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Schweiz

Neuer Moderna-Impfstoff soll alle Varianten abdecken - und länger halten

Interview

Neuer Impfstoff von Moderna: «Wollen damit alle besorgniserregenden Varianten abdecken»

Die US-Biotechfirma arbeitet an einem Vakzin, das sowohl ältere Varianten als auch Omikron abdeckt. Später will das Unternehmen einen Impfstoff entwickeln, mit dem man sich sowohl vor Corona als auch vor der Grippe schützen kann.
06.04.2022, 14:42
Andreas Möckli / ch media
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Dan Staner, Vizepraesident und Europachef von Moderna posieren fuer ein Portrait nach einer Medienkonferenz, an der sie ueber die Lieferung von Impfdosen und die laufende Impfkampagne informiert haben ...
Ein neuer Impfstoff gegen die Omikron-Variante soll im Herbst bereitstehen, sagt Dan Staner, Europa-Chef von Moderna.Bild: keystone

Wir treffen Dan Staner an der Gesundheitstagung Future Health in Basel. Der Europa-Chef des Impfstoffherstellers Moderna spricht dort über die Pläne seiner Firma. Nach seinem Vortrag treffen wir den 53-Jährigen zum Interview.

Die Maskenpflicht ist seit letzter Woche in der Schweiz Vergangenheit. Tragen Sie noch eine Maske im öffentlichen Verkehr oder in Läden?
Dan Staner: Ich habe stets eine Maske dabei (nimmt eine schwarze FFP2-Maske hervor). Wenn sich zu viele Leute an einem Ort ansammeln, etwa im öffentlichen Verkehr, dann ziehe ich sie an.

Der Bundesrat überlässt die Bekämpfung der Pandemie weitgehend den Kantonen. Viele werden darin in der Haltung bestärkt, die Pandemie liege in der Vergangenheit. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Wenn sie mich vor vier oder sechs Wochen gefragt hätten, wäre meine Antwort gewesen, dass wir uns von einer Pandemie hin zu einer endemischen Phase bewegen. Dies ist zwar noch immer die Richtung. Doch wenn sie sich die Situation in China, Hongkong oder etwa Südkorea anschauen, so denke ich, dass es länger dauern wird, bis wir die endemische Phase erreichen.

Wie reagiert Moderna darauf?
Wie arbeiten an einem Impfstoff der nächsten Generation. Wir wollen damit alle besorgniserregenden Varianten abdecken, gerade mit Blick auf Omikron. Ziel ist es zudem, dass der Schutz gegen das Virus breiter ist und länger anhält.

«Im Fall von Omikron verhindern die heutigen Vakzine vor schweren Verläufen, Hospitalisierungen und Todesfällen.»

Gleichzeitig macht sich eine gewisse Enttäuschung breit, dass die bestehenden Impfstoffe nur noch sehr bedingt vor einer Ansteckung schützen. Was sagen Sie dazu?
Nicht nur unsere Studien, sondern auch jene zahlreicher Regierungen zeigen, dass die bestehenden Impfstoffe sehr gut vor den Alpha-, Beta- und Delta-Varianten und dem ursprünglichen Virus schützen. Im Fall von Omikron verhindern die heutigen Vakzine vor schweren Verläufen, Hospitalisierungen und Todesfällen.

Die Maske ist weiterhin steter Begleiter: Sobald sich viele Leute an einem Ort aufhalten, zieht Dan Staner sie an.
Die Maske ist weiterhin steter Begleiter: Sobald sich viele Leute an einem Ort aufhalten, zieht Dan Staner sie an.Bild: Nicole Nars-Zimmer

Gegen Ansteckungen der Omikron-Variante ist der Schutz bescheiden.
Wir sehen, dass die Omikron-Variante trotz Impfungen die Immunreaktion des menschlichen Körpers umgehen kann. Mittlerweile kennen wir 50 Mutationen der Omikron-Variante. Selbst wenn jemand sich mit der Delta-Variante infiziert hat, erkennt das Immunsystem in vielen Fällen die Omikron-Variante nicht mehr. Wir arbeiten daher an einem multivalenten Impfstoff.

Das müssen Sie erklären.
Das neue Vakzin soll vor verschiedenen Virusstämmen schützen. Einerseits wird die Impfung den ursprünglichen Wuhan-Stamm abdecken und damit vor den Alpha-, Beta- und Delta-Varianten und dem ursprünglichen Virus schützen. Andererseits soll die Impfung gegen den Omikron-Stamm wirken.

Wie sieht der Fahrplan für dieses Vakzin aus?
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen könnte die nächste Coronawelle im Herbst in der westlichen Hemisphäre auftreten. Wir hoffen, dass wir Ende des Sommers mit den Lieferungen beginnen können, wenn die Daten von den Gesundheitsbehörden zugelassen werden. Wir werden die Studien der dritten und letzten Phase der klinischen Entwicklung im Mai oder Juni abschliessen. Danach werden wir die Zulassungsanträge in den verschiedenen Ländern stellen.

Was ist das Ziel der klinischen Studien?
Der neue bivalente Impfstoff soll besser schützen als das bestehende Vakzin. Die Wirksamkeit des bestehenden Impfstoffs war gegen die Alpha-, Beta- und Delta-Varianten sehr gut. Nun streben wir für die Omikron-Variante vergleichbare Resultate an.

Handelt es sich also um eine weitere Boosterimpfung?
Ja.

«Ich vertraue darauf, dass die Schweizer Regierung die richtige Entscheidung für die Bevölkerung trifft.»

Was ist mit Personen, die bisher noch gar nicht geimpft wurden?
Personen, die noch nicht geimpft wurden, benötigen zu diesem Zeitpunkt die erste Impfserie (zwei Dosen), bevor sie eine neue Auffrischungsimpfung erhalten. Der Impfstoff der nächsten Generation wird eine Auffrischungsimpfung für die Personen sein, die zuvor geimpft wurden.

Die Schweiz tut sich im Gegensatz zu anderen Ländern schwer mit der zweiten Boosterimpfung. Die zuständige Kommission rät sogar davon ab. Eine Zulassung durch die Swissmedic steht aus. Handelt die Schweiz fahrlässig?
Es liegt in der Natur der Sache, dass jedes Land eine eigene Empfehlung bezüglich der Coronaimpfung abgibt. Ich vertraue darauf, dass die Schweizer Regierung die richtige Entscheidung für die Bevölkerung trifft. Ich möchte betonen: Unsere Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit und Swissmedic ist hervorragend. Die Schweiz war eines der ersten drei Länder, die auf mRNA-Impfstoffe gesetzt hat, die heute zum Goldstandard geworden sind. Das Land gehört zu den Ersten, die grössere Mengen unseres Impfstoffs erhalten haben. Davor ziehe ich meinen Hut.

Sie haben ein Programm für Länder gestartet, die Produktionskapazitäten für sich selber aufbauen möchten. Mit dabei sind zurzeit Kanada, Australien und Kenia. In der Schweiz in Visp VS werden grosse Mengen des Wirkstoffs für den Impfstoff vom Basler Pharmazulieferer Lonza hergestellt. Ist das hier also nicht nötig?
Viele Länder möchten ein Produktionswerk auf ihrem Grund und Boden, um nicht Lieferengpässen ausgesetzt zu sein. Offensichtlich braucht das die Schweiz nicht.

ARCHIVBILD ZUR MELDUNG, DASS LONZA IN VISP 1200 NEUE ARBEITSPLAETZE SCHAFFT, AM SAMSTAG, 10. APRIL 2021 - Une vue general du site de la Lonza en Valais le jeudi 6 aout 2020 a Viege. Le projet Ibex est ...
Hier werd grosse Mengen des Wirkstoffs für den Moderna-Impfstoff hergestellt: Werk in Visp VS des Basler Pharmazulieferers Lonza.Bild: keystone

Visp ist also eine Art Versicherung für die Schweiz?
Absolut. Hinzu kommt, dass der Bedarf der Schweiz nur einen sehr kleinen Teil der Menge ausmacht, die in Visp jährlich hergestellt wird.

Wie viele Impfstoffdosen können derzeit in Visp pro Jahr hergestellt werden?
Wir geben diese spezifische Information nicht bekannt. Visp ist ein wichtiger Teil unseres Produktions- und Liefernetzwerks, das im Jahr 2021 über 800 Millionen Dosen unseres Coronaimpfstoffs geliefert hat.

Und welche Pläne haben Sie mit Blick auf die Zusammenarbeit mit Lonza in Visp?
Im Mai 2020 kündigten wir eine zehnjährige strategische Kooperationsvereinbarung mit Lonza an, um die Herstellung unseres Coronaimpfstoffs und weiterer mRNA-Produkte in der Zukunft zu ermöglichen. Unsere ursprüngliche Vereinbarung sah die Installation von drei Produktionslinien an unserem Standort in Visp vor. Im vergangenen Jahr haben wir unsere Zusammenarbeit mit Lonza weiter ausgebaut, um unsere mRNA-Wirkstoffherstellung zu erweitern.

«Oft geht vergessen, dass unsere mRNA-Technologie längst nicht nur gegen Corona eingesetzt werden kann».

Sie wollen sich auch stärker Akademikern und unabhängigen Forschungsgruppen öffnen. Wie sieht das in der Schweiz aus?
Wir befinden uns in Gesprächen mit einigen Schweizer Forschungsgruppen, aber aus Gründen der Vertraulichkeit kann ich dazu nicht mehr sagen. Ziel ist es, die mRNA-Technologie näher an die Forscher und Wissenschafter zu bringen, die ein Interesse daran haben. Oft geht vergessen, dass unsere mRNA-Technologie längst nicht nur gegen Corona eingesetzt werden kann, sondern auch gegen zahlreiche andere Krankheiten und Krankheitserreger.

Moderna hat ihren Europa-Sitz in Basel errichtet. Haben Sie den Entscheid je bereut?
Noch nie. Basel ist ein toller Standort. Wir sind hierhergekommen, weil die Dichte an Pharma- und Biotechexpertise fast nirgends so hoch ist. Wir finden hier alle Fähigkeiten, die wir brauchen, sei es in Belangen der Medizin, Vertrieb, Produktion, Qualitätskontrolle, Regulatorisches und so weiter.

Gibt es das nicht auch anderswo?
Natürlich gibt es Konkurrenzstandorte wie Amsterdam oder Oxford in Grossbritannien. Für uns sind die Schweiz und Basel die Orte, wo wir sein müssen.

Sie finden also die nötigen Fachkräfte trotz prominenter Konkurrenz durch Roche, Novartis und Co.?
Wir haben keine Mühe damit. Gerade Mitarbeitende, die von grossen Pharmakonzernen kommen, fühlen sich angezogen und schätzen Firmen wie Moderna wegen ihres Unternehmergeistes, ihrer Agilität und des dynamischen Arbeitsumfelds. Uns gibt erst seit 2010, vor rund zwei Jahren begann das enorme Wachstum. Bei uns sind die Wege viel kürzer und wir treffen Entscheidungen bestimmt viel schneller.

Und wenn Sie morgen ein Angebot von Roche oder Novartis erhielten?
Ich bin sehr zufrieden bei Moderna. Ich selber komme ja aus der Welt der «Big Pharma». Dort habe ich sehr viel gelernt und bin auch dankbar dafür. Ich denke, ich kann bei Moderna weiterhin viel lernen als auch beitragen.

Wie viele Mitarbeitende sind hier beschäftigt und wie sehen die Pläne in diesem und den nächsten Jahren aus?
Wir haben mit zwei Angestellten gestartet und sind nun bei 140 angelangt. Bis Ende Jahr erwarten wir, dass unser Team weiter wachsen wird.

Die tiefen Steuern waren also nicht, wie in einigen Medien kolportiert, ausschlaggebend für den Entscheid, nach Basel zu kommen?
Nein.

FILE - Vials for the Moderna and Pfizer COVID-19 vaccines are seen at a temporary clinic in Exeter, N.H. on Thursday, Feb. 25, 2021. The Food and Drug Administration has authorized another booster dos ...
Im Herbst rechnet Moderna mit einer Zunahme der globalen Impfstoff-Nachfrage.Bild: keystone

Wie schätzen Sie die globale Nachfrage nach Coronaimpfstoffen in den nächsten ein bis zwei Jahren ein?
Was derzeit in Asien passiert, ist besorgniserregend. Dennoch nimmt derzeit die Nachfrage nach Impfstoffen ab, da sich die Situation in vielen anderen Ländern normalisiert. Im Herbst rechnen wir mit einer Zunahme der globalen Nachfrage, da sich die meisten Länder auf eine nächste Welle vorbereiten. Wir sind zuversichtlich, dass unser Impfstoff der nächsten Generation dazu einen wichtigen Beitrag leisten kann.

Sie können die Nachfrage also decken?
Ja, absolut.

Sie klingen sehr zuversichtlich.
Wir haben die Kapazitäten kontinuierlich ausgebaut. Natürlich kann es immer Probleme in der Herstellung kommen. Aber wir sind optimistisch, wie wir es schon immer waren.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie selber erlitten stressbedingt im vergangenen Jahr eine Thrombose. Wie geht es Ihnen?
Inzwischen geht es mir wieder gut. Vor allem im Herbst 2020, noch bevor die ersten Dosen ausgeliefert wurden, war die Belastung enorm. Wir mussten damals alles von null aufbauen, von der Produktion über den Verkauf bis hin zur Qualitätssicherung, Einhalt der regulatorischen Vorschriften, Vertrieb, Finanzen, Personal, einfach alles. Wir haben alle pro Tag fünfzehn Stunden gearbeitet, die Wochenenden inklusive. Da sämtliche Sitzungen nur virtuell abgehalten wurden, sass ich den ganzen Tag über vor dem Bildschirm. Das führte zu einer Thrombose in meinem Bein. Inzwischen habe ich ein Stehpult und eine Sitzgelegenheit, mit der ich ständig in Bewegung bleibe. (bzbasel.ch)

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