
Sag das doch deinen Freunden!
Mit Terroristen verhandelt man nicht. Wer es dennoch tut, macht sich erpressbar. Und wenn dadurch das Leben von Geiseln gerettet werden kann? Ein moralisch unlösbares Dilemma, in dem sich auch die Schweiz im Herbst 1970 befand, nachdem sie ins Visier palästinensischer Terroristen geraten war. In seinen neuen Buch «Schweizer Terrorjahre» enthüllt NZZ-Reporter Marcel Gyr brisante Details über jene dramatische Zeit: Um das Land vor weiterem Terror zu verschonen, schloss ein SP-Bundesrat mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ein geheimes Stillhalteabkommen, für das die Schweiz einen hohen Preis bezahlte. Mittendrin der damals noch wenig bekannte Nationalrat Jean Ziegler, der dazu über 40 Jahre geschwiegen hat.
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Am 18. Februar 1969 verübt ein Kommando der «Volksfront zur Befreiung Palästinas» (PFLP) auf dem Flughafen Zürich-Kloten einen Terroranschlag auf eine Maschine der israelischen Airline El Al. Drei der vier Attentäter werden gefasst und zu je zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Jahr später explodiert im Frachtraum von Swissair-Flug 330 nach Tel Aviv eine Paketbombe. Die Coronado stürzt bei Würenlingen ab, alle 47 Insassen kommen ums Leben. Am 6. September schlägt die PFLP erneut zu: Sie entführt drei Maschinen, darunter eine der Swissair, und zwingt sie zur Landung auf einem verlassenen Flugfeld in der jordanischen Wüste. Die Schweizer Geiseln kommen frei, im Gegenzug lässt Bern die inhaftierten Kloten-Attentäter laufen.
So weit, so bekannt. Hinter den Kulissen spielte sich derweil Unglaubliches ab, wie Gyr enthüllt:
Bundesrat und Aussenminister Pierre Graber führte während der Geiselkrise in Jordanien geheime Verhandlungen mit seinem «Amtskollegen» von der PLO, Farouk Kaddoumi. Seine Kollegen im Bundesrat liess Graber darüber ebenso im Dunkeln wie die Regierungen Deutschlands, Grossbritanniens und der USA. Deren Flugzeuge, bzw. Bürger waren ebenfalls von der Geiselkrise betroffen und hatten zusammen mit der Schweiz einen Sonderstab gebildet. Es war abgemacht worden, dass niemand separat mit den Terroristen verhandelt, sondern immer gemeinsam aufzutreten.
Während die Palästinensische Autonomiebehörde heute als anerkannter Partner gilt, waren offizielle Kontakte mit der PLO damals für eine westliche Regierung völlig undenkbar. Nicht zuletzt wegen der zahlreichen Anschläge und Entführungen wären diese der Öffentlichkeit auch kaum zu vermitteln gewesen. Das wusste auch Graber und so suchte er die Dienste eines Emissärs und fand sie im 36-jährigen Jean Ziegler, der damals in seiner ersten Session für die SP im Nationalrat sass. Er war mit einer Ägypterin verheiratet und die gemeinsame Wohnung im Genfer Vorort Choulex so etwas wie eine vorübergehende Ersatzheimat für einige im Untergrund lebende PLO-Funktionäre.
Ziegler hat über seine damalige Rolle lange geschwiegen, will im Vorgehen seines Parteigenossen Graber aber nichts Verwerfliches erkennen, im Gegenteil:
In den geheimen Verhandlungen zwischen Bundesrat Graber und der PLO in einem Genfer Hotel wurde schnell klar, dass es mit der Freilassung der drei in der Schweiz inhaftierten Terroristen nicht getan sein würde. Während die «Brüder» von der PFLP Flugzeuge entführten und in die Luft jagten, waren Figuren wie Farouk Kaddoumi mehr an einer diplomatischen Anerkennung der Palästinenser interessiert. Sein konkreter Wunsch: Eröffnung eines PLO-Büros am UNO-Sitz in Genf. Als Gegenleistung bot er eine Sicherheitsgarantie an: Die Schweiz würde fortan vom Terror verschont bleiben. Graber nahm an.
Schon die Eröffnung des Büros war von Misstönen begleitet. Vor dem Parlament versuchte Graber tiefzustapeln und nannte es «un bureau avec un petit b». Dem Leiter Daoud Barakat wurden zudem Verbindungen zu Terrorgruppen innerhalb der PLO nachgesagt. Wenn er nicht bekam, was er wollte, drohte er unverhohlen, nicht mehr länger für die Sicherheit der Schweiz garantieren zu können. Die Schweiz hatte sich erpressbar gemacht. Über die Gründe für Grabers riskantes Vorgehen, kann man heute nur noch spekulieren. Um die Schweiz vor weiterem Schaden zu bewahren, waren ihm offenbar auch unkonventionelle Wege recht. Die Konsequenzen hingegen waren aus Sicht von Gyr klar:
Gyrs Enthüllungen basieren auf Interviews mit den letzten lebenden Protagonisten aus jener Zeit: Vize-Bundeskanzler Walter Buser, der damals die Protokolle der Bundesratssitzungen schrieb. Farouk Kaddoumi, der im tunesischen Exil lebt. Und Jean Ziegler, dem damaligen Emissär.
«Schweizer Terrorjahre, das geheime Abkommen mit der PLO» ist im Verlag Neue Zürcher Zeitung erschienen. Autor Marcel Gyr (*1961) ist seit 2001 bei der NZZ, zuletzt als leitender Reporter. 2014 gewann er den Swiss Press Award.