Nanomol pro Liter Blutserum). Wie das BLV schreibt, unterscheidet man dabei zwischen einer Unterversorgung (25-49 nmol/l) und schwerem Mangel (unter 25 nmol/l).
Solche Angaben seien aber eher Richtwerte, sagt uns Stoffwechselexperte Philipp Schütz. Ab wann genau man einen klinischen Mangel hat, sei immer wieder Gegenstand der Diskussionen rund um Vitamin D – irgendwo müsse jedoch ein «Cut-Off» definiert werden. Aber: «Es kann auch sein, dass es Phasen gibt, in denen man mehr benötigt als sonst», so Schütz. Und weiter: «Macht jemand zum Beispiel eine Infektion durch, kann es durchaus sein, dass diese Person einen etwas erhöhten Bedarf hat.»
Man habe in diversen Querschnittstudien herausgefunden, dass gewisse Personengruppen relativ tiefe Werte von Vitamin D aufweisen und somit eher Gefahr laufen, an einem Mangel zu leiden, erklärt Philipp Schütz. Diese werden als Risikogruppen bezeichnet – entweder weil sie einen höheren Bedarf als die restliche Bevölkerung haben, oder weil sie dazu neigen, zu wenig Vitamin D aufzunehmen.
Folgende Personen gehören zur Risikogruppe:
«Bei allen anderen ist ein richtiger Mangel sehr selten – vorausgesetzt, sie gehen regelmässig an die frische Luft und ernähren sich normal», sagt Philipp Schütz.
Auch nicht im Winter? «Als junger, gesunder Mensch, der nach draussen geht und sich normal ernährt, haben Sie im Sommer bestimmt einen hohen und im Winter einen niedrigeren Spiegel», so Schütz. Aber: Auch, wenn dieser im Winter etwas abnimmt, wird er sehr wahrscheinlich nicht unter eine gewisse kritische Schwelle fallen – «also so stark, dass es Probleme machen würde».
Im Winter reicht die Sonnenstrahlung in unseren Breitengraden in der Regel nicht aus, um genügend Vitamin D produzieren zu können. Weil das Vitamin aber fettlöslich ist, kann es unser Körper im Fett speichern. Dieser Speicher hält aber nur maximal drei bis vier Monate hin. Würde man also im Februar oder März eine Stichprobe machen, so hätten viele von uns tendenziell tiefe Werte. Trotzdem wird ein routinemässiger Test ohne klare Symptome vom BLV nicht empfohlen.
«Jetzt könnte man sagen, ‹dann gehe ich halt zum Arzt und messe meinen Spiegel, dann weiss ich es›», sagt EEK-Präsident Schütz. Da die Vitamin-D-Spiegel aber so stark saisonal abhängig sind, sei ein einmaliger Wert unsicher. Und: «Das Testen von Vitamin D ist sehr teuer, aus gesamtgesellschaftlicher Sicht geben wir enorm viel Geld für die Messung aus.»
Tatsächlich fand eine Studie des Swiss Medical Board heraus, dass sich 2018 rund 20 Prozent der Bevölkerung testen liess – 50 Prozent mehr als noch drei Jahre zuvor. Insbesondere bei jüngere Menschen stieg diese Quote an. Pro Jahr kostet das gemäss den Studienautoren 90 Millionen Franken.
Das BLV schreibt dazu: «Für Personen, die Risikofaktoren aufweisen, können regelmässige Blutuntersuchungen sinnvoll sein. Dies ist vom behandelnden Arzt zu entscheiden.»
Das BLV empfiehlt die Supplementierung ausdrücklich für alle Säuglinge, Schwangere und Stillende sowie für alle Menschen über 60 – unabhängig der Jahreszeit. Anderen Risikogruppen werden Vitamin-D-Präparate nach Absprache mit dem Arzt empfohlen, wenn eine Unterversorgung festgestellt wurde.
Trotzdem entscheiden sich laut Schütz viele Menschen, auch solche ohne Risikofaktoren, im Winter anstelle eines Tests für eine Substitution – um sicherzugehen. Wie findet er das? «Wenn Sie die empfohlene Tagesmenge nicht überschreiten, ist das sicher keine schlechte Idee.» Also ganz gemäss dem Motto: «Nützt's nüt, so schad's nüt.»
Tatsächlich schreibt auch das BLV etwas vage auf seiner Homepage: Auch bei Personen zwischen 3 und 60 Jahren reiche im Winter die körpereigene Bildung von Vitamin D nicht aus, um den Bedarf zu decken. «Die Vitamin-D-Versorgung sollte daher über die Ernährung bzw. über Nährstoffpräparate sichergestellt werden.»
Wie Philipp Schütz erklärt, sind diese Empfehlungen des Bundes pragmatischer Natur. Insbesondere bei der ausdrücklichen Empfehlung zur Supplementierung bei Menschen über 60 entscheide man sich für eine prophylaktische Massnahme: «Die Abgabe von Vitamin-D-Präparaten kostet praktisch nichts – etwa 10 Rappen pro Person und Tag – und hat eigentlich null Risiko, wenn man sich an die empfohlene Dosis hält.»
So könne man erreichen, dass die ganze Schweiz – laut Studien über 90 Prozent – einen Vitamin-D-Spiegel im Normbereich hat. Denn: So wenig überschüssiges Vitamin D einem gesunden Körper nützt, so sehr kann ein Mangel schaden – und am Ende auch viel kosten. «Es handelt sich also um eine normale Präventionsstrategie mit dem Ziel, keine Menschen mit Vitamin-D-Mangel zu haben», sagt Philipp Schütz.
Im Gegensatz zum Beispiel zu Vitamin C, das bei zu grossen Mengen einfach wieder ausgeschieden wird, kann es bei Vitamin D zu Überdosierungen kommen. Dies, weil es im Körper aufgrund seiner Fettlöslichkeit gespeichert werden kann. Allerdings muss schon sehr viel davon aufgenommen werden, damit es so weit kommt. Über die körpereigene Vitamin-D-Bildung oder die natürliche Ernährung ist das nicht möglich, sondern lediglich durch übermässige Einnahme von hoch dosierten Supplementen oder Medikamenten.
In Deutschland wurde Ende 2022 bekannt, dass die Giftnotrufe aufgrund eines Vitamin-D-Überschusses in mindestens einem Gebiet (Erfurt) stark zugenommen hätten. In der Rangliste der bei den Notrufen am häufigsten betroffenen Arzneimittel stieg Vitamin D demnach von Platz 69 in 2021 auf Platz 17. Dabei sei eine einmalige Überdosierung noch nicht alarmierend, sagte eine Apothekerin gegenüber der Nachrichtenagentur AWP: «Das wird zum Problem, wenn man das jeden Tag machen würde.» Man solle sich, wenn möglich, an die empfohlene Tagesdosis von 800 IE (internationalen Einheiten) halten.
Stoffwechselexperte Schütz überrascht die Zunahme nicht: Vitamin D habe gerade während und nach Corona aufgrund seines vermeintlichen Schutzes vor einer Ansteckung erhöhte Aufmerksamkeit erhalten. Eine Häufung in der Schweiz ist ihm allerdings nicht bekannt.
Bezüglich Überdosis schreibt aber auch das BLV: «Um eine Vitamin-D-Überdosierung zu vermeiden, sollte nicht Vitamin D aus diversen Quellen (angereicherte Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Arzneimittel) gleichzeitig konsumiert werden.» Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) legt als tolerierbaren Höchstwert eine tägliche Aufnahme von 100 Mikrogramm bei Erwachsenen und 50 Mikrogramm bei Kindern fest.
Bei einer Überdosierung von Vitamin D kann es im Körper zu Hyperkalzämie kommen – einem erhöhten Kalziumspiegel. Akut führt diese zu Vergiftungserscheinungen, dazu gehören Kribbeln, Übelkeit, Appetitlosigkeit, extremer Durst, Bauchkrämpfe und Erbrechen. In schweren Fällen kann es auch zu Nierenschädigung, Nierensteinen, Herzrhythmusstörungen und Bewusstlosigkeit kommen. Und in Extremfällen kann eine Überdosis sogar lebensbedrohlich sein.
Weil wir Vitamin D im Körper speichern können, ist das Problem oft auch eine schleichende Überdosierung, die durch die tägliche Einnahme von zu hoch dosierten Supplementen entsteht. Stoffwechselexperte Schütz bestätigt: «Eine solche Intoxikation kommt bei normaler Substitution in Dosen von 800-1200 (oder auch 2000) IE pro Tag nicht vor. Dies haben neue Studien, bei denen regelmässig hohe Dosen verabreicht wurden, auch bewiesen.»
Was passiert bei einer Überdosierung mit Vitamin D?
Dann folgen viele Sätze, über die Zunahme an Notrufen in DE, dass das in CH so nicht beobachtet werden konnte,…
Nur die Antwort auf die Frage fehlt. Nichts dazu, was den passiert, was Symptome sind…
Bekommen wir diese Infos noch nachgereicht? 😉