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Nigel Farage: Der Mann, der England aufstachelt

Nigel Farage: Der Mann, der England aufstachelt

Ausländer nehmen einem die Wohnungen weg, Jobs sowieso - und blockieren beim Arzt das Wartezimmer: Im britischen Wahlkampf macht es sich Nigel Farage mit solchen Parolen leicht. Doch der Chef der rechten Ukip kommt damit an.
20.04.2015, 12:42
Christoph Scheuermann, London
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Ein Artikel von
Spiegel Online
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Bild: Alastair Grant/AP/KEYSTONE

Nigel Farage hat im Wahlkampf mit vielem gerechnet, aber nicht mit der Sonne. Er kandidiert in England, da ist gutes Wetter selten ein Problem. Doch jetzt sticht das Licht von schräg oben durch ein Fenster auf das Podium, blendet ihn, wohin er sich auch bewegt. Er greift zum Mikrofon und für einen Moment rechnet man damit, dass er nun eine Wutrede auf die Sonne halten wird. Schliesslich ist sie ja auch Ausländerin, irgendwie.

Stattdessen ruft er ins Publikum: «Ich heisse Nigel Farage und bin 51 Jahre alt. Bevor ich in die Politik ging, hatte ich einen Job. Was sagt ihr jetzt?» Farage stellt sich als Geschäftsmann vor, der ein Leben ausserhalb der Politik hatte - im Gegensatz zum Establishment aus Westminster. Er sei Rohstoffhändler in der City gewesen, später habe er sein eigenes Business aufgebaut. Er tritt zwei Schritte nach rechts. Die verdammte Sonne ist immer noch da.

Farage ist Vorsitzender der «United Kingdom Independence Party» und Europa-Abgeordneter für Ukip. Seine Partei hat an diesem Sonntagnachmittag die Bürger von Ramsgate im Süden Englands zum «public meeting» eingeladen, in einen Mehrzwecksaal am Rand der Innenstadt.

Etwa 100 Männer und Frauen sind gekommen, Familienväter, Hausfrauen, Rentner, einige tragen Hörgeräte. Farage hat sich eine Krawatte umgebunden, auf die bunte Fliegenfischer-Angelhaken gedruckt sind, dazu trägt er ein gestreiftes Hemd mit Manschettenknöpfen und einen dunklen, weit geschnittenen Anzug. Er versprüht die Jovialität eines Gebrauchtwagenhändlers, der seine Garderobe seit 1987 nicht verändert hat. Die Menschen im Saal mögen das. Es erinnert sie an die glorreiche Zeit, als Grossbritannien seine eigenen Geschicke lenken konnte und noch nicht, wie Farage es darstellt, von einem Kraken aus Brüssel ferngesteuert wurde.

Es sind nicht einmal mehr drei Wochen bis zur Parlamentswahl, Farages Einsatz ist hoch. Er hat angekündigt, als Ukip-Chef zurückzutreten, wenn er kein Mandat bekommt. Gut möglich, dass er von der politischen Bühne verschwindet. Ramsgate ist der grösste Ort in seinem Wahlkreis Thanet South, einen klaren Favoriten gibt es nicht. Landesweit liegt die Ukip in Umfragen derzeit bei 13 Prozent, Demoskopen dämpfen die Erwartung. Wenn Farage Ramsgate überzeugen kann, für ihn zu stimmen, ist er dem Parlament einen grossen Schritt näher.

Migranten strapazieren Gesundheitssystem und Wohnungsmarkt

Er wedelt mit einer violetten Broschüre über seinem Kopf. «Das ist unser Wahlprogramm, es wurde von einem unabhängigen Institut geprüft», ruft er.

In der Broschüre steht, dass Grossbritannien die Europäische Union verlassen soll, unqualifizierte Einwanderer fünf Jahre lang nicht ins Land kommen dürfen und ein Punkte-System für potenzielle Immigranten eingeführt werden soll, ähnlich wie in Australien. Ausserdem will Farage die Ausgaben für das Militär erhöhen und die geplante Hochgeschwindigkeits-Trasse HS2 streichen. Alles unter der Bedingung, dass Ukip an die Macht kommt.

Das ist so wahrscheinlich wie der Rücktritt der Queen, Farage weiss das. Aber auch so hat er viel bewirkt. Seit Jahren treiben er und seine Anhänger die Konservativen und Labour vor sich her. Ohne die Gefahr durch Ukip und den Druck von Hinterbänklern hätte Premierminister David Cameron kaum ein EU-Referendum für 2017 versprochen. Ohne Ukip würde nicht das halbe Land über Ausländer diskutieren. Gerade überbieten sich die beiden grossen Parteien mit Vorschlägen, wie man die Einwanderung reduzieren kann. Das ist zum grossen Teil Farages Verdienst. Wenn man sich die Themen des Wahlkampfs ansieht, gibt es schon jetzt einen heimlichen Gewinner.

Migranten hätten die Wohnungskrise in Grossbritannien ausgelöst, sagt Farage auf dem Podium. «Das ist eine einfache Rechnung von Angebot und Nachfrage.» Einwanderer strapazierten auch das Gesundheitssystem. Dazu zählten HIV-Kranke, die auf die Insel kommen und jedes Jahr für je 20'000 Pfund Medikamente erhielten, ohne bezahlen zu müssen. Migranten seien zudem dafür verantwortlich, dass Engländer zu lange auf Arzttermine warten müssten.

Merkel und die anderen Idealisten auf dem Kontinent

Farage ist in zweiter Ehe mit einer Frau aus Hamburg verheiratet, die er zeitweise als Sekretärin beschäftigte und aus EU-Geldern bezahlte. Sie haben zwei Kinder. Die Ironie ging auch an ihm nicht vorüber, dass ausgerechnet er sich über Immigranten aufregt. Seine Frau erwähnt er mehrfach, wenn auch nicht namentlich. Er sagt: «Ich bin mit jemandem aus Europa verheiratet.» Farage wippt auf Zehenspitzen. In Europa gebe es 458 Millionen Menschen mit einem europäischen Pass, sagt er, 458 Millionen, die problemlos nach Grossbritannien einreisen und hier arbeiten können. «Wir wollen aber die Hochqualifizierten.» Er lächelt sein breites Froschlächeln.

Jetzt auf

Ausserdem ärgert er sich über die Schotten, die vom englischen Steuerzahler gefüttert würden, sowie über Juncker, Tusk, Merkel und die anderen Idealisten auf dem Kontinent. Laut Farage planten sie gerade, die EU in einen riesigen, alles verschlingenden Staat mit einer eigenen Armee zu verwandeln. «Das sind gefährliche Fanatiker», ruft er. Putin nennt er den «russischen Bären».

Später gibt er Autogramme. Es sieht aus, als hätte ihm das Publikum die Rolle als Anwalt des gesunden Menschenverstands abgekauft, als Rächer der englischen Minderheit. Die Stimmung ist gelöst. An einem Merchandising-Stand verkaufen drei weisshaarige Damen Kuchen und Farages neues Buch «Revolution», für zehn Pfund pro Exemplar. Wer in die Partei eintritt, bekommt es gratis.

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