Es war die Zeitung Walliser Volksfreund, die 1946 nach dem Hinschied von Franz Heinrich Achermann vom «bekannten Schweizer Volksschriftsteller» schrieb: Er sei der «schweizerische Karl May» gewesen; später nennt man ihn im Wallis auch den «schmissigen» Literaten, der mit seinen «witzigen und spritzigen Pointen» das «Volksempfinden angemessen» abgebildet habe.
Aufgrund dieser Charakterisierungen ist gleich klar: Wir haben es hier nicht mit einem vergessenen Fall von Weltliteratur zu tun, aber mit einem Autor, der sich nicht zu schade war, in die Trickkiste der modernen Didaktik zu greifen: Er mischte grosse Stoffe mit identifikatorischen Figuren, mit Humor, Spannung und Anschaulichkeit – er war quasi der Johannes Mario Simmel der Schweizer Jugendliteratur. Oder wie die Walliser Lokalzeitung meinte: «der schweizerische Karl May».
Drehen wir den Film etwas zurück: Franz Heinrich Achermann (1881–1946) stammte aus dem luzernischen St. Erhard, war das Kind von Pädagogen, wuchs im Haus mit dem schönen Namen «Eselhüsli» auf und wurde katholischer Geistlicher. Es folgten nach der Primiz Anstellungen als Pfarrhelfer und Vikar in Schaffhausen (1908–1913), in Oberdorf SO (1913–1920), Basel (1920–1929) und Kriens LU (ab 1930). Achermann war sehr beliebt. Vor seinem Beichtstuhl gab es jeweils Warteschlangen, und bei seinen Predigten mussten schon mal die Kirchenportale offengelassen werden, weil ihn so viele Menschen hören wollten.
Denn Vikar Achermann war ein begabter Geschichtenerzähler und Pointendrescher: Das Marienheim mit seinen älteren Bewohnerinnen nannte er etwa «Chrampfadere-Klub». Und Schülerinnen oder Schüler, die spät im Unterricht erschienen, verglich er mit einem «Doktorgütterli, jedi Stund en Tropf». Aber er war auch ein leidenschaftlicher Jäger und liess kaum einen feuchtfröhlichen Jassabend aus – kurz: Er galt, wie der Krienser Ortshistoriker Jürg Studer meinte, als ein «Haudegen Gottes».
Neben seinen aufwändigen Tätigkeiten im Dienste der katholischen Kirche schrieb Franz Heinrich Achermann über 40 Romane und Dramen. Auch wenn er mit dem deutschen Kollegen Karl May verglichen wurde, schuf er keine Erzählungen aus dem Wilden Westen als vielmehr aus prähistorischer Zeit. Denn während seinem Wirken am Solothurner Jurasüdfuss hatte er aktiv bei prähistorischen Grabungen und Forschungen mitgeholfen. Achermann schrieb spannende Jugendromane wie etwa «Der Jäger vom Thursee», «Der Schatz des Pfahlbauers» oder «Kannibalen der Eiszeit». Damit katapultierte er sich zum meistgelesenen Jugendbuchautor der Schweiz seiner Zeit.
Aber Achermann bediente sich auch sonst an der Schweizer Geschichte, gerne an der Innerschweizer Geschichte seiner Herkunft. So verarbeitete er die Geschichte von Bruder Klaus, Nidwaldens Kampf gegen die Einheitsverfassung von 1798 oder das Drama der königstreuen Schweizer Söldner während der Französischen Revolution in Paris 1789.
Bei allen Erzählungen, egal ob sie in der Prähistorie oder im 18. Jahrhundert spielten, stellte Achermann die Menschen in den Mittelpunkt, welche grosse Not und schicksalshafte Begegnungen erlebten, aber eigentlich nach Liebe suchten. Programmatisch schrieb er im Vorwort von «Die Jäger vom Thursee»: «Möge die vorliegende Erzählung in Romanform nur den einen Zweck erreichen: die Liebe zur heutigen Heimat zu mehren und das Interesse für deren grosse Vergangenheit zu vertiefen.»
Bei den 31 Romanen kam die Quantität eher vor der Qualität. Die Neuen Zürcher Nachrichten schrieben von einer «recht eigenwilligen Schreibweise», die «gar nicht etwa zimperlich» war, damit fand Achermann «zum Herzen ungezählter begeisterter Leser im ganzen deutschen Sprachgebiet». Andere Zeitgenossen waren kritischer. Sie schrieben die Germanisten Severin Perrig und Beat Mazenauer in Achermanns Biografie:
Das schnelle Schreiben und die schnelle Zuordnung von Gut und Böse passten gut zur Persönlichkeit des Vikars. Stilistisch und inhaltlich entsprachen die Erzählungen dem pathetischen und nationalistischen Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts. Im Schulzimmer unterstrich er seine Erzählungen gerne mit drastischen Szenen oder musikalischen Einlagen.
Einige Anekdoten scheinen aus heutiger Sicht mehr als befremdend und zeichnen das Bild einer impulsiven oder gar überbordenden Persönlichkeit: Einen Buben soll er in den Nacken gezwickt haben, um ihm das Gefühl einer Hinrichtung mit dem Fallbeil zu geben. Ein Mädchen, das zu spät in den Religionsunterricht kam, soll er so fest gepackt haben, dass die Mantelknöpfe davongeflogen seien. Religion unterrichtete er jeweils nur in den ersten zehn Minuten, dann setzte er auf Geschichten, die er moralisch durchtränkte. Achermann war eine psychische und physische Kraftnatur. Das könnte dazu geführt haben, dass er Vikar blieb und nie Pfarrer wurde.
Im Alter von 64 Jahren starb Achermann an Lungenkrebs. Die Beerdigung am 22. April 1946 blieb über Jahrzehnte in Kriens im Gespräch: Zuerst sei ein nicht endend wollender Trauerzug durch das Dorf gezogen, noch kaum je habe man in Kriens eine so grosse Menschenmenge bei einer Abdankung gesehen. Sogar Bischof Franziskus von Streng war gekommen, um sich vom populären Gottesmann zu verabschieden. Harmoniemusik und Kirchenchor begleiteten Achermanns Abschied ebenso wie die umflorten Banner der katholischen Standesvereine, der Ortsvereine und des schweizerischen Studentenvereins.
Damals wurde vielfach eine Anekdote Achermanns zum Besten gegeben. Während des Zweiten Weltkriegs habe Achermann stets seine Pistole unter der Soutane getragen. Bei Kriegsende, am 8. Mai 1945, soll er mit dieser Pistole aus dem Fenster im zweiten Stock des Krienser Pfarrhofs St. Gallus gezielt haben. «Spinnst Du komplett?», habe ein Kollege gefragt. «Nein, diese Munition hatte ich für Adolf reserviert. Aber der braucht sie nicht mehr...», soll Achermann geantwortet und eine Krähe vom Baum geschossen haben.
CF