Dienstagabend, 18:08 Uhr: Gewiss, diese Anspielzeit mutet etwas skurril an. Doch ein Match am frühen Abend unter der Woche ermöglicht es all jenen ein Spiel zu besuchen, die sonst eher weniger ins Stadion gehen. Sprich: Unmengen von Kindern!
Bei einem normalen EM-Quali-Spiel, das um rund 20 Uhr stattfindet, können die Shaqiris und Stockers der Zukunft wenn, dann nur in Begleitung der Eltern ans Spiel. Vielleicht musste gestern der eine oder andere arrivierte Fan wegen der frühen Anspielzeit auf einen Matchbesuch verzichten, doch der Nachwuchs sorgte für eine mehr als nur würdige Vertretung.
Das bringt uns auch gleich zum nächsten Punkt: Als der Stadionspeaker vor dem Spiel Xherdan Shaqiris Namen vorliest, erlebt Zürich ein Gekreische wie seit 2006 und jenem legendären Tokio-Hotel-Konzert im Hauptbahnhof nicht mehr.
Pyros, Choreos und Sprechchöre: Die vielen Teenies und Dreikäsehochs im Stadion haben damit natürlich noch nicht so viel Erfahrung. Wie zum Beispiel jener Bub neben mir, der beim Betreten des Stadions vor Stolz fast platzt: «Mami, ich ha de Shaqiri gseh!»
Deswegen aber zu behaupten, die Stimmung sei lasch gewesen? Nein! Der Fan-Nachwuchs hat alles gegeben, das garantiere ich.
Unter den GC- und FCZ-Fans hat man die Hoffnung schon fast aufgegeben: Immer, wenn ein grosses Spiel ansteht, funktionieren die Bierleitungen nicht richtig. Ist Basel, YB oder der Stadtrivale zu Gast, strömt aus den Zapfhähnen ein undefinierbares Etwas ohne Geschmack und ohne Alkohol – Bier kann es jedenfalls nicht sein.
Doch gestern lohnt sich das Anstehen bei den Verpflegungsständen endlich wieder einmal. «Es kommt endlich wieder einmal Bier aus dem Zapfhahn», frohlockt ein erleichterter GC-Fan, als ich ihn auf ein Pausen-Schwätzchen treffe. Aufatmen: Die Bierleitungen im Letzigrund funktionieren also doch noch!
Nicht nur die Kleinen kamen gestern also auf ihre Kosten, auch die Grossen hatten Grund zur Freude.
Eine Stunde vor Spielbeginn herrscht rund um den Letzigrund Weltuntergangsstimmung. Das Sturmtief «Niklas», welches zurzeit halb Europa im Griff hat, zeigt sich von der unfreundlichsten Seite. Windböen und ein trommelnder Platzregen lassen sogar Zweifel aufkommen, ob unter diesen Umständen überhaupt gespielt werden kann.
Doch eine Viertelstunde vor Anpfiff ist der ganze Spuk vorbei: Die Wolken verziehen sich und es kommt sogar die Sonne zum Vorschein. Das Sturmtief «Niklas» scheint für das Nati-Spiel extra eine kurze Verschnaufpause einzulegen, nur um kurz nach Spielschluss wieder weiter zu wüten. Doch während des Spiels sind die Bedingungen für Spieler und Fans absolut angenehm.
16'100 Zuschauer finden gestern Abend den Weg in den Letzigrund. Mehr Fans hatte es diese Saison im «Letzi» nur einmal: Am 19. Oktober, im Derby zwischen dem FCZ und GC.
Auf die Frage, weshalb man denn dieses Testspiel ausgerechnet im stimmungslosesten und unbeliebtesten Stadion der Schweiz austrage, entgegnet Vladimir Petkovic im Vorfeld der Partie: «Wir wollen den Fans aus der ganzen Schweiz gerecht werden. Nächstes Mal sind wir in Thun, dieses Mal in Zürich.»
Der Nati-Coach lässt durchblicken, dass auch er gerne ein reines Fussballstadion in Zürich hätte. Doch deswegen die Zürcher Fans gleich ganz zu vernachlässigen, wäre auch nicht richtig. Zumal es auch endlich Zeit wurde, eine alte Rechnung mit dem Stadion zu begleichen. Das letzte Mal, als die Nati im Letzigrund auftrat, war im Jahr 2008: mit 1:2 gegen Fussballzwerg Luxemburg.
Unter Ottmar Hitzfeld verlor manWenn Trompeten-Sigi während dem Spiel die Nati-Cracks nach vorne bläst, dann ist das kein Problem. Der Mann hat Kult und wird von allen respektiert. Wenn sich jedoch eine Guggenmusik ins Stadion aufmacht und dort für Musik sorgt, dann bricht ein regelrechter Shitstorm über sie hinein.
Warum eigentlich? Wenn ein paar Hobby-Musiker im Stadion etwas Dampf ablassen wollen, dürfen sie das doch tun. Ein Fussballspiel soll doch ein Fest sein, bei dem Zuschauer jeglicher Couleur willkommen sind. Das sollte man doch nicht so eng sehen!
Grösster Farbtupfer ist und bleibt aber Trompeten-Sigi. Vor allem, wenn er 21 Jahre alte Fan-Utensilien aus dem Schrank hervorholt.
Klar, die erste Halbzeit ist aus Schweizer Sicht ziemlich durchzogen. Doch im zweiten Durchgang rollt der Ball wie am Schnürchen. Die Nati macht richtig Freude. Das Bemerkenswerte dabei: Von den elf Schweizer Spieler, die beim Schlusspfiff auf dem Feld stehen, ist – abgesehen von Steve von Bergen – keiner älter als 25 Jahre alt.
Vladimir Petkovic coacht ein schmuckes Team, das hochtalentiert ist und mit dem erst 18-jährigen Breel Embolo gestern Abend einen weiteren Diamanten erhalten hat.
Fazit: Der gestrige Abend war wichtig für die Jungen. Nicht nur für jene auf dem Platz, sondern auch für den Fan-Nachwuchs auf der Tribüne. Und das ist gut so. Da nehmen wir auch den Letzigrund, eine aussergewöhnliche Anspielzeit und etwas Guggenmusik in Kauf.