«Wir müssen uns nicht verzwergen, die Schweiz ist ein wichtiger Handelspartner der USA.» Das sagte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter am 3. April im Gespräch mit Studierenden in St. Gallen.
«Amerika ist als Partner stärker als wir, deshalb entscheiden letztlich die USA.» Das sagte Verteidigungsminister Martin Pfister am 12. August vor den Medien zum Preis der Kampfjets F-35, die bis 1,3 Milliarden teurer werden, als angeblich vertraglich vereinbart.
Zwei Zitate von zwei Regierungsmitgliedern, eine Kampfansage und eine Kapitulation. Dazwischen liegen vier Monate Achterbahnfahrt der Schweizer Politik. Und ganz viel Erkenntnisgewinn: Die USA springen im Zollkrieg mit keinem europäischen Land so rücksichtslos um wie mit der Schweiz. Im Streit um den Preis der F-35 wurden die Schweizer Unterhändler abgeputzt wie Schulbuben.
Angesichts der jüngsten Entwicklungen fragt sich: Hat Keller-Sutter die Schweiz überschätzt – oder ist Pfister viel zu rasch eingeknickt?
Weder noch. Die Erklärung der scheinbar widersprüchlichen Zitate der Bundespräsidentin und des Verteidigungsministers findet sich in zwei gegensätzlichen Eigenschaften der Schweiz: Unser kleines Land spielt wirtschaftlich in der obersten Liga – ist aber politisch nur ein Scheinriese.
Als Wirtschaftsmacht steht die Schweiz mit 300 Milliarden Dollar auf Platz 6 bei den Direktinvestitionen in den USA. Das rund zehnmal grössere Deutschland hat 506 Milliarden Dollar investiert. Als die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im April zu Donald Trump reiste, versprach sie, dass italienische Unternehmen in den nächsten Jahren 10 Milliarden Dollar in den USA investieren würden. Die Schweiz versprach den USA 150 Milliarden – fünfzehnmal mehr. Geholfen hat es nichts.
In der obersten Liga spielt auch der Finanzplatz – in guten wie in schlechten Zeiten. Seit 2016 wird die Schweiz zu den jährlichen Treffen der G-20-Finanzminister eingeladen. Zweimal pro Jahr sitzen die Finanzministerin, der Wirtschaftsminister und meist auch der Nationalbankpräsident am Tisch der Grossen in Washington, wenn Weltbank und der Internationale Währungsfonds tagen.
Während der CS-Rettung im Frühling 2023 hatte Finanzministerin Karin Keller-Sutter fast schon eine Standleitung zu ihrer US-Kollegin Janet Yellen. Ein weiterer Kollege soll ihr gesagt haben: «you saved the world». Keller-Sutter gab Interviews in angelsächsischen Medien. Die britische «Financial Times» kürte sie zu den einflussreichsten Frauen der Welt.
Zwar hat die Schweiz seither mit der UBS nur noch eine Grossbank, doch diese gehört zu den grössten der Welt. Der Finanzplatz ist bedeutend – das öffnet dem Bund Türen zu wichtigen Entscheidträgern rund um die Welt.
Als Türöffner engagieren sich auch Diplomatinnen und Diplomaten des Aussendepartements von Ignazio Cassis. Etwa bei der Organisation des Treffens zwischen China und den USA im Handelsstreit im Mai in Genf. Die Schweiz kann Plattformen bieten – und nebenbei Kontakte knüpfen. So kam man in Genf überhaupt mit Trumps Finanzminister Scott Bessent und dem US-Handelsbeauftragten Jamieson Greer ins Gespräch.
Auch die guten Dienste der Schweiz, etwa als Briefträgerin in Iran, nehmen die USA im Krisenfall zwar gerne in Anspruch. Das zeigte sich während Israels Angriffen auf Teheran. Zu viel Dankbarkeit sollte man aber nicht erwarten: Das Engagement in Iran hat der Schweiz im Zollstreit kein einziges Prozent Rabatt eingebracht. Und schon am Tag nach dem Genfer Gipfel mit China drohte Trumps Regierung mit horrenden Strafzöllen gegen die Pharmafirmen – nicht zuletzt jene aus der Schweiz.
Besonders ungünstig für Bundesbern: Ausgerechnet jene politischen Felder, in denen die Schweiz ihre Stärken hat, interessieren Trump kaum. Die UNO, die Weltgesundheitsorganisation oder die Welthandelsorganisation WTO – ihnen dreht Trump lieber den Geldhahn zu oder er blockiert Verfahren, als dass er sich darin engagiert.
Dumm ist auch, dass die Schweiz als Exportnation zwar extrem erfolgreich ist, der eigene Markt für andere Länder aber vergleichsweise irrelevant ist. Gegenmassnahmen wie Zölle auf US-Rindfleisch oder Harley-Davidson wären für die USA nicht spürbar. Das Drohpotenzial? Extrem bescheiden.
Lange war ihre Doppelrolle für die Schweiz ein Vorteil: Wirtschaftlich war sie bestens vernetzt und als zuverlässige Handelspartnerin geschätzt. Politisch blieb sie unauffällig, hielt sich aus Konflikten raus und bot allseits diskrete Vermittlerdienste an.
In Trumps chaotischer Reality-Show aber haben sich die Schweizer Vorteile ins Gegenteil verkehrt: Die Schweiz ist wirtschaftlich zu gross, um sich unter Trumps Radar wegzuducken – ein wirtschaftlicher Grosszwerg, der offensichtlich den Zorn des launischen Präsidenten auf sich gezogen hat. Und politisch ist sie in einer Welt der schieren Machtpolitik eben nurmehr ein Scheinriese: Aus der Ferne gesehen mitunter imposant, je näher man aber hinsieht, umso kleiner für den Rest der Welt.