Es geschieht nicht oft, dass sich ein ganzes Land spontan und geschlossen in jemanden verliebt. Der 2. Februar 2008 ist so ein Tag. Lara Gut bestreitet in St. Moritz ihre allererste Weltcup-Abfahrt, es ist erst das vierte Rennen auf dieser Stufe überhaupt. Gut ist bis dahin nur Insidern ein Begriff. Man weiss, dass diese 16-Jährige offenbar ein Jahrhunderttalent ist.
Aber was ist so ein Prädikat schon wert? Medaillen bei Junioren-Weltmeisterschaften zählen wenig, abgerechnet wird bei den Grossen. Und diese schreckt das blonde Mädchen gehörig auf.
Nach einer Minute Fahrzeit ist Lara Gut mehr als vier Zehntelsekunden schneller als die führende Österreicherin Maria Holaus. Vor dem Schlussabschnitt hat sie immer noch ein Polster von 22 Hundertstelsekunden. Mit über 110 km/h rast das Leichtgewicht dem Ziel entgegen.
Nur noch wenige Meter trennen Gut vom totalen Triumph beim Abfahrts-Debüt. Da passiert es! Sie verliert für einen kurzen Moment die Kontrolle über den linken Ski, sie stürzt und trudelt auf dem Rücken liegend über die Ziellinie.
+ 0,01 zeigt die Zeitmessung an. Die Winzigkeit von einer lausigen Hundertstelsekunde trennen Lara Gut von der Führung. Ärger über den knapp verpassten Sieg? Nein. Der Teenager strahlt über das ganze Gesicht, welches vom Sturz noch voller Schnee ist. Lara Gut, der neue Sonnenschein am Schweizer Ski-Himmel – a star is born.
In der Abfahrt von St.Moritz geht nicht nur der Stern von Lara Gut auf. Am schnellsten ist nämlich die Startnummer 47: Tina Maze. Die Slowenin gewinnt ihre erste Abfahrt und wird später, in der Saison 2012/13, mit einer Rekordpunktzahl Siegerin des Gesamtweltcups. Die grosse Kristallkugel für die beste Skirennfahrerin des Winters gewinnt 2015/16 auch Lara Gut – und im Januar 2024 überflügelt die Tessinerin mit ihrem 41. Weltcupsieg gar Pirmin Zurbriggen.