Lilly kann ihre Liebe nicht heiraten. Das Gesetz in Frankreich verbietet es ihr. Menschen dürfen keine Maschinen ehelichen; und Lilly liebt nun mal einen Roboter. «Ich fühle mich zu Robotern hingezogen», sagte die Französin dem australischen Online-Portal «News». Ihre beiden Beziehungen mit Männern hätten ihre sexuelle Neigung zu Maschinenwesen nur bestätigt.
Glaubt man David Levy, dem Autor des Buches «Love & Sex With Robots», wird Lilly bald keine Ausnahme mehr sein. Spätestens im Jahr 2050 werde Liebe zu Robotern so normal sein wie zu Menschen, schreibt der Experte für Robotik und künstliche Intelligenz. Der Futurist Ian Person ist sogar überzeugt, dass wir 2050 mehr Sex mit Maschinenwesen als mit Menschen haben werden. Ist Lilly bloss die Vorbotin einer sich anbahnenden sexuellen Bewegung, die mit den technologischen Fortschritten wächst?
Gummipuppen reifen gerade zu vollwertigen Robotern heran: mit sich echt anfühlender Haut, künstlicher Intelligenz und motorisierten Geschlechtsorganen. Die wohl bekannteste heisst Roxxxy und ist – wie könnte es anders sein – eine Frau. «Sie verhält sich genau wie ein Mensch. Sie hört, was du sagst, spürt, wenn du sie berührst, und reagiert so angemessen wie möglich», preist der Hersteller TrueCompanion seine Roboter-Lady an.
Auf der Firmen-Website kann der Kunde das Aussehen seiner Roxxxy personalisieren. Er wählt den Hauttyp, die Augenfarbe, die Dicke der Augenbrauen, sucht aus einem Katalog von über 40 Frisuren die passende aus, entscheidet, wie dick das Make-up aufgetragen werden soll und bestimmt über die Rasur der Schamhaare. Der Charakter der Robo-Frau lässt sich nachträglich einstellen. Zur Auswahl stehen fünf Persönlichkeiten, darunter die abenteuerlustige «Wild Wendy», die schüchterne «Frigid Farrah» und die lernwillige «Young Yoko».
Wohin die Roboterliebe führen könnte, hat der Schriftsteller E. T. A. Hoffmann bereits im frühen 19. Jahrhundert beschrieben. In der Erzählung «Der Sandmann» findet sich nicht nur eine der ersten Roboterdarstellungen der deutschen Literatur, die mechanische Puppe Olimpia tritt auch als Sexroboter in Erscheinung. Sie ist so makellos, dass sich der Student Nathanael Hals über Kopf in sie verliebt. Olimpia lässt sich umarmen, küssen und ist ihm stets zugeneigt. Bald hat der Student nur noch Augen für sie und vergisst seine Verlobte Clara.
Werden wir uns wie Nathanael und Lily in Roboter verlieben, weil uns menschliche Beziehungen zu anstrengend sind? Sind Sexroboter eine Gefahr für unsere Gesellschaft? Solche Fragen wurden Ende Jahr am «International Congress on Love and Sex with Robots» an der Goldsmith University in London diskutiert. Zu den Warnern gehört die britische Ethikerin Kathleen Richardson, die eine Kampagne gegen Sexroboter initiiert hat. Sexroboter seien so programmiert, dass sie stets willig sind, nie widersprechen und nur darauf aus sind, männliche Lust zu befriedigen, moniert sie.
Bei dieser feministischen Argumentation wird unterschlagen, dass es durchaus auch männliche Sexroboter gibt. Das maskuline Pendant zu Roxxxy heisst Rocky, benannt nach dem bekannten Pornostar. Und auch die amerikanische Firma Abyss Creations, die ihre handgefertigten, RealDolls genannten Sexpuppen mit künstlicher Intelligenz ausstattet, hat männliche Exemplare im Angebot. Willig und stets zur Kopulation bereit sind auch Rocky und Co. Letztlich geht es nicht um die Diskriminierung der Frauen, sondern um die Reduzierung des Menschen auf ein algorithmisiertes und robotisiertes Sexobjekt.
«Auch wenn sich derzeit wohl die wenigsten Menschen eine Beziehung mit einem Maschinenwesen vorstellen können, muss man über die mutmasslichen Folgen von Sexrobotern sprechen», findet der Maschinenethiker Oliver Bendel von der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er war Teilnehmer des Robotersex-Kongresses in London und setzt sich in einer dazugehörigen Fachpublikation mit den ethischen Fragen zu Sex mit Robotern auseinander.
Ein generelles Verbot von Sexrobotern erachtet er als falsch. Doch es brauche moralische Regeln. Sexroboter sollten etwa so programmiert sein, dass sie Menschen nicht ernsthaft verletzen – auch wenn Sadomasochisten dies von ihnen fordern würden. Und sie sollen dem Menschen immer wieder klarmachen, dass sie bloss Maschinen sind. Derzeit scheint das unnötig, da die Technologie noch zu unausgereift ist. Doch das wird sich ändern: «In dreissig Jahren könnten Sexroboter so echt aussehen und sich so real anfühlen, dass wir sie auf den ersten Blick für Menschen halten und uns ab und zu sogar in sie verlieben», sagt der Ethikprofessor.
Die Zürcher Sexologin Daria Schiftan sieht in Robotern, die immer willig sind und Sex stets verfügbar machen, kein Problem. Letztlich sei das ja bei Prostituierten nicht anders. Dass es Menschen gibt, die wie die Französin Lilly einen Maschinenfetisch entwickeln, sei grundsätzlich nicht besorgniserregend. «Erst wenn der Fetisch sie in ihrem sozialen Leben einschränkt, kann es gefährlich werden», sagt die Sexologin.
Es kann gut sein, dass durch die technische Entwicklung in der Robotik mehr Menschen eine Leidenschaft zu Sexrobotern entwickeln. Doch weder der Ethiker Bendel noch die Sexologin Schiftan glauben, dass Sexroboter über eine Nische hinaus populär werden. Dafür gibt es auch praktische Gründe. Einen Dildo kann man in der Nachttischschublade verstecken, einen Sexroboter nicht. Die wenigsten Menschen werden wohl so offen mit ihrer Neigung umgehen und ihren Rocky oder ihre Roxxxy im Wohnzimmer auf der Couch sitzen haben. Hinzu kommt der hohe Preis von derzeit rund 10'000 Dollar.
Vielleicht sind Sexroboter ohnehin nur ein Übergangsphänomen. Virtual-Reality-Sex könnte sie überflüssig machen. Denn die Pornoindustrie dreht nicht mehr nur 360-Grad-Filme, die mit einer Brille betrachtet eine lebendige visuelle Illusion vermitteln. Längst werden auch Gadgets entwickelt, welche die optischen Eindrücke mit taktilen Reizen verknüpfen: So sieht man nicht nur die Darstellerin mit nackten Brüsten vor sich, sondern berührt gleichzeitig echte Silikonbrüste. Das Hirn verknüpft dann beide Eindrücke zu einem Erlebnis, das sich real anfühlt. Auch künstliche Vaginen und Penisse gibt es, die sich im Rhythmus der Darsteller bewegen.
Noch weiter geht die Firma Kiiroo, die männliche und weibliche Geschlechtsteile entwickelt, die sich übers Internet verbinden lassen. So lassen sich Berührungen und Kontraktionen übertragen. Legt die Frau am Dildo Hand an, spürt der Mann das über eine künstliche Vagina – und umgekehrt. Teledildonics werden solche Gerätschaften genannt, von denen erste experimentelle Prototypen bereits in den 70er-Jahren entwickelt wurden. Dank Virtual Reality erhalten sie eine neue Qualität.
«Gerade in Fernbeziehungen könnte sich diese Art der sexuellen Befriedigung verbreiten», glaubt Bendel. So könnten etwa die Soldaten trotz Einsatz Sex mit ihren Partnerinnen zu Hause haben – und die internetfähigen Sextoys auch ausserhalb der Pornoschmuddelecke Akzeptanz erlangen.
Die britische Technologie-Journalistin Olivia Solon sieht bereits eine neue sexuelle Revolution auf uns zukommen. So wie in den 60er-Jahren die Pille den Sex von der Reproduktion getrennt hat, ermöglicht der sich anbahnende technologische Fortschritt einerseits Reproduktion ohne Sex dank künstlicher Befruchtung und anderseits Sex ohne Körperkontakt dank Teledildonics. Um sich gegenseitig zu stimulieren, braucht man sich nicht mehr anzufassen, man muss nicht einmal am gleichen Ort sein. Sensoren zeichnen Berührungen auf, verarbeiten sie zu Daten, die sich übers Internet übertragen lassen. Cleaner geht Sex nicht.
Noch braucht es dazu die erwähnten Teledildonics als Transmitter. Doch irgendwann dürften sich dank der Fortschritte in der Bioelektronik Nervenzellen im Körper direkt ansteuern lassen. Dann werden, wie Solon in einem Essay schreibt, «Orgasmen per Knopfdruck» Realität. Wer braucht dann noch sperrige Sexroboter?
Mag sein, dass diese Entwicklung ebenso weit entfernt ist wie täuschend echten Sexroboter. Doch dass sie einmal Realität wird, ist mindestens so gewiss. Das muss nicht automatisch heissen, dass wir keinen direkten sexuellen Kontakt zu Menschen mehr wollen. Gerade durch die Omnipräsenz der virtuell-biotechnologisch herbeigeführten Höhepunkte könnte der Sex zwischen Menschen wieder an Reiz gewinnen.
Die Verknappung schafft Wert. Im 2011 erschienenen Science-Fiction-Roman «Ready Player One» von Ernest Cline erkennt der Teenager Wade Waats, dass die virtuellen Sex-Eskapaden ihn nicht glücklich machen. Und so lässt er sich auf ein Abenteuer ein, das ihm die virtuelle Welt nicht bieten kann: einem Menschen gegenüberzutreten, den er liebt.