Völlig überraschend hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro aufgehoben. Die Reaktionen reichen von Verblüffung über Konsternation bis zu Entsetzen. Die Folgen für die Schweizer Wirtschaft dürften einschneidend sein. Es gibt einige Gewinner und sehr gewichtige Verlierer. Ein Überblick:
Finanzplatz: Im Gleichschritt mit dem SMI tauchten am Donnerstag auch die Aktienkurse der Grossbanken. Dennoch dürfte der Finanzplatz Schweiz vom SNB-Entscheid profitieren. Namhafte Vertreter wie Oswald Grübel, Kurt Schiltknecht und Martin Ebner hatten den Euro-Mindestkurs Ende Dezember quasi zum Abschuss freigegeben. Die Flucht in den noch härter gewordenen Schweizer Franken wird den Banken gute Geschäfte bescheren. «Wenn es in anderen Ländern kriselt, ist die Attraktivität der Schweiz ungebrochen», schrieb das Finanzportal Finews.ch. Daran wird auch die erneute Senkung der Zinsen in den negativen Bereich nichts ändern.
Importeure: Wer Güter aus dem Euroraum in die Schweiz einführt und verkauft, darf sich freuen. Die Waren werden deutlich billiger. Zu den grössten Profiteuren gehören Autoimporteure wie Amag. Ob sie die Währungsgewinne an die Kunden weitergeben, ist eine andere Frage. Andernfalls könnten diese vermehrt auf Direktimporte ausweichen.
Einkaufstouristen: Die grenznahen Orte müssen sich auf etwas gefasst machen: An Samstagen ist mit noch längeren Staus und verstopfteren Strassen, aber auch noch volleren Kassen zu rechnen. Der tiefe Euro wird auf Einkaufstouristen aus der Schweiz wie ein Magnet wirken. Auch Anbieter von Dienstleistungen können sich die Hände reiben. Der Gang zum Zahnarzt nach Deutschland lohnt sich noch mehr. Profitieren kann man theoretisch auch beim Einkaufen im Internet. Allerdings leiten viele Anbieter Kunden aus der Schweiz auf eigene Seiten mit höheren Preisen um.
Skiresorts in Österreich: Viele Schweizer verbringen ihre Winterferien in Österreich, weil das Personal freundlicher und so ziemlich alles günstiger ist. Dieser Effekt wird sich verstärken und Ferien im europäischen Ausland vor allem für Familien noch attraktiver machen.
Grenzgänger: Knapp 300'000 Grenzgänger aus den Nachbarländern arbeiteten 2014 in der Schweiz. Mehr als die Hälfte davon stammt aus Frankreich. Sie erhalten den Lohn in Franken, zahlen daheim aber in Euro. Die Aufhebung des Mindestkurses verhilft ihnen zu einer satten Lohnerhöhung, ohne dass sie etwas dafür tun mussten.
Werkplatz: Die Schweiz ist eine Exportnation und die Europäische Union ihr wichtigster Handelspartner. 55 Prozent der Ausfuhren entfallen auf die EU-Länder, allen voran Deutschland. Die Erstarkung des Franken gegenüber dem Euro wird sie massiv verteuern. In ersten Reaktionen auf den SNB-Entscheid dominiert denn auch die Angst vor einer höheren Arbeitslosigkeit, wenn hiesige Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern sollten. «Heute ist ein schwarzer Tag für den Werkplatz Schweiz», twitterte der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti.
Detailhandel: Wenn die Schweizer Bevölkerung im Ausland einkauft, leidet der Detailhandel. Letztes Jahr gab sie rund fünf Milliarden Franken im grenznahen Ausland aus. Ein schwacher Euro wird diese Tendenz verstärken. Auftrieb erhalten könnte deshalb die im Herbst erhobene Forderung des Zürcher SVP-Nationalrats Hans Fehr, die Rückvergütung der deutschen Mehrwertsteuer von 19 Prozent abzuschaffen oder deutlich zu senken.
Tourismus: Der starke Franken setzt dem hiesigen Fremdenverkehr seit Jahren zu. So hat die Talfahrt des Rubels zu einem Einbruch bei den Buchungen aus Russland geführt. Der Schweizer Tourismus-Verband hat erst im Dezember den Euro-Mindestkurs als «essenziell für den Schweizer Tourismus» bezeichnet, er dürfe «auf gar keinen Fall aufgegeben werden». Nun dürften harte Zeiten anbrechen: Viele Bergbahnen sind überschuldet, manche Hotels werden bei sinkenden Gästezahlen nicht überleben.