Der Wetterdienst Aemet gab eine Hochwasserwarnung für die gesamte Provinz Castellón aus, die ebenfalls zur von heftigen Regenfällen am Dienstag stark getroffenen Mittelmeerregion Valencia gehört. Sie war bisher von dem Wetterphänomen «Kalter Tropfen» verschont geblieben, das jetzt gen Nordosten weiterzieht.
«Die Unwetter sind noch nicht vorbei», warnte auch Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez bei einem Besuch in Valencia. Dort sicherte er den Menschen die Unterstützung der Zentralregierung in Madrid zu. Alleine in Valencia selbst und der gleichnamigen Provinz wurden 92 der bisher bestätigten 95 Toten geborgen.
Die Regierung der Balearen rief die Bevölkerung vor allem auf den beliebten Urlaubsinseln Mallorca und Menorca zu grösster Vorsicht in den kommenden Tagen auf. Dort galt die Warnstufe orange, die zweithöchste. In Spanien steht wegen des morgigen Feiertags ein langes Wochenende bevor, das gewöhnlich viele Spanier für Reisen nutzen. Doch Sánchez appellierte an die Menschen in den betroffenen Provinzen Valencia und Castellón: «Bleiben Sie zu Hause!» Es sei wichtig, auf die Warnungen der Behörden zu achten und deren Empfehlungen zu befolgen, sagte er weiter.
Die Zahl der Toten nach den verheerenden Unwettern in grossen Teilen Spaniens ist auf mindestens 158 gestiegen. Allein in der am schwersten betroffenen Region Valencia im Osten des Landes wurden 155 Leichen geborgen, wie die Regionalregierung mitteilte. Weitere drei Opfer gab es in den Regionen Andalusien und Kastilien-La Mancha. Dutzende Menschen gelten nach wie vor als vermisst.
Nach der Unwetterkatastrophe wird die Suche nach Leichen, Vermissten und von der Aussenwelt abgeschnittenen Menschen in der Nacht fortgesetzt. «Wegen der Dunkelheit müssen allerdings viele Aktivitäten bis Tagesanbruch unterbrochen werden», sagte der Leiter der Notfallabteilung des spanischen Roten Kreuzes, Iñigo Vila, am Abend dem staatlichen Fernsehsender RTVE.
Unter den Toten sind laut spanischen Medienberichten mindestens vier Kinder und sechs alte Menschen in einem Pflegeheim. Befürchtet wird, dass die Opferzahl weiter ansteigt. Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten lag nicht vor. Unter Berufung auf verschiedene Behörden und Betroffenen sprachen Medien am Abend von «Dutzenden» Vermissten.
Besonders schlimm ist die Lage in der bei Urlaubern sehr beliebten Region Valencia, wo 92 der insgesamt 95 bislang bestätigten Todesopfern geborgen wurden. Schwer betroffen sind aber auch andere Regionen am Mittelmeer wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha. Die Zentralregierung in Madrid rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus. Sie sicherte den Betroffenen auch schnelle Hilfe beim Wiederaufbau zu.
Derweil sitzen noch immer rund 1200 Menschen – zum Teil seit mehr als 24 Stunden – in ihren Fahrzeugen fest. Man schätze, dass auf den Autobahnen A3 und A7 in der Region Valencia insgesamt circa 5000 Fahrzeuge feststecken, teilte die Polizeieinheit Guardia Civil (Zivilgarde) am Abend mit. Es handele sich um Autos, Busse oder Lastwagen, die zum Teil von den Fahrern und Passagieren verlassen worden seien. Es gebe aber auch Menschen, die nicht von ihren Fahrzeugen weggehen wollten, hiess es.
In Sedaví, wo nach den Regenmassen nun wieder die Sonne scheint, türmten sich von Wassermassen zusammengeschobene Autos und versperrten Hauseingänge, wie das staatlichen Fernsehen RTVE vor Ort berichtete. Viele Bewohner konnten damit gar nicht auf die Strasse.
Den Informationen des Senders zufolge fährt zwar die Polizei ab und zu durch den Ort, um Plünderungen zu vermeiden. Aber bisher sei die Feuerwehr nicht vor Ort gewesen. Auch aus Utiel in der Region Valencia zeigte das Fernsehen Fotos verschlammter Strassen, zerstörter Häuser und umgekippter Autos. Viele Orte waren zudem weiter ohne Strom oder Telekommunikationsnetze.
Der Wetterdienst Aemet in Valencia sprach in einer ersten Bilanz von einem «historischen Unwetter». Es habe sich um den schlimmsten «Kalten Tropfen» (gota fría) dieses Jahrhunderts in der Region Valencia gehandelt, schrieb Aemet auf X. Diese Wettererscheinung tritt in der spanischen Mittelmeerregion in den Monaten September und Oktober häufig auf, sie basiert auf stark schwankenden Temperaturen von Meer und Luft und entsteht, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben.
Neben heftigen Regenfällen gab es auch Hagel und starke Windböen. In der andalusischen Küstenortschaft El Ejido unweit von Almería, wo der Hagel bereits in der Nacht zum Dienstag besonders heftig gewütet hatte, wurden Felder und Hunderte Fahrzeuge schwer beschädigt. «Die Hagelkörner waren so gross wie Golfbälle», sagte Landwirtin Mercedes González (46) der Zeitung «El País».
Wie heftig die Lage teilweise war, zeigen Erzählungen von Betroffenen. «Ich halte mich an dieser Pflanze fest, um mich herum gibt es aber nichts, nichts, nur Wasser, als wäre ich mitten im Meer» – per Handyvideo bat Maite Jurado Freunde und Verwandte mit angsterfüllter Stimme um Hilfe. Ihr Auto war zu dem Zeitpunkt in Paiporta nahe der Metropole Valencia längst von den Wassermassen weggespült worden. Die junge Spanierin erlebte einen Alptraum, wurde aber gerettet und kam mit dem Schrecken davon.
Zahlreiche Menschen waren in Häusern, Büros oder Einkaufszentren eingeschlossen und setzten wie Maite Jurado in sozialen Medien Notrufe ab. Viele riefen auch beim TV-Sender RTVE und anderen Medien an, weil sie Freunde und Verwandte nicht kontaktieren konnten. «Ich suche meinen 40 Jahre alten Sohn Enrique, der gestern mit seinem Van beruflich unterwegs war und von dem ich seitdem nichts mehr höre», sagte ein Rentner in RTVE den Tränen nahe.
Die Menschen suchten auf Dächern von Autos und Häusern Schutz, die völlig vom Wasser umgeben waren, wie auf unzähligen Videos in Medien und im Netz zu sehen ist. Bei den Such- und Rettungsarbeiten sind neben Feuerwehrleuten und Angehörigen des Zivilschutzes allein in Valencia über 1000 Kräfte der militärischen Nothilfeeinheit UME im Einsatz.
Eine RTVE-Reporterin sprach auf einer überschwemmten Strasse, in der zerstörte Fahrzeuge teils übereinander gestapelt lagen, von «kriegsähnlichen Szenen». «Das ist wie die Hölle», sagte eine Anwohnerin. Ein eben geborgener Rentner sagte weinend vor laufenden Kameras:
In Sedaví versperrten Autos die Hauseingänge, wie das staatlichen Fernsehen RTVE vor Ort berichtete. Viele Bewohner konnten damit gar nicht auf die Strasse.
«Man hat uns hier völlig vergessen», sagte ein Mann vor laufender Kamera, halb weinend. «Niemand kommt, um die Autos wegzuziehen oder uns irgendetwas zu bringen. Man hat uns aufgegeben.» Die Menschen bräuchten Essen, Kleidung und Schaufeln, um selbst die Erdmassen wegschaufeln zu können. Die Reporterin nahm diesen Appell auf und sagte, sie hoffe, dass alle zuständigen Behörden den Hilferuf gehört hätten.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach den Betroffenen Mut zu und versprach schnelle Hilfe. «Wir werden alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Wir werden euch nicht im Stich lassen.» Er fügte an:
Die Regierung kündigte eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag an.
Auch die Europäische Union bot bereits Hilfe an. «Wir haben unser Copernicus-Satellitensystem aktiviert, um bei der Koordinierung der Rettungsteams zu helfen. Und wir haben bereits angeboten, unseren Katastrophenschutz zu aktivieren», sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel.
Auch eine Schweizer Reisegruppe war in der Nähe von Valencia zeitweise blockiert. Die Reisenden blieben unverletzt und konnten später mit einem Ersatzbus weiterreisen. Das gab das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Mittwoch auf Anfrage bekannt.
Das EDA schrieb im Zusammenhang mit den Unwettern auch, es habe derzeit keine Kenntnis von verletzten Schweizer Staatsangehörigen. Die Schweizer Staatsangehörigen vor Ort seien angehalten, sich über die aktuelle Lage zu informieren und den Anweisungen der lokalen Behörden Folge zu leisten.
Obwohl das ganze Ausmass der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen. Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schliesslich wisse man, dass das Wetterphänomen der «Dana» oder des «kalten Tropfens» gefährlich sei. Es tritt zu Herbstbeginn, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben, im Süden und Osten Spaniens häufiger auf.
Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche «brutalen Folgen» nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert. (con/cma/sda/dpa/lyn)
Die Antwort darauf ?
Noch mehr Kriege, noch mehr Autobahnen, Billigflüge, weiterhin übermäßiger Konsum
https://www.tagesanzeiger.ch/meer-magazin-recherche-zur-ueberhitzung-der-ozeane-157876351588