Wirtschaft
Schweiz

HSG-Ökonom Reto Föllmi: «Migration ist für die AHV sehr positiv»

Interview

Ökonom über positiven Effekt von Migration – «Zahlen mehr in AHV ein, als sie beziehen»

Die Zuwanderung stärkt die Finanzierung der AHV. Das geht aus einer neuen – noch nicht publizierten – Studie hervor. watson hat sich mit Volkswirtschaftsprofessor und Studienautor Reto Föllmi über die wichtigsten Erkenntnisse unterhalten.
28.09.2023, 19:4028.09.2023, 20:38
Ralph Steiner
Folge mir
Mehr «Wirtschaft»

Sie haben aus einer wirtschaftlichen Perspektive untersucht, wie sich die Zuwanderung auf die AHV auswirkt. Was sind Ihre Erkenntnisse?
Reto Föllmi: Migration ist für die AHV sehr positiv. Der Grund ist, dass die Zuwanderung die Bevölkerung in der Schweiz verjüngt. Die meisten Personen, die zuwandern, sind zwischen 20 und 50 Jahre alt. Sie zahlen in die AHV ein, dies entlastet die Sozialversicherungen. Und sie zahlen mehr ein, als sie beziehen. Ohne die Zuwanderung wären vermutlich einige zusätzliche AHV-Reformen nötig gewesen. Durch die Zuwanderung entsteht eine demografische Dividende.

Können Sie Zahlen nennen?
Im Moment ist es so, dass Zugewanderte 40 Prozent der Einzahlungen in die AHV leisten, die ansässige Bevölkerung 60 Prozent. Die Zugewanderten beziehen aber nur 30 Prozent der Leistungen. Das macht eine Differenz von rund 10 Prozentpunkten. Gehen wir von einem mittleren Bevölkerungswachstum aus, wird es 2070 so sein, dass die Zugewanderten 50 Prozent einzahlen und 40 Prozent beziehen. Das Verhältnis bleibt also gleich.

Reto Föllmi ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St.Gallen.
Reto Föllmi ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St.Gallen.bild. zvg

Waren Sie überrascht über Ihre Resultate?
Schon ein wenig. Vor allem, weil jene Menschen, die zuwandern, im Schnitt ein bisschen weniger verdienen als die ansässige Bevölkerung und öfters arbeitslos sind. Der Effekt der Verjüngung auf unsere Bevölkerung dominiert aber diese beiden Faktoren.

Zeigen sich diese Unterschiede bezüglich Einkommen und Arbeitslosigkeit bei allen Zuwanderern?
Bei Zuwanderern aus EU- und EFTA-Staaten sind die Zahlen sehr vergleichbar mit der ansässigen Bevölkerung. Unterschiede zeigen sich vor allem im Vergleich mit Zuwanderern aus Drittstaaten.

«Man muss immer im Blick haben, was passiert, wenn wir keine Zuwanderung mehr hätten.»

Müsste man, basierend auf Ihren Erkenntnissen, die Hürden für Zuwanderung senken, um die AHV zusätzlich zu stärken?
Bei EU- und EFTA-Staaten haben wir ja gar keine Hürden, ausser einem vorliegenden Arbeitsvertrag. Die Grenzen generell zu öffnen, würde vielleicht dazu führen, dass sich die Bevölkerung zusätzlich verjüngt. Es ist aber fraglich, wie stark dieser Effekt wäre. Ich würde beim bewährten System der Personenfreizügigkeit bleiben.

Und bei Drittstaaten?
Geht es um Spezialisten aus Drittstaaten, könnte man die Kontingente lockern. Allerdings sind die Lohnunterschiede dort ziemlich gross, verglichen mit der ansässigen Bevölkerung. Es ist nicht gelungen, aus Drittstaaten spezifisch diejenigen Menschen einwandern zu lassen, die gut verdienen.

Was passiert, wenn die zugewanderten Personen selbst das Pensionsalter erreichen?
Die Schweiz muss weiterhin attraktiv bleiben für gut qualifizierte Zuwanderer, dann kann sie den angesprochenen Verjüngungseffekt durch Zuwanderung beibehalten. Passiert das nicht, profitieren wir die nächsten 20 bis 30 Jahre von diesem Effekt. Danach aber nicht mehr, weil zu wenig Zuwanderer folgen, welche die AHV der ansässigen Bevölkerung, aber auch jene der dann pensionierten Zuwanderer, finanzieren. Man spart mit der AHV ja nicht die eigene Rente an, sie funktioniert nach dem Umlageverfahren.

Sie beleuchten das Thema Zuwanderung aus einer wirtschaftlichen Perspektive. Was sagen Sie zu Schwierigkeiten in anderen Bereichen, die Zuwanderung mit sich bringen kann?
Es ist klar, dass sich die Geschwindigkeit der Zuwanderung in einem sinnvollen Rahmen bewegen muss. Ist das Tempo zu hoch, entstehen Probleme bei der Integration, sei dies sprachlich oder kulturell. Dazu fehlt die nötige Infrastruktur. Dass man dies auf politischer Ebene diskutiert, finde ich absolut okay. Man muss aber immer im Blick haben, was passiert, wenn wir keine Zuwanderung mehr hätten.

Können Sie das präzisieren?
Die jetzige Infrastruktur, beispielsweise Bahnstrecken, ist ja trotzdem da. Die Schweiz schrumpft nicht einfach. Ohne Zuwanderung fehlt das Geld, diese Infrastruktur zu unterhalten. Das wäre eine sehr negative Entwicklung.

Sind Sie der Meinung, dass die Schweiz mit einer zurückgehenden Zuwanderung oder gar einer Abwanderung mehr Herausforderungen hätte als mit der aktuellen Zuwanderung?
Absolut. Die Herausforderungen für die Schweiz wären viel grösser.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
75 Jahren Flughafen Zürich: Checkt mal diese Bilder!
1 / 65
75 Jahren Flughafen Zürich: Checkt mal diese Bilder!
Mit dieser ersten gelandeten Maschine, einer Douglas DC-4 der Swissair, wurde der Flughafen Zürich-Kloten am 14. Juni 1948 offiziell eingeweiht.
quelle: photopress-archiv / ernst baumann
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Krankenkassenprämien steigen um 8.7 Prozent – das sagt die Bevölkerung
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
271 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Sir Lancelot
28.09.2023 20:00registriert Mai 2021
Was für eine unglaublich kurzfristige Sichtweise. Die ganzen Zuwanderer sind ja auch nicht 60+ Jahre alte Leute, sondern zwischen 20 und 40 Jahre alt. Ist ja völlig logisch, dass sie aktuell mehr einzahlen als beziehen. Für das braucht man eine Studie? Aber wie sieht es in 40 Jahren aus? Mit deiner Logik bräuchten wir dann ja x Mal mehr Zuwanderung als heute, damit alle heutigen Einzahler später auch mal etwas beziehen können. Tolle Aussichten!
26139
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ökonometriker
28.09.2023 20:27registriert Januar 2017
Der einzelne Zuwanderer zahlt eben nicht mehr ein, als er bezieht. Denn er hat meistens schon ein paar Jahre im Ausland gearbeitet und dort Sozialbeiträge bezahlt.
Das System funktioniert am Ende nur, weil immer mehr Zuwanderer kommen. Aber das ist nicht nachhaltig.

Wenn die Bevölkerung weiter so wächst wie in den letzten 10 Jahren, leben im Jahr 2100 hierzulande 43 Millionen Menschen. Ja, Föllmi hat schon recht, die AHV wäre damit finanziert. Aber das Land wäre zubetoniert.

Wir brauchen eine nachhaltige Finanzierung der AHV. Kein Schneeballsystem.
18020
Melden
Zum Kommentar
avatar
ridanz swerd
28.09.2023 23:10registriert August 2021
Keine Überraschung dass ein HSGler die "positiven" seiten der immigration herausstreicht.
354
Melden
Zum Kommentar
271
Etwa 150 werden ihre Stelle verlieren – Migros informiert am Dienstag über Entlassungen
Die Migros wird im Rahmen ihrer Neuausrichtung am kommenden Dienstag erste Entlassungen bekanntgeben. Rund 150 Mitarbeiter der neuen Supermarkt AG dürften ihre Stelle verlieren, weitere 100 müssen intern den Job wechseln.

Die Migros äusserte sich am Freitag gegenüber Nachrichtenagentur AWP zu einer entsprechenden Meldung des Blogs «Inside Paradeplatz». Dieser hatte als erster die Zahl der Entlassungen genannt. «Die genannten Zahlen werden in etwa zutreffen», sagte ein Sprecher. Die Migros werde am Dienstag nach Pfingsten über die Veränderungen in der Supermarkt AG informieren. Dabei werde es in allen Bereichen zu Anpassungen, kommen, so der Sprecher.

Zur Story