Am späten Abend des 1. Mai 1958 kehrte die Gattin des Landmaschinenhändlers Zumbach vom Nähkränzchen heim. Während sie noch ein Schwätzchen mit der Nachbarin hielt, hörte sie Schüsse und Hilferufe aus dem Haus im Genfer Vorort Plan-les-Ouates.
Als sie nach dem Rechten schauen wollte, trat ihr ein Mann mit einer Waffe entgegen. Er feuerte auf die Flüchtende und traf sie an der Schulter. Darauf ging er ins Haus zurück, um sein Werk zu vollenden. Später sahen ihn Nachbarn auf einem Velo davonfahren. Zurück blieb der 62-jährige Charles Zumbach, ermordet mit vier Schüssen und vier Messerstichen.
Der Täter sei um die dreissig, dunkelhaarig und über eins achtzig gross, sagte die Witwe aus. Wie kam dann der zehn Zentimeter kleinere und zwanzig Jahre ältere Jurist Pierre Jaccoud als Mörder ins Spiel? Zumal Frau Zumbach bei der Gegenüberstellung nicht ihn, sondern einen jungen Polizisten als Täter identifiziert hatte?
Der entscheidende Tipp kam von Zumbachs Sohn André, der noch daheim wohnte. Er habe am Tatabend bei der Arbeit im Radio Genf zwei Anrufe erhalten, bei denen sofort aufgelegt wurde. Offenbar wollte jemand sichergehen, dass er nicht zu Hause war.
André wusste auch, wer: Der hochangesehene und kultivierte Anwalt und Grossrat Pierre Jaccoud, Ex-Vorsitzender der Genfer Anwaltskammer, unter anderem Scheidungsanwalt von Hollywoodstar Rita Hayworth und Prinz Aly Khan.
Er, André, habe Jaccoud die Geliebte ausgespannt, mit der dieser acht Jahre liiert gewesen war. Das habe der Herr Anwalt ihm sehr übelgenommen. Jaccoud schickte dem neuen Liebhaber von Linda Baud, genannt «Poupette» (Püppchen), anonyme Briefe und Aktfotos, um zu demonstrieren, was für ein liederliches Weibsstück Poupette doch sei.
Diese peinlichen Dokumente – deren Urheberschaft Jaccoud im Prozess offen zugab – habe der Gehörnte wohl zurückholen wollen und sei dabei von Vater Zumbach überrascht worden.
Frau Zumbachs Aussage stützte diese Ansicht nicht, und auch die Beweise waren dürftig: Der selbsternannte «Universalexperte» Pierre Hegg, eigentlich nur Diplomchemiker, verzichtete darauf, Fingerabdrücke zu nehmen von Cognac-Gläsern, die am Tatort auf dem Couchtisch standen. Einen aufgefundenen Knopf trug er ein paar Tage im Hosensack herum, statt ihn ordnungsgemäss einzutüten.
Dabei war der Knopf sein Hauptbelastungsindiz: Angeblich gehörte er zu einem Mantel, der in der Altkleidersammlung im Hause Jaccoud gefunden wurde und auf dem scheinbar Blutflecken waren. Zwar passte der Knopf nicht zu den restlichen, aber es wurde blauer Faden daran gefunden, der demjenigen ähnelte, mit dem die anderen Knöpfe angenäht waren.
Ein weiteres Beweisstück war ein «Marokkanerdolch» aus dem Besitz von Jaccoud, an dem angeblich Leberzellen klebten. Wie der Mediziner Hans Martin Sutermeister später in einem Revisionsprozess ausführte, konnte es sich bei diesen stark zersetzten «Leberzellen» auch um Sandwichkrümel gehandelt haben. Es würde niemanden wundern: Hegg hatte in einem früheren Fall Schweineblut mit Menschenblut verwechselt.
Ein weiteres Indiz lieferte der Verdächtige proaktiv: Zu Beginn der Ermittlungen war er auf einem Juristenkongress in Schweden und liess sich dort die Haare blond tönen – offensichtlich, um Frau Zumbachs Beschreibung vom dunkelhaarigen Täter nicht zu entsprechen. Das sei ein Blödsinn gewesen, gab Jaccoud später zu.
Die Geschworenen benötigten nur drei Stunden, um ihn schuldig zu sprechen. Durch seine Liaison mit der 16 Jahre jüngeren Poupette hatte sich der hohe Herr – im calvinistischen Genf wohl noch eher als anderswo – sowieso gnadenlos diskreditiert.
Dem Richter schien es allerdings nicht ganz wohl zu sein bei der Sache: Er verfügte sieben Jahre Zuchthaus und zehn Jahre Verlust der bürgerlichen Rechte für einfachen Totschlag, eigentlich zu wenig für eine derart brutale Tat.
Eine alternative Täterschaft wäre leicht zu finden gewesen: Zumbach hatte eine Garage an eine Gruppe Ex-Fremdenlegionäre vermietet, Rückkehrer aus dem Indochina-Krieg. Am Tattag entdeckte er darin Einbruchswerkzeug und kündigte dem Untermieter. Dabei kam es zu einem lautstarken Streit, wie die Nachbarin Zopfi bezeugte.
Die Benützung verschiedener Waffen im Verlauf eines einzigen Tatgeschehens – so wie bei Zumbach Schusswaffe und Messer – war eine Spezialität von Indochina-Kämpfern, wie Sutermeister im Revisionsprozess darlegte. Genützt hat es Jaccoud nicht, das Urteil gegen ihn wurde vorerst nicht aufgehoben.
Der Berner Rechtsanwalt Horace Mastronardi, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Revisionsprozesse, hielt die Affäre für den «grössten Justizirrtum der Nachkriegszeit». Er kämpfte 18 Jahre um Jaccouds Rehabilitation.
Schliesslich kassierte das Bundesgericht das Urteil und wies den Fall an die Genfer Behörden zurück. Für einen letzten Prozess fehlte 1980 dem gramgebeugten Jaccoud freilich die Kraft. (sda)
Irrlycht
PS: Für meinen Geschmack hätte es den sarkastischen Unterton nicht gebrauch.
Ich wüsste den Unterschied zwischen Menschen und Schweineblut auch nicht.😉😊