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Ein Visionär der mittel­al­ter­li­chen Architek­tur: James of St. George

Schloss Chillon ist nur eine der prächtigen Bauten, die der visionäre Architekt James of St. George im Mittelalter errichtete.
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Schloss Chillon ist nur eine der prächtigen Bauten, die der visionäre Architekt James of St. George im Mittelalter errichtete.Bild: Wikimedia

Ein Visionär der mittel­al­ter­li­chen Architek­tur: James of St. George

James of St. George (ca. 1230–1309), auch Jacques de Saint-Georges d’Espéranche genannt, war ein erfolgreicher Baumeister und Militärarchitekt des Hochmittelalters. Er trug dazu bei, imposante Schlösser im ganzen Gebiet der heutigen Schweiz, in Frankreich, Italien, Wales und Schottland zu bauen und zu befestigen. James of St. George ist zweifellos einer der grössten Baumeister in der Geschichte der Schweiz.
26.10.2025, 14:3526.10.2025, 14:35
James Blake Wiener, Schweizerisches Nationalmuseum
James Blake Wiener, Schweizerisches Nationalmuseum

Über die frühen Jahre des Baumeisters James of St. George ist wenig bekannt. Sie sind Gegenstand wissenschaftlicher Spekulationen. So sind einige Historikerinnen und Historiker der Ansicht, dass er im französischen Saint-Georges d’Espéranche auf die Welt kam; aber er wurde wohl zwischen 1230 und 1235 in Saint-Prex in der Schweiz geboren. Der Vater von James war ein talentierter Maurer, der in mittelalterlichen Schriften «Maître Jean» genannt wird. Es wird vermutet, dass dieser möglicherweise die gleiche Person war wie Johannes Cotereel – ein normannischer Architekt, der den Bau der Kathedrale von Lausanne und anderer Bauten in der Westschweiz überwachte. Dafür gibt es aber keine Beweise.

Auch handfeste Details zur Identität von James’ Frau Ambrosia und seiner Söhne Giles und Tassin liegen im undokumentierten Dunkel der Zeit verborgen. Sicher ist jedoch, dass James zunächst mit seinem Vater arbeitete, der als Architekt und Maurer im Dienst der Grafen Peter II. von Savoyen (reg. 1263–1268) und Philipp I. von Savoyen (reg. 1268–1285) stand. Es wird davon ausgegangen, dass James später mit dem prominenten gaskonischen Militäringenieur Jean Mésot arbeitete.

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Peter II. empfängt einen Berner Gesandten vor dem Schloss Chillon. 1255 schloss der Graf das erste Schutzabkommen mit der Stadt Bern ab. Illustration aus der Spiezer Chronik (1485) von Diebold Schilli ...
Peter II. empfängt einen Berner Gesandten vor dem Schloss Chillon. 1255 schloss der Graf das erste Schutzabkommen mit der Stadt Bern ab. Illustration aus der Spiezer Chronik (1485) von Diebold Schilling.Bild: Wikimedia

Von Savoyen nach Wales

In den späten 1250er-Jahren bis Mitte der 1270er-Jahre taucht James oder «Magistro Jacobo» in verschiedenen Aufzeichnungen und Schriften auf, die seine aktive Beteiligung an einer Vielzahl von umfangreichen Architekturprojekten in Savoyen und in der Dauphiné belegen. Zu den Highlights von James’ frühen Unterfangen gehören die Schlösser und Burgen von Yverdon, Chillon, Romont, La Bâtiaz, die alten Mauern von Saillon, das Schloss von Saint-Georges d’Espéranche ausserhalb von Lyon, Frankreich, und die Burg Châtel-Argent im italienischen Aostatal.

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Burgenbauten von James of St. George in der Schweiz

Zu den Glanzstücken von James’ frühen Bauten gehören die Schweizer Schlösser von Yverdon (VD) ...

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Es wird spekuliert, James habe seine Hände zwischen 1275 und 1278 auch beim Wiederaufbau der Schlösser in Grandson (VD) und Lucens (VD) im Spiel gehabt, ebenso wie möglicherweise bei den Burgen von Montmélian, Melphe und Côte-Saint-André in Frankreich.

Dann veränderte ein Ereignis der diplomatischen Geschichte James’ Leben unwiderruflich. 1273 reiste der englische König Eduard I. (reg. 1272–1307) auf seiner Rückreise von den Kreuzzügen durch Savoyen. Die Grossmutter mütterlicherseits von Eduard I., Beatrix von Savoyen, war die ältere Schwester von Philipp I. und es bestanden herzliche Beziehungen zwischen England und Savoyen. Ausserdem war Eduard I. der feudale Oberherr verschiedener Ländereien in der Nähe von savoyischen Alpenpässen. Aus diesem Grund richtete Eduard I. im neuen Schloss von Saint-Georges d’Espéranche eigens eine Feier aus, während der ihm sein Grossonkel Philipp I. seine Ehrerbietung erweisen konnte.

König Eduard I. von England und seine Gemahlin, die Königin Eleonore von Kastilien, Lincoln Cathedral.
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König Eduard I. von England und seine Gemahlin, die Königin Eleonore von Kastilien, Lincoln Cathedral.Bild: Wikimedia

Der von der Grösse des Schlosses und der Qualität des Baus beeindruckte Eduard I. nahm James’ vielversprechendes Talent zur Kenntnis. Irgendwann zwischen 1273 und 1278 lud er James ein, für ihn in Wales zu arbeiten. James nahm die Einladung im Frühling 1278 an. Es ist bekannt, dass seine Frau Ambrosia ihn von Savoyen nach Wales begleitete, aber es scheint, dass mindestens einer seiner Söhne in der Romandie zurückblieb.

Bau von Schlös­sern und kulturel­len Brücken

Während des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts fanden viele Savoyarden wie James ein lukratives Auskommen in England; interessanterweise stammten die bedeutendsten Höflinge und Berater von Eduard I. aus Savoyen. Otton de Grandson (ca. 1238–1328) war der beste Freund des Königs und in den 1280er-Jahren Justiciar von Nordwales, während der Cousin von Eduard I., der künftige Graf Amadeus I. von Savoyen (reg. 1285–1323) Eduard in seinen walisischen Feldzügen (1278–1283) als Kommandant diente.

So ist es denn auch nicht überraschend, dass Eduard I. das organisatorische und technische Fachwissen von James umgehend für den Bau einer Reihe monumentaler Burgen nutzte. Diese sicherten während den anschliessenden Feldzügen und der Besiedlung von Wales nicht nur die englische Macht, sondern demonstrierten auch die königliche Gewalt und militärische Stärke.

«... Sollten Sie sich wundern, wohin so viel Geld in einer Woche verschwinden kann, möchten wir Sie wissen lassen: wir brauchten – 400 Maurer, sowohl Steinhauer als auch Leger, zusammen mit 2000 weniger qualifizierten Arbeitern, 100 Karren, 60 Fuhrwerken und 30 Booten für den Transport von Steinen und Meerkohle; 200 Grubenarbeiter; 30 Schmiede; und Zimmerer für den Einbau der Balken und Bodenbretter ebenso wie für andere notwendige Arbeiten. Bei all dem ist weder die oben erwähnte Besatzung einberechnet, noch der Kauf des Materials, von dem wir eine grosse Menge benötigen werden ...Wir sind immer noch im Verzug mit der Zahlung der Männer und haben grosse Schwierigkeiten, sie zu halten, weil sie ganz einfach nichts zum Leben haben ...»
James of St. Georges Begründung für die enormen Ausgaben beim Bau von Beaumaris Castle in den 1290er-Jahren in einem Brief an den Schatzmeister und die Barone des Schatzamtes von Eduard I.

Zwischen 1278 und 1295 übersah James den Bau der Burgen von Aberystwyth, Beaumaris, Builth, Caernarfon, Conwy, Denbigh, Flint, Harlech und Rhuddlan in Wales. Umfangreiche schriftliche Belege enthüllen, dass James Savoyer Landsleute mit grosser Maurererfahrung rekrutierte und sich auf sie verliess, und dass er mit den beiden führenden englischen Architekten seiner Zeit – Richard dem «Ingenieur» von Chester (ca. 1265 bis ca. 1315) und Walter von Hereford (fl. 1277, † 1309) – zusammenarbeitete.

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Burgen von James of St. George in Wales

Caernarfon Castle

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James beanspruchte immer wieder eine regelrechte Heerschar an qualifizierten Handwerkern, Arbeitern und Transportmitteln. Der Mangel an verfügbaren Arbeitskräften war ein dauerhaftes Problem, ebenso wie die Verzögerungen in der Lieferkette und die drohende Rebellion der Waliser. Die Vermittlung zwischen Hofrittern, Verwaltern, Buchhaltern und Arbeitern erforderte viel Zeit und Geduld, ebenso wie die Sprachbarrieren zwischen Savoyer, Waliser und englischen Maurern.

James’ Werk war gigantisch, teuer und zeitaufwändig. Nichtsdestotrotz gefiel Eduard I. das Endergebnis seiner harten Arbeit und er entschädigte James mit einem hohen Gehalt. In englischen Dokumenten ist James’ Aufstieg offensichtlich: In den 1280er-Jahren ernannte Eduard I. ihn zum «Master of the King's Work in Wales» und 1290 zum Constable der Burg Harlech.

Ein in Stein gehauenes Vermächt­nis: James of St. Georges letzte Projekte

Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass James architektonische Elemente – Kennzeichen wie die runden Wehrtürme, spitzen Zinnen, abschliessbaren Räume für die Aufbewahrung persönlicher Gegenstände, Aborterker und Fenster – aus Savoyen nach Wales mitbrachte, zeigt die jüngere Forschung auf, dass Eduard I. beim Bau der Waliser Burgen ebenfalls eine massgebende Rolle spielte. Dies ist in Anbetracht ihrer enormen militärischen und politischen Bedeutung verständlich.

So war es Eduard, der bei der Gestaltung und Aufteilung der Burgen das letzte Wort hatte. Der weitgereiste Monarch hatte unzählige Burgen, Schlösser und Festungen in halb Europa und im Nahen Osten besucht. Als Folge davon stellen Historikerinnen und Historiker in den Mauern der Waliser Burgen mit den konzentrischen Grundrissen und zweitürmigen Torhäusern nicht nur einen grossen anglo-savoyischen Einfluss fest, sondern auch architektonische Einflüsse aus Frankreich, der Levante und Byzanz. Eduard I. war Hygiene wichtig und er wies James sogar an, zusätzliche Latrinen vorzusehen, die überall in den Waliser Burgen verteilt waren.

Statue von Baumeister James of St. George in der Burg Beaumaris.
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Statue von Baumeister James of St. George in der Burg Beaumaris.Bild: Wikimedia

James arbeitete bis ins hohe Alter, wo ihn das geopolitische Kalkül von Eduard I. in den 1290er-Jahren als direkte Folge des Französisch-Englischen Kriegs (1294–1303) und des Ersten Schottischen Unabhängigkeitskriegs (1296–1328) von Wales nach Frankreich und Schottland führte. In Schottland überholte James im frühen 14. Jahrhundert die Befestigungen der Burg Linlithgow, verstärkte die Verteidigung von Stirling Castle und möglicherweise bald darauf jene von Kildrummy Castle.

Auf dem Kontinent arbeitete James auf Bitte des politischen Verbündeten von Eduard I., dem Papst Clemens I., im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts auch an den Schlössern von Villandraut und Roquetaille in der Gascogne. Die letzten Spuren, die Historikerinnen und Historiker von James’ Arbeit gefunden haben, ist eine Zahlung von £20.00 am 4. September 1306 (inflationsbereinigt entspricht dies heute £20'237.60). James starb 1309 entweder in Wales oder Schottland.

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Burgen von James of St. George in Frankreich, Italien und Schottland

James of St. Georges Vermächtnis umfasst auch das Schloss Roquetaillade in Frankreich ....

quelle: wikimedia
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Architekturhistorikerinnen und Architekturhistoriker kristallisieren James brillante Fähigkeit heraus, mit seinem breiten Wehrtechnikwissen die architektonischen Vorlieben seines Königs auszuführen. Dies bezeugt seine aussergewöhnlichen Fähigkeiten als hartnäckiger Projektorganisator. Darüber hinaus zeigt James’ Karriere eine bemerkenswerte Vielseitigkeit und Fertigkeit. James war nicht nur in weiten Teilen für die Aufsicht und Organisation der wohl wichtigsten mittelalterlichen Militärbauten in Grossbritannien verantwortlich, sondern trug auch zu berühmten Bauwerken in der Schweiz bei. Er erwies sich so als verblüffende Mischung zwischen Beamter, Kulturbotschafter, Architekt und Baumeister.

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Desgleichen zeigt James’ interessantes Leben auf, welch markanten Einfluss er und andere Savoyarden im Dienst von Eduard I. auf die Ausgestaltung der Militär- und Politikkultur des mittelalterlichen Englands hatten. Dies ist der Grund, weshalb ihn viele zu den grössten Architekten und Baumeistern des Mittelalters zählen, und weshalb sein Werk in der Schweiz mehr Anerkennung verdient.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Ein Visionär der mittel­al­ter­li­chen Architek­tur: James of St. George» erschien am 3. Dezember 2024 und wurde am 14. Oktober 2025 aktualisiert.
blog.nationalmuseum.ch/2024/12/ein-visionaer-der-mittelalterlichen-architektur-james-of-st-george
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