Als das Hubble-Teleskop seinen Geist aufgab, schickten sie Claude Nicollier hoch, um es zu reparieren. In mehreren Aussenbordeinsätzen tauschte der Schweizer Astronaut zusammen mit seinen Kollegen kaputte Komponenten aus.
Beim neuen James-Webb-Teleskop, das einen noch viel tieferen Einblick ins Universum ermöglicht, geht das nicht. Viel zu weit weg ist es. In 1.5 Millionen Kilometer Entfernung, viermal weiter draussen als der Mond, kreist es mit der Erde um die Sonne.
Zumindest, wenn es die Reise bis dahin unbeschadet übersteht und sich alles so fügt, wie es die Physikerinnen und Ingenieure hundertfach berechnet und getestet haben. Derzeit befindet sich das Teleskop auf dem französischen Weltraumbahnhof Guyana, auf eine Ariane-5-Trägerrakete geschnallt, bereit zum Start. Oder eben doch noch nicht ganz.
Eigentlich sollte es am 22. Dezember losgehen. Verbindungsprobleme zwischen Teleskop und Rakete haben aber dazu geführt, dass die Verantwortlichen den Start auf Heiligabend verschieben mussten.
Es ist bei weitem nicht die erste Verzögerung. Eigentlich sollte das Teleskop bereist vor zehn Jahren in den Weltraum geschossen werden. Geplant wurde es in den 90er-Jahren, mit der Konstruktion begann man 2004.
Doch die Zeit reichte bei weitem nicht, und das Budget von 1 Milliarde Dollar wurde bald überschritten. Mittlerweile hat das Projekt über 10 Milliarden Dollar verschlungen. Den Löwenanteil steuert die amerikanische Nasa bei, dazu kommen Beiträge von der europäischen ESA und der kanadischen Raumfahrtagentur CSA.
Es ist die teuerste unbemannte Weltraummission und wohl auch die ambitionierteste. Über 1000 Wissenschafter und Technikerinnen sind daran beteiligt. Geht beim Start etwas schief, waren 15 Jahre Arbeit für nichts, und 10 Milliarden Dollar verglühen am Himmel.
«Ein Raketenstart ist immer ein kulminiertes Risiko», sagt Adrian Glauser vom Institut für Teilchen- und Astrophysik der ETH Zürich, der mit seinem Team ein Messinstrument des Teleskops mitentwickelt hat. Seit Beginn ist er dabei, sein ganzes bisheriges Forscherleben hat er dem Teleskop gewidmet. Dennoch blickt er gelassen auf den Start:
Nervös wird er, wenn er daran denkt, was danach kommt. Hat sich die Rakete aus der Erdanziehung katapultiert und die leeren Treibstofftanks abgeworfen, beginnt sich das Teleskop langsam zu entfalten - wie eine verpuppte Raupe, die als Schmetterling zum ersten Mal ihre Flügel ausbreitet.
Der Teleskopspiegel, der das Licht einfängt, hat einen Durchmesser von 6.5 Metern. Er wird von einem Sonnenschild in der Grösse eines Tennisplatzes abgeschirmt. Weil das so in keine Raumkapsel passt, haben die Ingenieure einen komplexen Faltmechanismus entwickelt. Zuerst werden die Solarzellen ausgeklappt, dann die Antenne ausgefahren, schliesslich entfaltet sich der Rest in Hunderten von kleinen Einzelschritten über mehrere Wochen. Klemmt ein Mechanismus, war alles umsonst. «Die heikelste Phase ist das Ausrollen des Sonnenschildes», sagt Glauser.
Dieses besteht aus fünf übereinander gelagerten ultradünnen Folien, die ähnlich wie Zeltplanen aufgespannt werden und Sonnenstrahlen vom Teleskop fernhalten.
Während die Temperatur auf der sonnenzugewandten Seite auf 125 Grad Celsius steigt, kühlt sie sich auf der anderen auf minus 235 Grad ab. Die Kälte knapp über dem absoluten Gefrierpunkt ist deshalb nötig, weil die Instrumente Infrarotstrahlungen beobachten können. «Wären die Instrumente nicht so kalt», erklärt Glauser, «würde ihre Eigenwärme die kosmische Strahlung überlagern.»
Insgesamt verfügt das Teleskop über vier Messgeräte. Eines davon ist das sogenannte Mid-Infrared Instrument (Miri), das Glauser und sein Team mitentwickelt haben und das besonders langwelliges Infrarot einfangen kann. Mit ihm lassen sich Planeten in fremden Sonnensystemen beobachten, aber auch das Licht von Sternen einfangen, die kurz nach dem Urknall entstanden sind und sich heute 13.5 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt befinden.
Das Teleskop ist zwar mit einem Solarmodul ausgestattet. Doch die Energie reicht für den Betrieb nicht aus. Nach rund zehn Jahren geht der Sonde der Treibstoff aus, und das Auge im Weltall erblindet. Bis dann wollen die Forscher möglichst viele neue Entdeckungen machen. Teams, die bei der Entwicklung mitgearbeitet haben, bekommen Nutzungszeit garantiert, die anderen müssen sich bewerben.
Was soll man mit der wohl komplexesten Maschine, die je unseren Planeten verlassen hat, erforschen – den Urknall, Schwarze Löcher, fremde Planeten? Nicht alle Forscherinnen und Forscher wollen dasselbe. Unter den Astrophysikern herrscht ein grosser Konkurrenzkampf: Über 1000 Teams haben Anträge eingereicht, nur jeder vierte wurde genehmigt. «Es ist wichtig, dass man möglichst gleich am Anfang etwas Spannendes entdeckt», sagt Lisa Kaltenegger von der Cornell-Universität in New York. Wer zeigen kann, dass seine Beobachtungen die Forschung weiterbringen, erhält zusätzliche Nutzungszeit.
(aargauerzeitung.ch)
Aber hoffen wir auf das beste!