
Sag das doch deinen Freunden!
Für einmal kann man
von einer echten Sensation sprechen: In seinem Buch «Schweizer
Terrorjahre» enthüllte der NZZ-Reporter Marcel Gyr ein
«Stillhalteabkommen», das der damalige Aussenminister Pierre Graber (SP) 1970 mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO)
abgeschlossen hatte. Die Schweiz war damals mehrfach von
Terroranschlägen betroffen. Im Februar 1969 starben bei einem Angriff auf eine El-Al-Maschine in Kloten ein Pilot und ein Angreifer. Ein Jahr später kamen 47 Menschen ums Leben, als eine
Swissair-Maschine nach einer Bombenexplosion bei Würenlingen
abstürzte. Im September 1970 wurde ein weiteres Swissair-Flugzeug
nach Jordanien entführt.
Im gleichen Monat
soll der umstrittene Deal in einem Genfer Hotel besiegelt worden
sein. Die Palästinenser verpflichteten sich, die Schweiz künftig zu
verschonen. Sie hielten sich daran. Als Gegenleistung setzte sich die
Schweiz dafür ein, dass die PLO bei der UNO in Genf ein
Informationsbüro einrichten konnte. Das Abkommen war dermassen
heikel, dass nicht einmal der Gesamtbundesrat informiert wurde. Nur
die wenigen noch lebenden Beteiligten wussten bislang Bescheid, allen
voran der ehemalige SP-Nationalrat Jean Ziegler, der als Vermittler
tätig war.
Selbst Didier
Burkhalter, der heutige Leiter des Aussendepartements, wusste von
nichts und zeigte sich im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» überrascht. Man müsse nun herausfinden, was damals
genau passiert sei, meinte Burkhalter. Denn das Abkommen wirft eine
Frage von höchster Brisanz auf: Darf man mit Terroristen verhandeln?
Der spontane Reflex sagt klar Nein. Auch die NZZ fragt sich in einem
Kommentar, ob es nicht inakzeptabel sei, «wenn sich ein Staat den
Gewaltverzicht mit klandestinen Konzessionen erkauft».
Für Oliver
Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich,
ist der Fall klar: «Man prämiert Terrorismus als politische
Gewaltstrategie», sagte er in der SRF-Tagesschau. Werden
Terroristen von Staaten als Gesprächs- oder gar Vertragspartner
anerkannt, können sie sich in ihrem blutigen Treiben bestätigt
fühlen. Umgekehrt machen sich Staaten erpressbar, wenn sie zu
Zugeständnissen an Terroristen bereit sind. Es erstaunt daher nicht,
dass Bundesrat Graber den Kreis der Involvierten klein hielt und der
Deal mehr als 45 Jahre geheim blieb.
Diggelmann verweist
auf ein weiteres Problem: Es sei «heuchlerisch», mit Terroristen
zu verhandeln in der Hoffnung, dass man sich nicht länger in ihrem
Visier befinde. «Man erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, dass
Andere das Ziel von Anschlägen werden.» Hat sich die neutrale
Schweiz damals also auf Kosten anderer Länder mehr Sicherheit
erkauft? Beweisen lässt es sich kaum. Aber allein der Verdacht sorgt
für einen unappetitlichen Beigeschmack.
Kommt hinzu, dass
das Informationsbüro nicht das einzige Zugeständnis an die PLO war.
Die Schweiz sei «unglaubliche Konzessionen» eingegangen, sagte
Jean Ziegler der «Süddeutschen Zeitung». Unmoralisch sei vor
allem die Straffreiheit für die Attentäter gewesen, namentlich im
Fall des Absturzes bei Würenlingen. Obwohl die mutmasslichen Täter
nach kurzer Zeit enttarnt waren, wurden sie von der Schweizer Justiz
nie behelligt. Im Jahr 2000 stellte die Bundesanwaltschaft das
Strafverfahren endgültig ein, ohne die Angehörigen der Opfer zu
informieren.
Der Verdacht stand schon lange im Raum, dass es zu geheimen Absprachen gekommen
war. Nun verdichtet er sich zur Gewissheit, obwohl es keine
schriftlichen Belege gibt. Doch laut dem Buch von Marcel Gyr nahm
auch der damalige Bundesanwalt Hans Walder am Treffen mit dem
PLO-Vertreter Farouk Kaddoumi im Genfer Hotel teil. Es liegt auf der
Hand, dass beschlossen wurde, keine Anklage gegen die Verdächtigen
von Würenlingen zu erheben.
Für die Angehörigen
der Opfer muss die Vorstellung unerträglich sein, dass ihnen durch
den Deal mit den Palästinensern Gerechtigkeit versagt wurde. «Aber
wäre es für sie besser, wenn es noch mehr Betroffene geben würde?» fragt die «Aargauer Zeitung. Wenn andere Menschen zu
Terroropfern geworden wären, was durch das Abkommen verhindert werden konnte? Rechtfertigt die Rettung von Menschenleben
somit Verhandlungen mit Terroristen?
Eine einfache
Antwort auf dieses moralische Dilemma gibt es nicht. Seit damals aber
scheint die Schweiz noch in anderen Fällen nach dem Motto «Im
Zweifel für die Menschenleben» gehandelt zu haben. Mehrfach wurden
Schweizerinnen und Schweizer von terroristischen Organisationen als
Geiseln genommen. In mindestens zwei Fällen besteht der Verdacht,
dass Lösegeld zu ihrer Freilassung führte: 2003 nach der Entführung
einer Reisegruppe in der Sahara und 2009, als sich ein Zürcher
Ehepaar in Mali in der Gewalt der Al Kaida im Islamischen Maghreb
(AQMI) befand.
Die beiden Schweizer
kamen schliesslich frei, während ein ebenfalls entführter Brite
umgebracht wurde. Die «New York Times» behauptete 2014, die
Schweiz habe ein Lösegeld von 12,4 Millionen Dollar bezahlt, getarnt
als Entwicklungshilfe für die malische Regierung. Das
Aussendepartement (EDA) dementierte den Bericht, doch europäische Länder wie Deutschland und Frankreich haben in
ähnlichen Fällen nachweislich Landsleute freigekauft. Während die
USA und Grossbritannien jeweils hart blieben und den Tod der
Entführten in Kauf nahmen.
Verhandlungen mit
Terroristen sind das Eine. Ihnen Geld zu bezahlen, wirkt noch um eine
Spur verwerflicher. Allerdings sind die Terroristen von heute
manchmal die Staatsmänner von morgen. Selbst Israel setzte sich mit
der PLO an den Verhandlungstisch. Eine nachhaltige Lösung für den
Palästina-Konflikt gibt es bis heute nicht, doch ihr politischer
Arm, die Fatah, regiert heute im Westjordanland. Auch die IRA in
Nordirland oder die FARC in Kolumbien wurden zu einem bestimmten
Zeitpunkt Teil der politischen Prozesses und als Gesprächspartner
anerkannt.
Der 1995 ermordete
israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin hat dazu ein treffendes
Motto formuliert: «Wir werden
Terrorismus bekämpfen, als gäbe es keine Verhandlungen, und wir
verhandeln, als gäbe es keinen Terrorismus.» Besser kann man die
moralische Zweideutigkeit dieses Unterfangens nicht auf den Punkt
bringen. Eine Einschränkung allerdings gibt es: PLO, IRA oder FARC
sind säkulare Organisationen, die zu rationalem Denken fähig sind.
Von heutigen Terrorgruppen wie dem «Islamischen Staat» lässt
sich dies kaum behaupten. Sie töten aus ideologischer Verblendung.
Ihre Devise lautet: «Je mehr Unschuldige sterben, umso besser.» Kann man mit solchen Killern verhandeln? Für Didier Burkhalter ist
der Fall klar: «Man kann zwar mit vielen Gruppen diskutieren. Aber
es muss auch klar sein, wo die Grenzen sind», sagte er dem «Tages-Anzeiger». Mit einer Gruppe wie dem «IS» könne man
unmöglich diskutieren und erst recht kein Abkommen schliessen: «Das
ist absolut ausgeschlossen.»
Wirklich absolut?
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) versucht sehr wohl, mit dem «IS» über die humanitäre Versorgung der Bevölkerung in
den von ihr kontrollierten Gebieten zu verhandeln. Es sei das höchste Ziel des Roten Kreuzes, in die «unmittelbare
Nähe» notleidender Menschen zu gelangen, sagte
IKRK-Generaldirektor Yves Daccord im Dezember der Nachrichtenagentur
AFP in einem Interview. Die Helfer müssten daher «mit jedem
reden».
Das IKRK ist kein
Staat, sondern eine Hilfsorganisation, die sich als «radikal
neutral» definiert. Sie strebt bei Konflikten den Dialog mit allen
beteiligten Parteien an, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Auch
hier geht es letztlich um die Rettung von Menschenleben. Doch auch
dieses hehre Vorgehen birgt Gefahren. Gespräche mit dem hoch
angesehenen IKRK können den «IS» aufwerten und umgekehrt das
Rote Kreuz erpressbar machen, mit unabsehbaren Folgen.
Verhandlungen mit
Terroristen sind ein «Ritt auf der Rasierklinge», so die NZZ. Die
Gefahr, dass man sich ins eigene Fleisch schneidet, ist beträchtlich.
Realpolitisch sind sie nachvollziehbar. Ethisch aber bleiben sie hoch
problematisch. Um nicht zu sagen unerträglich.