Restaurants ganz zu schliessen oder zumindest ihre Öffnungszeiten einzuschränken, gilt für viele als probates Mittel gegen die Ausbreitung des Coronavirus. In der Westschweiz, insbesondere der Waadt, wird die Schliessung der Restaurants mit als Grund für die rasche Verbesserung der Ansteckungszahlen genannt. Der Bundesrat hat nun eine Schliessung der Restaurants um 19 Uhr beschlossen. Doch auf welcher wissenschaftlichen Grundlage basieren diese Schliessungen und Einschränkungen? Weltweit gibt es erst wenige Studien, die sich mit dem Ansteckungspotenzial von Gastrobetrieben seriös befasst haben. Die Studienlage ist dünn.
Einen Anhaltspunkt liefert eine Massnahme der britischen Regierung, die allerdings genau in die andere Richtung ging. Statt Restaurants zu schliessen, forderte die Johnson-Regierung die Bevölkerung im Sommer auf, auswärts zu essen, um die Gastrobetriebe vor dem Ruin zu retten. Die Briten erhielten die Hälfte der Kosten für das Essen und alkoholfreie Getränke erstattet.
Gemäss einer allerdings noch nicht geprüften und publizierten britischen Studie der Universität Warwick hatte das Folgen. Nicht nur, dass die Briten das grosszügige Angebot der Regierung gerne annahmen, sondern damit auch das Coronavirus durch die vermehrten Restaurantbesuche schneller und stärker verbreiteten. Die Studienautoren haben berechnet, dass 8 bis 17 Prozent der lokalen Infektionsausbrüche auf Restaurantbesuche zurückgingen.
Verlässlichere Aussagen lassen sich aufgrund einer Studie der renommierten Stanford-Universität treffen. Mittels den Mobildaten von 98 Millionen Menschen in den USA hat die Forschergruppe die Infektionshäufigkeiten an öffentlichen Orten untersucht. Auch diese Studie bestätigt, was man erwartet hat: Orte, die oft länger besucht werden und an denen die Menschen eng beisammen sind, bergen ein höheres Risiko. Das Stanford-Modell sagt voraus, dass Infektionen an Orten wie Restaurants, Turnhallen und religiösen Einrichtungen eine unverhältnismässig grosse Rolle spielen bei der Erhöhung der Infektionsraten.
Die US-Forscher halten fest, dass ein Grossteil der Coronavirus-Infektionen aller Wahrscheinlichkeit nach an Superspreader-Orten passiert - neben Fitnessstudios und Cafés demnach auch in Restaurants. Inwieweit bei der Übertragung des Virus direkte Tröpfcheninfektionen - generell die häufigste Übertragungsart-, Aerosole oder verunreinigte Oberflächen beteiligt sind, wird mit dieser Studie aber nicht beantwortet. Sicher ist nur, dass sich wenn Menschen länger zusammen sind, keine Maske tragen, sich nahe kommen, sprechen und womöglich gar lachen das Risiko einer Ansteckung höher ist. Also genau die Restaurant-Situation.
Die Superspreader-These hat schon eine Studie mit Beteiligung des Epidemiologen und Merkelberaters Christian Drosten im Frühling in einem Nachtclub in Berlin festgemacht. Dort steckten sich in kurzer Zeit 74 Menschen an, vor allem das Personal war betroffen. Das bestätigt nach den deutschen Studienautoren das Potenzial von Superspreader-Ereignissen. Denn nicht alle Menschen sind gleich ansteckend. Superverbreiter im Nachtclub oder in einem Restaurant machen diese Orte erst zur Risikozone.
Die «New York Times» hat 700 Epidemiologen befragt. Diese erklärten zum einen, dass sie ihr Verhalten erst wieder ändern würden, wenn 70 Prozent der Bevölkerung geimpft wären und zum anderen, welche Aktivitäten sie für die riskantesten halten. Dabei schwang der Restaurantbesuch oben aus. Gefolgt von der Teilnahme an Hochzeiten und Beerdigungen und drittens dem Besuch einer Sportveranstaltung, eines Konzerts oder eines Theaters.
Ganz sicher waren sich aber auch die 700 Epidemiologen nicht, was die Risikobewertung der verschiedenen Aktivitäten betrifft. Einig waren sich die in ihrem Leben nach eigener Aussage selbst sehr vorsichtig agierenden Forscher nur darüber, dass Indoor-Veranstaltungen mit vielen Menschen am Riskantesten sind.
Infektiologen und Epidemiologen haben schon im Sommer gewarnt, dass im Winter wieder mit mehr Ansteckungen zu rechnen ist, weil sich die Leute dann vermehrt in geschlossenen Räumen aufhalten. Wo genau sich die Menschen aber anstecken, dazu gibt es bislang keine verlässlichen Daten. Gemäss den Auswertungen der kantonalen Contact Tracer wird als häufigster Hauptansteckungsort zwar die Familie genannt, doch greift diese Erklärung zu kurz, weil das Virus zuerst den Weg dorthin finden muss. Die Arbeit und private Treffen gelten als grosse Treiber, Clubs, Bars und Restaurants folgen wohl bald.
Genau lässt sich das Risiko von Restaurant-Besuchen also nicht festmachen. Man weiss nicht, wie viele Ansteckungen wirklich auf Gastrobetriebe zurückgehen und wie gut die Schutzkonzepte diese verhindern. Abhängig ist das von verschiedenen Faktoren wie der Durchlüftung und nicht zuletzt auch der Disziplin der Gäste. Diese ist aber im Restaurant höher, als wenn sich Menschen privat und unbeobachtet treffen.
So kann man zwar nicht sagen, ob Restaurant-Schliessungen und das frühe Zusperren um 19 Uhr die richtigen Mittel sind. Aus rein epidemiologischer Sichtweise, ohne soziale und wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen, machen sie aber Sinn, weil generell jede Verhinderung von Kontakten zu Mitmenschen das Ansteckungsrisiko verhindert. Egal ob bei der Arbeit, zu Hause oder im Restaurant.
Auf jeden Fall sind die Einschränkungen doppelt unbeliebt: Bei den Gastrobetrieben, weil ihr Überleben damit gefährdet ist, bei den Gästen, die damit eines Vergnügens beraubt werden, von denen es nicht mehr viele gibt.
Der Arbeitsplatz gehört hier definitiv auch dazu...
Irgendwie wird dieser abercsehr oft ausgeklammert...
Man fokussiert immer auf die privaten Aktivitäten...
Dabei bin ich gerade veim Arbeitsplatz hochgradig fremdbestimmt...
Alles andere habe ich selbst unter Kontrolle...