
Sag das doch deinen Freunden!
Der Funkspruch
dauert ganze zwei Sekunden und lässt niemanden kalt: «Goodbye
everybody», sagt Co-Pilot Armand Etienne mit schluchzender Stimme.
Es sind die letzten Worte eines todgeweihten Menschen. Wenige
Augenblicke später zerschellt Swissair-Flug 330 an diesem 21.
Februar 1970 um 13.34 Uhr im Unterwald bei Würenlingen AG. Alle 47
Insassen sterben.
Es ist der blutigste
Terroranschlag in der Geschichte der Schweiz. Die Urheber sind
weitgehend bekannt, wurden aber nie zur Rechenschaft gezogen. Jetzt
kennt man den Grund: Der damalige SP-Aussenminister Pierre Graber
schloss ein geheimes Stillhalteabkommen, um die Schweiz vor weiteren
Attentaten durch palästinensische Terroristen zu schützen.
Dabei war der
Terrorakt von Würenlingen gar nicht gegen die Schweiz oder die
Swissair gerichtet. Die in München aufgegebene Paketbombe sollte
eine Maschine der israelischen Gesellschaft El Al zum Absturz
bringen. Weil sie kurzfristig nach Köln umgeleitet wurde, gelangte die Postsendung via Zürich auf den Swissair-Flug nach Tel Aviv. Wenige Minuten
nach dem Start an diesem nasskalten Samstag explodierte die mit einem
Höhenmesser gekoppelte Bombe.
Um 13.21 Uhr setzt
Karl Berlinger, der Pilot der Coronado «Baselland», einen ersten
Notruf ab: «Zürich, Swissair 330, wir haben Probleme mit dem
Kabinendruck, wir müssen zurück nach Zürich.» Über Brunnen SZ wendet er das Flugzeug. Eine Minute später meldet sich Berlinger
erneut: «Zürich, von Swissair 330, wir vermuten eine Explosion im
hinteren Gepäckraum.»
Die Funksprüche
offenbaren das Drama, das sich an Bord abgespielt haben muss: «Zürich, Swissair 330, wir haben Feuer an Bord, ersuchen um eine
sofortige Landung.» Dann schreit Berlinger, möglicherweise durch
eine Sauerstoffmaske: «Notfall, wir haben Feuer und Rauch an Bord,
ich kann nichts sehen!» Als nächstes meldet sich Co-Pilot Armand
Etienne: «330 stürzt ab!» Es folgen die besagten letzten Worte,
dann kommt es zum Crash.
Als einer der Ersten
erreicht der heute 74-jährige Arthur Schneider den Unglücksort. Er
war damals Gemeinderat und später während 16 Jahren Gemeindeammann
von Würenlingen. Ihm bietet sich ein Bild des Grauens: Der Aufprall
mit vollen Treibstofftanks hatte das Flugzeug sowie die 38
Passagiere und neun Besatzungsmitglieder in kleinste Teile zerrissen.
Als erstes sieht Schneider eine menschliche Hand. Der Anblick
verfolgt ihn bis heute.
Er wird aber auch
Zeuge weiterer hässlicher Szenen: Das Unglück lockt zahlreiche
Gaffer an, die teilweise ungeniert Trümmerteile als «Souvenirs» und sogar Wertsachen mitgehen lassen. Arthur Schneider schilderte
diese Episoden in einem letztes Jahr erschienenen Buch mit dem
bezeichnenden Titel «Goodbye everybody». Weil es damals noch keine
DNA-Tests gab, wurden die menschlichen Überreste beliebig auf die
Särge verteilt, vermischt mit Erde.
Gleichzeitig hatte
die Schweiz Glück im Unglück: Der Absturz ereignete sich nur
wenige hundert Meter entfernt vom Atomkraftwerk Beznau und vom Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung, dem heutigen Paul
Scherrer Institut (PSI). Weil die Bombe in Kloten an Bord gelangte,
führte die Bezirksanwaltschaft Bülach
die Untersuchung durch. Bereits im Dezember 1970 lieferte sie ihren Bericht
bei der Bundesanwaltschaft in Bern ab.
Danach geschah genau
gar nichts, obwohl man die mutmasslichen Täter kannte. Zwei Tage
nach dem Anschlag ging bei der Swissair ein anonymer Anruf
ein, in dem sich die radikale Volksfront für die Befreiung
Palästinas (PFLP) zur Tat bekannte. Sufian Radi Kaddoumi, ein
Palästinenser mit jordanischer Staatsbürgerschaft, soll die Bombe
in München aufgegeben haben.
Der Journalist
Gregor Henger spürte Kaddoumi wenige Wochen nach dem Attentat in
Jordanien auf. In einem Radiointerview bestritt er wortreich, in den
Anschlag verwickelt zu sein. Sufian Kaddoumi ist seit Mitte der
1990er Jahre spurlos verschwunden. Ist er gestorben? Haben ihn die
Israelis beseitigt? Oder die eigenen Leute? Als Hintermann des Würenlinger Anschlags gilt Ahmed Dschibril, Chef
einer PFLP-Splittergruppe. Er soll gemäss der NZZ heute in Syrien
leben und im Bürgerkrieg an der Seite von Präsident Baschar Assad
kämpfen.
Obwohl es sich um
eine ungeheuerliche Tat handelte, ist der Terrorakt von Würenlingen
strafrechtlich seit 1990 verjährt. Die damalige Bundesanwältin
Carla Del Ponte versuchte 1995 mit einem «juristischen Kniff», so
die NZZ, das Verfahren erneut aufzurollen. Im November 2000 beschloss
die Bundesanwaltschaft jedoch die endgültige Einstellung,
klammheimlich, ohne die Öffentlichkeit oder die Angehörigen der Opfer zu informieren.
Das Motiv für die
Untätigkeit dürfte das Abkommen mit der
Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) bilden, das der
NZZ-Journalist Marcel Gyr in seinem Buch Schweizer Terrorjahre enthüllt hat. Pikantes Detail: Bundesrat Graber verhandelte damals
via SP-Nationalrat Jean Ziegler mit Faruk Kaddoumi, dem «Aussenminister» der PLO. Er trägt den gleichen Namen wie der
mutmassliche Attentäter von Würenlingen und soll im gleichen Dorf
aufgewachsen sein. Es gibt Mutmassungen, wonach er sogar der Bruder von Sufian
Kaddoumi sein soll.
Der ehemalige
Würenlinger Gemeindeammann Arthur Schneider zeigte sich gegenüber
der «Aargauer Zeitung» nicht überrascht. Er habe immer gewusst,
dass es «Abmachungen gegeben haben musste, die nicht an die
Öffentlichkeit gelangen durften». Nun fordern Politiker eine
lückenlose Aufklärung. «Das schulden wir den Opfern der
palästinensischen Terrorakte und deren Hinterbliebenen», sagte
Corina Eichenberger, Aargauer FDP-Nationalrätin und Präsidentin der
Gesellschaft Schweiz–Israel, der NZZ.
Auch Ruedi
Berlinger, der Sohn des Coronado-Piloten, hofft nach Erscheinen des
Buches, dass «sich endlich aufklärt, warum es nie zu einem
Gerichtsverfahren gekommen ist». Würden die Schuldigen beim Namen
genannt, könnte die Gerechtigkeit doch noch siegen, sagte er dem «Migros-Magazin».