Wenn Männer einander «Meister» oder auch «mein Führer» nennen, dann sind wir a) in der Bibel, b) in einer historisch besonders prekären Epoche oder c) am Zurich Film Festival. «Danke für alles, danke, Meister!», schluchzt da nämlich ein besonders aufwändig tätowierter Mann als er seinem Idol HR Giger zum ersten Mal im Leben die Hand schütteln darf. Wahrscheinlich lässt er das Giger-Autogramm auf seinem Arm später als Tattoo nachstechen. Für immer.
HR Giger kommt uns also noch einmal nah, im Dokumentarfilm «Dark Star – HR Gigers Welt» von der Fribourgerin Belinda Sallin. Ein Film, den man gar nicht genug loben kann. Er spielt zum Grossteil in Gigers Häusern in Oerlikon, in seinen Nestern also, die dermassen zugewachsen sind mit seinen Kreaturen und seltsamen Unordnungssystemen, dass er es sogar schafft, sich darin ganz unsichtbar zu machen.
Es braucht mehrere Menschen, die Giger helfen, sein vor sich hin wuchernde Werk zu bewältigen, und es scheint, als habe Belinda Sallin selbst eine Weile lang mitgelebt in Gigers Welt, als sei sie verschmolzen mit dem Hintergrund des Mannes, der da in seiner barfüssigen Bedächtigkeit nach Worten für Erinnerungen kramt. Derart intim haben wir bis jetzt weder Giger noch seine Freunde und Familie reden gehört, sein Bruder erzählt etwa vom Tod von Gigers grosser Liebe Li, die sich an einem Pfingstmontag-Morgen erschoss, und davon, wie er zusammen mit Giger Lis letzte Waffe zur Polizei getragen und ihren Abschiedsbrief mit dem Wort «Adieu» gefunden habe.
Das Büsi Müggi ist da und Gigers Oerliker Garten mit den überwachsenen Skulpturen und der Geisterbahn, seine Ex- und seine Jetzt-Partnerin erzählen, seine spanische Schwiegermutter kämpft mit der Buchhaltung, und sein Assistent Tom verglüht fast vor Dankbarkeit. «Wie wichtig ich für den Tom bin? Wir sind einander gleich wichtig», sagt Giger dazu.
Der Film kommt ganz ohne Off-Kommentare aus, dafür sprechen die Bewohner von Gigers Kosmos umso präziser und persönlicher, man kann sich wohl gar nicht vorstellen, wie lange die Vorgespräche dafür gedauert haben müssen. Und geniales altes Bild- und Filmmaterial ist dabei: aus dem Familienalbum, aus Gigers Anfängen als Künstler, aus den Londoner Pinewood-Studios, wo er mal wieder die Alien-Eier erklärt, und weshalb deren originale Öffnung – ein Spalt – zensuriert wurde.
Belinda Sallin hat soeben bei SRF die Leitung der «DOK»-Eigenproduktionen übernommen und war davor Redaktionsleiterin der «Rundschau». Mit «Dark Star» ist ihr ein Dokfilm für die grosse Leinwand gelungen, Gigers klarer, grafischer Bilderfundus mit den dämonischen Frauen und leidenden Föten, den Monstern und psychosexuellen Fantastereien eignet sich dazu natürlich auch hervorragend. Kurz nach den Dreharbeiten verstarb HR Giger.
Einem anderen Schweizer ist es in Schottland wohler als in Oerlikon und er zieht auch gerade die alten Wikinger irgendwelchen Aliens und allem andern Zukunftskram vor. Der Schweizer heisst Claudio Fäh und präsentiert am ZFF «Northmen: A Viking Saga», und das geht so: Ein paar Wikinger und eine schottische Prinzessin, die an einen Bösewicht verheiratet werden soll, rennen voraus, und ein megaböser Söldnertrupp aus den Karpaten reitet hinterher.
Erstaunlicherweise lässt sich aus diesem Handlungsstrang ein ganzer Film machen, der zwar etwas schlicht im Kopf ist, aber ganz sicher nicht langweilig. Dazu sehen die vielen Kampfszenen viel zu gut aus (okay, die Männer auch), der Schnitt sitzt, die Landschaft, die sich Schottland nennt, in Wirklichkeit aber Südafrika ist, gibt alles, und es gibt ein paar besonders grandiose Unterwasser-Aufnahmen. Die Dialogebene ist zum Vergessen. Aber das ist kompaktes Genrekino für Wikinger-Kenner und hat sich bereits in über dreissig Länder verkauft, was einem schon Respekt abtrotzt.
Anatole Taubman, der hier nicht nett und schwul ist wie im «Kreis», sondern der hohlwangige Anführer der karpatischen Söldner, sieht jedenfalls schon genug Potential «für die Sequels eins, zwei und drei». Das grösste Problem beim Dreh in Südafrika, erzählen die Jungs aus dem Film, die ohne Zottelhaare und mit redimensionierten Muskelpaketen zur Zürcher Premiere erscheinen, seien nicht die Schlangen gewesen, vor denen sie dauernd gewarnt wurden, sondern Hunderte von Zecken. Sie hätten jetzt alle ganz starke Finger vom ständigen Zecken-Ablesen.
Allgemein scheinen die Männer noch immer total ineinander verliebt, und Ed Skrein (der Daario Naharis aus «Game of Thrones») nennt den nach Art von Steven Soderbergh eher zart und intellektuell aussehenden Claudio Fäh «meinen starken Führer». Männer.
Und dann waren da ja auch noch Benicio del Toro und Josh Hutcherson (der Peeta aus «Hunger Games») schnell zu Besuch in Zürich mit einem Film, den sie zwei Tage zuvor am Filmfestival von San Sebastian gezeigt hatten, nämlich «Escobar: Paradise Lost». Überhaupt ist ja das ZFF die Verlängerung von San Sebastian, und man fragt sich ein wenig, welche Filme ihre Weltpremiere eigentlich nicht in San Sebastian hatten. Ach ja, die Schweizer Filme!
Item, dieser «Escobar» ist das Regiedebüt des Italieners Andrea di Stefano, der bis anhin bloss Schauspieler war, und es ist ein ehrgeiziges und ganz erstaunlich gut gelungenes Unterfangen. Eine Kreuzung, sagt di Stefano, aus griechischer Tragödie, Katholizismus und dem italienischen Herzschlag für die «Amore». Also ein Thriller, der durch eine Liebesgeschichte ausgelöst wird. Und alles ist fiktiv.
Es verliebt sich da der kanadische Surfer Nick (Hutcherson), der am Strand von Kolumbien das Paradies sucht, in die schöne Maria. Die dummerweise die Nichte des Drogenbarons Pablo Escobar (del Toro) ist. Der Nick sofort in das Terrorsystem Escobar mit seiner nach aussen hin so verführerischen Märchenfassade integriert. Escobar rettet ein Spital, Escobar besitzt eine Hacienda samt Zoo und Saurierpark. Escobar ist der liebende Grosspatriarch. Und vor dem Pferdestall waschen sich seine Schergen das Blut der anderen ab. Und von den Bäumen hängen die verbrannten Leichen seiner Widersacher.
Es ist, bei allem Sinn fürs Drama, kein Melodram geworden, sondern ein gut gebauter Film mit gut austarierter Spannung, und vor allem einem beeindruckenden Benicio del Toro als Escobar, dessen Egomanie sich in immer kälterer Brutalität austoben muss. Er habe, sagt der Regisseur, eine Biopsie des Monströsen drehen wollen, kein Biopic des Pablo Escobar. Und das ist ihm doch ziemlich gut gelungen.
Aber das dürfte die Zürcher Teenager, die seit Sonntagmittag neben dem grünen Teppich campierten und auf Josh Hutcherson warteten, wahrscheinlich am allerwenigsten interessiert haben.
«Northmen: A Viking Saga»: Mi, 1.10., 20.30 Uhr, Arena 5. Ab 23. Oktober im Kino.
«Dark Star – HR Gigers Welt»: Mo, 29.9., 15.30 Uhr, Filmpodium; Mi, 1.10., 12.45 Uhr, Filmpodium. Ab 23. Oktober im Kino.
«Escobar: Paradise Lost»: Sa, 4.10., 18.15 Uhr, corso 1.