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Fall des Erstfelder Cabaret-Betreibers Ignaz Walker: Jetzt relativiert der Forensiker seine Aussage – wurde er unter Druck gesetzt?
Was bisher geschah:
- Der Erstfelder Cabaretbetreiber Ignaz Walker soll im November 2010 einen Killer beauftragt haben, seine damalige Ehefrau umzubringen.
- Mit der Waffe, mit der der Auftragskiller auf seine Ehefrau geschossen haben soll, soll er selber im Januar 2010 auch auf einen holländischen Gast, Johannes Peeters, geschossen haben.
- Das Urner Landgericht verurteilte Walker 2012 für die beiden Taten zu zehn Jahren Haft, ein Jahr später erhöhte das Obergericht die Strafe auf 15 Jahre.
- Das Bundesgericht hob das Urteil gegen Walker im Dezember 2014 auf.
- Recherchen der «Rundschau» hatten bereits Zweifel an der Schuld Walkers gesät. Diese wurden am ersten Prozesstag der Berufungsverhandlung bestätigt.
- Weitere Recherchen der «Rundschau» haben ergeben, dass die Urner Staatsanwaltschaft in Bezug auf die angebliche Unauffindbarkeit des Hauptbelastungszeugen gelogen hatte. Dieser wurde im Fall Ignaz Walker nie vor Gericht befragt.
Wurde Nataliya K. am 12. November 2010 Opfer eines Mordanschlags, in Auftrag gegeben von Ignaz Walker? Oder war der Anschlag bloss inszeniert, um Walker hinter Gitter zu bringen? Mit dieser Frage beschäftigte sich auch das Forensische Institut (FOR) in Zürich.
Um herauszufinden, welche der Varianten – Anschlag oder Komplott – mit dem Spurenbild am Tatort am ehesten übereinstimmt, hatte das FOR Ende September die Tat vor Ort rekonstruiert, mit der Originalwaffe und scharfer Munition.
Drei Versionen wurden dabei nachgestellt:
- Das Szenario «Mordanschlag», wie sie die Staatsanwaltschaft anhand der polizeilichen Aussagen von Nataliya K. vertritt.
- Das Szenario «Komplott» der Verteidigung.
- Und zuletzt ein neues Szenario «Mordanschlag» von Nataliya K. Relativierung innerhalb von 24 Stunden.
Die Version «Mordanschlag» geht nicht auf
Martin Lory, Schusswaffenexperte des FOR, erstellte daraufhin ein Gutachten dazu. Am ersten Prozesstag vom Montag, 19. Oktober, führte Lory als Auskunftsperson die Ergebnisse vor dem Obergericht aus. Dabei bestätigte er folgende zwei Erkenntnissätze von Walkers Verteidiger Linus Jaeggi:
- «Unter der Annahme der Hypothese, dass das Opfer bei normaler Gehgeschwindigkeit zwischen dem ersten und dritten Schuss lediglich 80 cm weit gekommen ist, lassen sich die Hülsenfunde der richtigen Tat nicht erklären.» Mit anderen Worten: Die Version «Mordanschlag» der Staatsanwaltschaft anhand der polizeilichen Aussagen von Nataliya K. geht nicht auf.
- «Unter der Annahme der Hypothese, dass das Opfer während der Schüsse stillgestanden ist und sich der Schütze zwischen den einzelnen Schüssen dem Opfer wesentlich genähert hat, lassen sich die Hülsenfundorte der richtigen Tat hingegen sehr wohl erklären.» Mit anderen Worten: Das Szenario «Komplott» – also dass Nataliya K. stillstand, auf sich schiessen und dafür den Täter immer näher kommen liess – geht «sehr wohl» auf.
Am Montag, 19. Oktober, hat Lory eben diese Erkenntnissätze vor Obergericht kurz und bündig mit «korrekt» kommentiert.
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Jetzt ist plötzlich die dritte Variante plausibel
Am nächsten Tag dann die Wende: In einem Schreiben an das Urner Obergericht vom 20. Oktober hält Lory fest, er sei «anlässlich der Gerichtsverhandlung durch die Befragung etwas abgelenkt» gewesen. Dabei habe er «vergessen», eine zusammenfassende Wertung der Ergebnisse der Schussrekonstruktion vorzunehmen, was er nun schriftlich tun wolle.
Hatte er vor dem Obergericht noch ausgeführt, dass die Version «Komplott» sehr wohl aufgehe, ist gemäss Lory nun plötzlich die dritte Variante – also jene, die Nataliya K. abweichend von ihren bisher gemachten Aussagen erst anlässlich der Schussrekonstruktion eingereicht hatte – «sehr viel plausibler» als die anderen beiden.
Zur Variante der Staatsanwaltschaft hält er ausserdem fest, dass diese ja auf Aussagen von Nataliya K. von damals beruhe und Zeugenaussagen von Schussopfern «üblicherweise» nicht genau der Realität entsprächen.
Wieso relativiert der Forensiker?
Die Kehrtwende von Lory wirft Fragen auf. Wieso relativiert er seine vor Gericht gemachten Aussagen zurück und sagt nun anderes aus? Und wie glaubwürdig ist ein Sachverständiger, der seine eigenen Gutachten und gar Aussagen vor Gericht plötzlich relativieren beziehungsweise im Nachhinein noch ergänzen will?
Die Fragen konnte Lory bei seiner erneuten Befragung vor Gericht von heute Mittwoch, 21. Oktober, nicht so recht beantworten.
Wurde Ballistiker unter Druck gesetzt?
Walkers Verteidiger probierte verschiedentlich herauszufinden, ob Lory allenfalls unter Druck gesetzt worden war. Der Forensiker aber betonte mehrfach, dass er zu seinem Gutachten und seinen Aussagen vor Gericht stehe und es sein Wille war, die Aussagen zu ergänzen.
Er habe nach der Verhandlung gemerkt, dass er am Montag nicht alles gesagt habe und womöglich ein falsches Bild im Gesamtkomplex abgegeben habe. So habe er unter anderem vergessen, eine Wertung der Plausibilität der drei Versionen abzugeben, was er mit der Ergänzung nun tun wolle.
Forensiker fuhr nochmals zum Tatort
Die Variante der Staatsanwaltschaft anhand der polizeilichen Aussagen von Nataliya K. sei nach wie vor nicht plausibel, bestätigte Lory seine Wertung vom Montag. In Zweifel zog der Forensiker aber neu die Variante des Mordkomplotts. Dies wegen der Sichtverhältnisse, so Lory.
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Er sei selber am Vorabend extra noch mal zum Tatort gefahren und habe dort bemerkt, dass die Sichtverhältnisse vor Ort es verunmöglichen, die Waffe zum zielen zu sehen, geschweige denn das Opfer beziehungsweise dessen Handtasche.
Zurück bleibt die Verwirrung
Zum Schluss zitierte Lory seine Wertung, die er dem Gericht am Vortag per Fax zukommen liess: Demzufolge habe die Schussrekonstruktion gezeigt, dass die Version von Nataliya K. «sehr viel plausibler» sei als die beiden anderen Versionen.
Trotz der rund anderthalbstündigen Befragung von Lory: Die Verwirrung bleibt. Bleibt abzuwarten, wie das Gericht die Aussagen des Ballistikers in der Urteilsfindung bewerten wird.