Neue Telefon- und Internet-Überwachung
Der Ständerat hat die neuen Systeme zur Überwachung der Schweizer Telefon- und Internetkommunikation einstimmig durchgewinkt. Die Entwicklerfirma kommt aus den USA und Israel und pflegt enge Kontakte zu Geheimdiensten.
03.12.2014, 13:1504.12.2014, 10:09
Die Schweiz rüstet bei der Internet- und Telefonüberwachung auf. Der Ständerat hat am Dienstag einstimmig einen Kredit über 99 Millionen Franken gutgeheissen, damit die Strafverfolgungsbehörden ihre Überwachungssysteme bis 2021 erneuern und betreiben können. Diese seien teils hoffnungslos veraltet, sagt Mediensprecher Nils Güggi vom Dienst ÜPF, dem Schweizer Telefon- und Internet-Überwachungsdienst mit Sitz in Bern.
Im Verdachtsfall leitet der Dienst ÜPF die bei den Internet- und Mobilfunkprovidern gespeicherten Kommunikationsdaten von Verdächtigten an die zuständigen Ermittler weiter. Es geht also darum, wie die Polizei Kriminelle elektronisch überwacht: Telefone abhören, SMS und Mails abfangen etc.
Was aufgrund des einstimmigen Ergebnisses des Ständerats nach einem Routinegeschäft klingt, wirft mehrere Fragen auf: Hinter dem neuen Überwachungssystem «Interception System Switzerland» (ISS) steckt mit grösster Wahrscheinlichkeit der dubiose amerikanisch-israelische Software-Hersteller Verint.
Der Bund gab im Dezember 2013 nur bekannt, dass der Vertrag für das neue Abhörsystem mit der Herstellerin unterzeichnet worden ist. Der Name des Anbieters wurde in der Mitteilung nicht genannt. Anfang 2014 machte «Le Temps» publik, dass Verint auch das neue Überwachungssystem liefern wird.
In einer DOK-Sendung des SRF war zudem ein Polizist zu sehen, der das Abhörprogramm Reliant nutzt; ebenfalls ein Produkt der Firma Verint.

Symbolbild: Aufzeichnungen einer überwachten Person mit dem Programm Reliant von Verint.screenshot: srf via digitale gesellschaft Gegenüber watson will der Dienst ÜPF den Namen Verint nicht bestätigen, denn noch muss auch der Nationalrat dem Kredit zustimmen – und Verint ist alles, aber gewiss nicht vertrauenswürdig.
Verint-CEO auf der Flucht
Gegen Verint-Gründer Jacob Alexander wurde in den USA unter anderem wegen Geldwäscherei, Betrugs im Zusammenhang mit elektronischen Daten und Mailbetrugs ermittelt. Er floh 2006 nach Namibia und stand auf der Most Wanted List des FBI. Davon weiss der Dienst ÜPF laut Mediensprecher Güggi nichts. «Aus rechtlichen Gründen» wird jede Auskunft zu Verint verweigert.

Verint-Gründer Jacob «Kobi» Alexander wurde 2006 in den USA wegen Betrugs verurteilt.bild: wikipedia Verbindungen zu NSA und Mossad
Verint hat sein Hauptquartier in den USA, die Wurzeln der Firma liegen aber in Israel, wo weiterhin Mitarbeiter beschäftigt sind. Das Unternehmen pflegt enge Kontakte zum Geheimdienst des Landes. Konkret zur Einheit 8200, dem dortigen NSA-Pendant, wie mehrere Medien berichteten. Gegenüber dem Wirtschaftsmagazin «Forbes» sagte ein ehemaliger General der Einheit, Verints Technologie sei vom Geheimdienst «direkt beeinflusst» worden.
Zur NSA sind die Verbindungen ebenso eng. Kenneth Minihan, der in den Neunzigerjahren als Direktor der NSA amtete, wechselte später in den Vorstand von Verint. 2008 enthüllte der amerikanische Geheimdienstexperte James Bamford, gestützt auf einen Insider, dass Verint im Auftrag der Geheimdienste die Leitungen der grössten US-Mobilfunkanbieter Verizon und AT&T anzapfte und Gespräche von US-Bürgern ausspionierte.
Bund vertraut Verint mehr als UPC Cablecom
Beim Bund versucht man seit 2008 das alte Abhörsystem von Verint zu ersetzen, da es offenbar gegen verschlüsselte Internet-Kommunikation machtlos ist. Das Nachfolgeprodukt eines nicht genannten Anbieters entpuppte sich als Fehlkauf: Trotz Investitionen von 18 Millionen Franken kam es nie über den Testbetrieb hinaus. 2013 wurde der Auftrag neu ausgeschrieben und am 18. Dezember letzten Jahres wurde der Vertrag zwischen Verint und der Schweiz unterzeichnet. Der alte Anbieter ist also auch der neue.
Dass Verint in der Schweiz trotz allem erneut zum Zug kommt, verblüfft: Denn spätestens seit Edward Snowdens NSA-Enthüllungen ist bekannt, dass US-amerikanische Technologie-Firmen auf Druck der Regierung mit Geheimdiensten kooperieren, sprich Daten herausgeben müssen. Dass Verint mit engen Beziehungen zur NSA und dem israelischen Geheimdienst keine Ausnahme darstellt und sich mutmasslich Hintertüren in der Technologie verstecken, dürfte niemanden überraschen.
Der Bundesrat hat denn auch beschlossen, dass sensible Computersysteme von inländisch beherrschten Firmen erbracht werden sollen. Das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) hat als Reaktion auf die NSA-Enthüllungen die Zusammenarbeit mit UPC Cablecom im Herbst 2014 aufgekündet. Die Begründung: Cablecom sei ausländisch beherrscht und könne zum Einfallstor nachrichtendienstlicher Angriffe werden. Verint hingegen, die mit der Telefon- und Internetüberwachung offensichtlich sensible IT-Infrastruktur für die Schweiz liefert, geniesst merkwürdigerweise weiter das Vertrauen von Bund, Kantonen und Strafermittlungsbehörden. Sie haben sich gemeinsam für das neue Überwachungssystem entschieden.
Darum setzt der Bund auf ausländische Überwachungs-Technologie
«Es gibt nur wenige Anbieter auf dem Markt und das ausgewählte System aus dem Ausland ist das einzige, das die Schweizer Anforderungen an die Telefon- und Internetüberwachung vollständig erfüllt», sagt Güggi vom Dienst ÜPF. Zur Evaluation standen seines Wissens Unternehmen aus Europa, den USA und dem Nahen Osten. Ihm sei bisher kein Schweizer Anbieter bekannt, der die Anforderungen erfülle.
Dem Widersprechen Schweizer Software-Unternehmen. «Ein halbes Dutzend Schweizer Informatikunternehmen haben in den letzten Jahren gemeinsam daran gearbeitet, eine Schweizer Abhörlösung auf den Markt zu bringen», schrieb die Handelszeitung im Juni 2014. Der Bund habe sich nach dem Debakel mit dem 2013 gestoppten neuen Überwachungssystem, den jahrelangen Verzögerungen und einem Millionenverlust für den bequemsten Weg entschieden, lautet der Vorwurf der Verint-Kritiker. Programme von Verint sollen bereits in 150 Ländern zum Einsatz kommen. Der Bund hat also eine gewisse Sicherheit, dass die Abhörprogramme funktionieren.
«Kann die Schweiz einem US-Programm trauen, das in zentrale Teile unserer Kommunikation eingreifen kann?»
Nicht nur von heimischen IT-Unternehmen, auch von den Netzaktivisten der Digitalen Gesellschaft wird dieser Entscheid heftig kritisiert: «Die Kernfrage ist, kann der Dienst ÜPF einem Programm trauen, das in
zentrale Teile unserer Kommunikationsinfrastruktur eingreifen kann und
dessen Herstellerin bereits vor Jahren Daten der Amerikaner gestohlen hat.»
Nils Güggi vom Dienst ÜPF versucht zu beruhigen: «Das Abhörsystem greift nicht direkt Kommunikationsdaten ab.» Und: «Wir nutzen bereits Überwachungssysteme aus dem Ausland und hatten noch nie Hinweise auf einen Datenabfluss.» Die Systeme befänden sich in gut gesicherten Rechenzentren, «aber es gibt keine absolute Garantie, dass irgendein System frei von Spionageelementen ist. Das muss man heute vermutlich akzeptieren.»
Genau diese Antwort beunruhigt Datenschützer: «Der Bund muss sich blind auf den Verkaufskatalog von Verint verlassen», sagt die Digitale Gesellschaft. Auf Hintertüren überprüfen könne man die Software nicht. Es sei weder verhältnismässig, noch im öffentlichen Interesse, «dass die Kommunikation der ganzen Bevölkerung von ausländischen Diensten angezapft werden kann, obwohl die Fakten zu Verint seit zehn Jahren bekannt sind.»
Das Fazit
Die Ständeräte sind mit der Annahme des 99-Millionen-Kredits einstimmig dem Bundesrat und den Strafermittlern gefolgt. Diese wollen nun schnell ein erprobtes, aber potenziell unsicheres System aus dem Ausland, statt auf eine Schweizer Lösung zu warten, die allenfalls neue technische Komplikationen mit sich bringen könnte.
Snowdens NSA-Enthüllungen haben bei unseren Politikern nicht dazu geführt, dass IT-Projekte mit ausländischen Firmen kritischer geprüft werden. Im Gegenteil: Die umfassenden Spähprogramme der NSA haben den Wunsch bestärkt, ähnliche Überwachungsmittel nutzen zu können.
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