In der 46. Minute erzielt Reto Suri von Zug das 4:3. Das dramatischste Tor in der ganzen bisherigen Saison. Denn der Torhüter von Bern, Nolan Schaefer, nimmt den Treffer praktisch regungslos entgegen. Er ist hilflos. Er hatte sich Sekunden vorher bei einer Parade eine schwere Leistenzerrung zugezogen.
Der gesunde Menschenverstand sagt: Einer von den beiden Headschiedsrichtern (Nadir Mandioni oder Didier Massy) hätte das Spiel abpfeifen müssen, bevor das 4:3 fiel. Aber regeltechnisch haben die Refs keinen Fehler gemacht.
Wenn ein Spieler verletzt ist, können die Schiedsrichter das Spiel dann unterbrechen, wenn die Mannschaft vom verletzten Spieler wieder in Puckbesitz ist. Nach der Parade von Nolan Schaefer kommt der SCB in Puckbesitz und fährt einen Konter. Jetzt könnte das Spiel unterbrochen werden – aber weder Nadir Mandioni noch Didier Massy erkennen zu diesem Zeitpunkt, dass der SCB-Goalie verletzt ist.
Erst beim Gegenangriff von Zug realisieren sie es – aber sie lassen das Spiel laufen, bis Reto Suri mühelos gegen den blessierten SCB-Goalie zum 4:3 trifft. Es lag in ihrem Ermessen die Verletzung als nicht so gravierend zu taxieren, dass das Spiel hätte abgepfiffen werden müssen. Ein Ermessensentscheid.
Regeltechnisch also alles in Ordnung. Aber nach gesundem Menschenverstand ein unglücklicher und ein falscher Entscheid. Es wäre besser gewesen, das Spiel vor dem 4:3 abzupfeifen – was regeltechnisch ja auch möglich gewesen wäre.
Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass alles sehr schnell ging und sich der SCB-Goalie ohne gegnerische Einwirkung bei der Abwehrbewegung ausser Gefecht gesetzt hatte – so offensichtlich wie bei einem Zusammenstoss oder blutenden Wunden war die Verletzung nicht.
Dieses 4:3 hätte die Entscheidung sein können und eigentlich auch aufgrund des Spielverlaufes bis zu diesem Zeitpunkt sein müssen. Aber dieser Treffer war das Ende für die Zuger. Sie fanden nicht mehr ins Spiel zurück. Sie blieben auf der Zielgerade stehen.
Die Reaktion von den Bernern auf dieses vierte Gegentor ist bemerkenswert, ja beispielhaft. Sie verbrauchten die Energie nicht mit nutzlosem Hadern mit den Schiedsrichtern und Gott und der Welt. Vielmehr bündelten sie ihre Kräfte zum erstaunlichsten und heftigsten Schlussspurt, den wir bisher in dieser Saison gesehen haben und machten aus dem 3:4 ein 6:4.
Der SCB-Sieg ist auch deshalb aussergewöhnlich, weil die Berner bereits in der 24. Minute beim Stande von 2:0 für Zug Bud Holloway verloren hatten. Nach einem Bandencheck von Santeri Alatalo stürzte der Kanadier in die Bande. Er kugelte sich die rechte Schulter und einen Finger aus und wird für längere Zeit ausfallen. Santeri Alatalo wurde mit fünf Minuten plus Restausschluss in die Kabine geschickt.
SCB-Trainer Guy Boucher sagte, Tristan Scherwey habe für den Check im Spiel gegen Lausanne fünf Spielsperren kassiert. Wenn mit gleichem Massstab gemessen werde, dann seien jetzt zehn Spielsperren für den Zuger fällig.
Guy Boucher war nach der Partie kontrolliert aufgebracht. Er lobte die Reaktion von der Mannschaft und sprach davon, dass die Erfahrung aus solchen Spielen seine Spieler stärker mache und sich diese schwere Zeit am Ende in den Playoffs auszahlen werde. Er gab aber auch zu bedenken, dass solche kräftezehrende Situationen für die Spieler extrem belastend seien.
Wir haben in Zug einen SCB gesehen, der wie ein Meisterteam nach miserablem Start (0:2 nach 245 Sekunden) wieder aufstand und sich nicht mehr beirren liess. Und einen EV Zug, der die Partie meisterlich begann und in der Schlussphase spielte wie ein Abstiegsrunden-Teilnehmer.
Es wäre im Sinne von der Dramatik und der Unterhaltung, wenn der SCB auf dem Weg zum Titel im Halbfinale gegen diesen EV Zug antreten müsste. Was ja durchaus möglich ist.
Allerdings muss SCB-Sportchef Sven Leuenberger vor Transferschluss (31. Januar) einen hochkarätigen ausländischen Stürmer engagieren. Es ist nicht sicher, ob Bud Holloway beim Playoffstart wieder fit sein wird. Ersatzausländer Jesse Joensuu genügt den Anforderungen bei weitem nicht. Der kräftige und schnelle Finne hat hölzerne Hände und vor dem Tor wirkt er so verloren und ratlos wie ein schüchterner und stotternder junger Mann vor dem allerersten Date mit seiner Traumfrau. In den letzten 66 Partien hat er nur noch fünfmal getroffen und beim SCB in fünf Spielen einen Assist produziert.
Er kann ein Energie- und Rollenspieler am Flügel sein – aber für diese Nebenrolle hat der SCB genug Schweizer. Und der SCB braucht für die Playoffs wohl auch noch neben Marco Bührer und Nolan Schaefer einen dritten spielfähigen Goalie. Es ist offen, wie lange der 34-jährige Schaefer ausfällt. Torhüter über 30 mit Leistenproblemen sind für ein Team, das Meister werden will, was ein lahmer Gaul für den Bauer ist, der pflügen sollte.