Sie ist enorm teuer. Die neue Gentherapie von Novartis ist seit Montag auch in der Schweiz zugelassen. In den USA und Europa erhielt die Behandlung gegen bestimmte Krebsarten wie Leukämie schon früher grünes Licht. Die Preise in den USA, Deutschland und Grossbritannien geben einen deutlichen Hinweis darauf, was die Therapie mit dem Kunstnamen Kymriah hierzulande kosten wird.
Da die Schweiz sich preislich auf neun europäische Vergleichsländer abstützt, sind insbesondere die Tarife in Deutschland und Grossbritannien relevant. Zuständig für die Preisfestsetzung ist das Bundesamt für Gesundheit. Was die Berechnung der ausländischen Preise anbelangt, so sind neben den Wechselkursen auch Rabatte von Bedeutung, die in anderen Ländern zur Anwendung kommen. Berücksichtigt man dies, ergibt sich derzeit ein Schweizer Preis von rund 355'000 Franken pro Patient.
Dieser kann sich noch ändern, sobald andere Länder ihre Preise für Kymriah festlegen, auf die sich die Schweiz bezieht. Experten bestätigen die Schätzung dieser Zeitung und gehen von einem Preis in ähnlicher Höhe aus. Der Krankenversicherungsverband Curafutura rechnet sogar noch mit einem etwas höheren Preisschild, wie Andreas Schiesser, Experte für Tarife, sagt.
Die Preise für neue Krebsmedikamente seien völlig aus der Luft gegriffen, das gelte auch für Kymriah, sagt der renommierte Onkologe Thomas Cerny. Er ist unter anderem Präsident der Stiftung Krebsforschung Schweiz und als Kritiker der Pharmaindustrie bekannt.
Für die Gesamtkosten ist jedoch nicht nur der Preis, sondern auch die Zahl der Patienten entscheidend, die mit Kymriah behandelt werden. Novartis geht von einer niedrigen zweistelligen Patientenzahl in der Schweiz aus. Es könnten aber auch deutlich mehr sein.
Eine genaue Zahl sei schwer abschätzbar, sagt Professor Jakob Passweg, Chefarzt Hämatologie am Universitätsspital Basel. Zumindest bestehe aber die Möglichkeit, dass maximal 100 Patienten für die Behandlung der beiden Einsatzgebiete infrage kämen (siehe Kasten am Textende).
Damit würde das Medikament Zusatzkosten von 35 Millionen Franken pro Jahr verursachen. Doch der Fall ist kompliziert: Denn bei Kymriah handelt es sich an sich nicht um ein klassisches Medikament, sondern um eine komplexe Therapie: Diese arbeitet mit den körpereigenen Zellen des Patienten.
Den Betroffenen wird Blut entnommen. Die darin enthaltenen Immunzellen werden anschliessend im Labor modifiziert und vermehrt, damit sie zurück im Körper des Patienten den Krebs bekämpfen. Dazu wird das modifizierte Blut per Infusion zurück in den menschlichen Körper gebracht. Aus Sicht von Jakob Passweg handelt es sich deshalb nicht um ein Medikament, sondern um ein Transplantationsprodukt.
Patienten, die mit Kymriah behandelt werden, müssen sich ins Spital begeben, um sich die modifizierten Zellen einsetzen zu lassen. Je nach Behandlungsverlauf dauert ein Aufenthalt zwischen 10 und 30 Tage, sagt Passweg. Für stationäre Spitalaufenthalte kommen die sogenannten Fallpauschalen zur Anwendung, die es für die Behandlung mit Kymriah jedoch noch nicht gibt.
Passweg geht davon aus, dass die Kosten mit der autologen Stammzelltransplantation vergleichbar sein werden. Dafür beläuft sich im Fall des Unispitals Basel die Fallpauschale auf rund 45'000 Franken.
Da Kymriah aufgrund seines hohen Preises die Fallpauschale bei weitem sprengt, dürfte in diesem Fall ein Zusatzentgelt für die Novartis-Therapie vergütet werden. Wie hoch dieses sein wird, ist noch unklar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kosten für den Spitalaufenthalt sowie für Kymriah mindestens 35 Millionen Franken erreichen dürften, sollten pro Jahr tatsächlich 100 Patienten behandelt werden.
Nun wird Novartis mit dem Bundesamt für Gesundheit verhandeln. Gleichzeitig laufen im Hintergrund bereits Gespräche zwischen dem Pharmakonzern und den Krankenkassen, wie die «NZZ am Sonntag» berichtete. Diskutiert wird ein Mechanismus, bei dem die Bezahlung der Krankenversicherer an den Erfolg der Therapie geknüpft wird. «Angesichts des hohen Preises halten wir ein Modell für richtig, bei dem wir nur im Erfolgsfall bezahlen müssen», sagt Martina Weiss, Leiterin Verhandlung und Vergütung Medikamente bei Helsana. Die Diskussion werde sich darum drehen, was Erfolg bedeute.
Daneben streiten sich die beiden Seiten aber auch über den Zeitpunkt der Zahlung. Generell möchte die Pharmaindustrie zu Beginn der Behandlung Geld sehen und dieses zumindest teilweise zurückbezahlen, sollte die Therapie nicht den gewünschten Erfolg bringen. Die Krankenversicherer wiederum wollen erst dann zahlen, wenn sich über die Zeit eine gewisse Verbesserung der Krankheit beim Patienten eingestellt hat.
Kymriah erhitzt die Gemüter jedoch über die Kostenfrage hinaus. Onkologe Thomas Cerny ist entschieden der Meinung, dass solche Therapien wie jene von Novartis nicht in die Hände der Pharmaindustrie gehören. Die ganze Entwicklung dieser Therapien inklusive Herstellung der Zellen sei bisher auch ohne Unterstützung der Pharmaindustrie geschehen. «Wir sind selber in der Lage, solche Therapien künftig in unseren grossen Zentren anzubieten, zumindest wo es sinnvoll ist. Wir tun dies bereits routinemässig für Stammzelltherapien oder Knochenmarktransplantationen», sagt Cerny.
Auch Jakob Passweg vom Unispital Basel ist der Meinung, dass ein Spital selber solche Gentherapien anbieten kann. Ein Teil der Technologie müsse man jedoch von einer Drittfirma einkaufen, das könne ein Spital nicht selber leisten. Zudem stellt Passweg die Frage, ob es sinnvoll sei, die ganze Behandlung in einem Spital nachzubauen, wenn es doch in diesem Fall mit Novartis bereits einen Hersteller gebe.