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Abgas-Skandal: US-Staaten formen Bündnis für Ermittlungen +++ VW-Chef Winterkorn tritt nicht zurück und entschuldigt sich

Abgas-Skandal: US-Staaten formen Bündnis für Ermittlungen +++ VW-Chef Winterkorn tritt nicht zurück und entschuldigt sich

22.09.2015, 11:5722.09.2015, 20:57
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Risse im System: VW drohen nicht nur erhebliche Image-Schäden infolge des Manipulationsskandals, sondern auch Milliarden-Bussen.
Risse im System: VW drohen nicht nur erhebliche Image-Schäden infolge des Manipulationsskandals, sondern auch Milliarden-Bussen.
Bild: LUKE MACGREGOR/REUTERS

Was bisher geschah:

  • Am Wochenende wurde bekannt, dass der Wolfsburger Autohersteller VW in Dieselautos in den USA Software zur Manipulation der Abgaswerte eingebaut hatte.
  • Das Ausmass des Abgas-Skandals ist grösser, als ursprünglich gedacht: Weltweit sollen 11 Millionen Autos betroffen sein. 
  • Volkswagen gab eine Gewinnwarnung aus, der Kurs der VW-Aktie stürzte am Dienstag den zweiten Tag in Folge um mehr als 20 Prozent ab.
  • Die Tageszeitung berichtete am Dienstag, dass der Konzernchef Martin Winterkorn abgelöst werden soll – ein VW-Sprecher bezeichnete die Meldung als «Schwachsinn».
  • Am Mittwoch trifft sich die VW-Führung zu einer Krisensitzung: Es wird erwartet, dass es dann zu personellen Konsequenzen kommt.

Der Abgas-Skandal des Autobauers VW nimmt immer grössere Züge an. Wie Bloomberg berichtet, sollen weltweit 11 Millionen Autos von den Manipulationen betroffen sein. Für etwaige Strafzahlungen wurden gemäss der Nachrichtenagentur 6,5 Milliarden Euro zurückgestellt. 

Währenddessen wird der Ruf nach personellen Konsequenzen beim deutschen Autokonzern immer lauter. Verwaltungsratsmitglied Olaf Lies kündigte dies auch an. Und prompt: Am frühen Nachmittag meldet der deutsche Tagesspiegel: VW-Chef Winterkorn tritt ab. auf ihn folgt der bisherige Porsche-Chef Matthias Müller, wie die Zeitung weiss.

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Laut der Zeitung wird Winterkorn am Freitag seinen Rücktritt vollziehen. Er habe das Vertrauen der Kontrollgremien verloren, wird eine Quelle im Aufsichtsrat zitiert. Offiziell dementiert VW den Chef-Wechsel. «Schwachsinn», heisst es von der Pressestelle. Dann meldet sich auch Winterkorn persönlich. In einer Videobotschaft sagt er: 

«Ich trete nicht zurück.»
Martin Winterkorn

«Wir klären das auf», sagte Winterkorn in einer Videobotschaft, die am Dienstag auf der Website des Konzerns veröffentlicht wurde. «Ich gebe Ihnen mein Wort, bei all dem werden wir mit der nötigen Transparenz und Offenheit vorgehen», sagte Winterkorn. «Wir werden alles tun, um Ihr Vertrauen Schritt für Schritt zurückzugewinnen.»

Winterkorn entschuldigt sich
Winterkorn entschuldigt sich
Bild: Markus Schreiber/AP/KEYSTONE

Winterkorn sprach nicht von einem Rücktritt, bat aber um Entschuldigung. «Es tut mir unendlich leid, dass wir dieses Vertrauen enttäuscht haben. Ich entschuldige mich in aller Form bei unseren Kunden, bei den Behörden und der gesamten Öffentlichkeit für das Fehlverhalten.»

VW und Manipulation – das dürfe es nie wieder geben, sagte Winterkorn. «Die Unregelmässigkeiten bei Dieselmotoren unseres Konzerns widersprechen allem, für was Volkswagen steht. Auch ich habe zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Antworten auf alle Fragen.» Die rund 600'000 Mitarbeiter des Konzerns hätten es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt zu werden.

Schweiz vorerst nicht betroffen
Noch ist unklar, ob auch auf Schweizer Strassen Autos von Volkswagen verkehren, deren Abgaswerte manipuliert wurden. Entscheidend für die Typenzulassung in der Schweiz sind aber ohnehin die EU-Richtlinien. Dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) liegen bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Indizien vor, wonach auch VW-Modelle in der Schweiz von der Abgas-Affäre betroffen sind. Die Situation werde jedoch genau analysiert und das Bundesamt stehe in engem Kontakt mit den ausländischen Behörden, sagte ASTRA-Sprecher Thomas Rohrbach auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Bei der Zulassung neuer Fahrzeuge stützt sich die Schweiz auf EU-Richtlinien. Massgebend ist demnach die europäische Gesamtbewilligung, die von der Behörde eines europäischen Landes vergeben wird. Diese Gesamtbewilligung dient dann auch als Grundlage für die Typenzulassung in der Schweiz. Bei Fahrzeugen, die in die Schweiz eingeführt werden, gibt es deshalb keine technische Abnahme. (sda)

Am Mittwoch trifft sich das Präsidium des VW-Verwaltungsrats – das oberste Kontrollorgan des Wolfsburger Autokonzerns – zu einer Krisensitzung. Das Gremium soll die Verwaltungsratssitzung vom Freitag vorbereiten. Dann soll unter anderem über eine vorzeitige Vertragsverlängerung von Winterkorn um zwei Jahre bis Ende 2018 beraten werden.

Noch ist unklar, ob Winterkorn persönlich für den Verstoss gegen die Umweltvorschriften in den USA verantwortlich ist, die eine Geldstrafe von bis zu 18 Milliarden Dollar und Schadensersatzklagen nach sich ziehen kann. Doch nach den Worten des mächtigen VW-Betriebsratschefs Bernd Osterloh würde Winterkorn zurücktreten, wenn sich herausstellen sollte, dass er selbst an dem Betrug beteiligt war.

Niedersachsens ehemaliger Wirtschaftsminister Jörg Bode – von 2009 bis 2013 selbst Mitglied des VW-Verwaltungsrats  forderte wegen der Abgas-Affäre eine Verschiebung der Vertragsverlängerung Winterkorns. «Solange nicht lückenlos aufgeklärt ist, wer im Konzern von den Manipulationen wusste und vom wem sie angeordnet wurden, sollte hier keine Entscheidung gefällt werden», sagte Bode.

«VW kann nicht auf die Schnelle jemand Neues aus der Tasche ziehen»

VW-Verwaltungsratsmitglied Olaf Dries zeigte sich im Deutschlandfunk überzeugt, dass die Details der Manipulationen in den nächsten Tagen und Wochen ans Tageslicht kommen werden. Wenn klar sei, welche Personen verantwortlich seien, könne man auch die nötigen Konsequenzen ziehen. «Und ich bin mir sicher, daraus wird es dann am Ende auch personelle Konsequenzen geben», betonte Lies. Einen Rücktritt von Konzernchef Martin Winterkorn forderte er aber nicht explizit.

Unterstützung erhält Winterkorn von Seiten der Aktionärsschützer. «Man muss dem Unternehmen Zeit geben aufzuklären, wer von der Affäre gewusst hat oder wer etwas hätte wissen müssen», sagte Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW gegenüber dem «Tagesspiegel». Hinzu komme, dass die Nachfolgefrage schwierig sei. «VW kann nicht auf die Schnelle jemand Neues aus der Tasche ziehen», sagt Kurz.

VW-Aktie verliert weiter an Wert

Der Skandal um manipulierte Abgaswerte in den USA setzte die Aktie von Volkswagen abermals stark unter Druck. Nachdem die Werte bereits am Montag um rund einen Fünftel nachgegeben hatten, ging die Talfahrt am Dienstagvormittag weiter. Die Titel verloren an der Börse in Frankfurt zeitweise mehr als 20 Prozent. Anleger reagierten damit auf den Skandal um geschönte Abgaswerte, der am Freitag bekannt geworden war. Die US-Umweltbehörde wirft dem Autohersteller die Manipulation von Schadstoffmessungen bei Dieselfahrzeugen vor, es drohen milliardenschwere Strafzahlungen.

Bereits vor dem Bekanntwerden des Abgasskandals hatte die Konjunkturabkühlung in China sowie schwächelnde Verkäufe in den USA der VW-Aktie stark zugesetzt. Verglichen mit dem Allzeithoch im März bei 262 Euro haben die VW-Aktien mehr als die Hälfte ihres Werts eingebüsst. Das Tagestief am Montag lag bei 123,40 Euro.

US-Justiz ermittelt

Die manipulierten Abgastests bei VW-Dieselwagen in den USA schrecken die gesamte Autobranche auf und könnten für den Konzern laut US-Medien auch strafrechtliche Folgen haben. Das US-Justizministerium ermittle, ob dem Konzern kriminelle Machenschaften vorzuwerfen seien, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf zwei mit der Untersuchung vertraute Personen. VW war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. In Kriminalfällen können die Ermittlungen in den USA Monate oder Jahre andauern, ergebnislos enden, aber auch zu heftigen Strafen führen.

Das Justizministerium wollte sich gegenüber Bloomberg nicht zu dem Fall äussern. Der Amerika-Chef von VW, Michael Horn, entschuldigte sich unterdessen. «Wir waren unehrlich», sagte Horn am Montagabend bei der Präsentation eines neuen Passat-Modells in New York. «Wir waren unehrlich zur Umweltbehörde EPA, wir waren unehrlich zu den Behörden in Kalifornien und, am schlimmsten von allem, wir waren unehrlich zu unseren Kunden. Um es kurz zu sagen: Wir haben Mist gebaut.»

Währenddessen setzt der deutsche Verkehrsminister, Alexander Dobrindt, eine Untersuchungskommission ein: «Unsere Kommission wird untersuchen, ob die betreffenden Fahrzeuge innerhalb der bestehenden deutschen und europäischen Vorschriften gebaut und geprüft worden sind – und ob dies konform der Fahrzeug-Zulassungen geschehen ist», sagte er.

Mehrere US-Staaten formen Bündnis 

Mehrere US-Bundesstaaten sind dabei, ein Bündnis zu formen, um Ermittlungen gegen den deutschen Autobauer einzuleiten. Das bestätigte ein Sprecher des New Yorker Staatsanwalts Eric Schneiderman am Dienstag.

Für VW bahnt sich damit noch grösserer Ärger an: Sowohl wegen möglicher Straftaten wie Betrug als auch wegen mutmasslicher Verstösse gegen Umweltgesetze könnten auf bundesstaatlicher Ebene weitere empfindliche Strafen und Bussgelder verhängt werden. VW war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Unmut der UNO

Die Umweltbehörde der US-Regierung (EPA) hatte VW am Freitag mit einer Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar gedroht. Der Konzern hat zugegeben, eine spezielle Software in Diesel-Autos eingesetzt zu haben, um die Messung des Schadstoffausstosses zu manipulieren. Laut Medienberichten ermittelt auch die US-Justiz schon gegen VW.

Unmut über die manipulierten Abgaswerte bei Volkswagen hat auch die UNO zu Protokoll gegeben. Das Eingeständnis des Wolfsburger Konzerns, elf Millionen Dieselfahrzeuge weltweit mit einer Software zur Manipulation von Emissionstestergebnissen ausgestattet zu haben, sei «äusserst beunruhigend», sagte ein Sprecher von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon am Dienstag in New York.

«Die Autoindustrie muss ein Partner sein bei allen Bemühungen des Privatsektors, den Klimawandel zu bekämpfen», sagte der Sprecher. Er rief Volkswagen zur «vollen Kooperation» bei der Aufklärung auf.

Sitzung des Verwaltungsratspräsidiums

Das Präsidium des VW-Verwaltungsrates trat am Dienstagabend zu einer Sitzung zusammen. Das erfuhr die Nachrichtenagentur dpa aus Teilnehmerkreisen.

Nach Informationen der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung» tagte das Gremium in Gegenwart von Topmanagern des Konzerns. Nach dem Ende der Sitzung wurde zunächst nichts bekannt über mögliche Beschlüsse. Das Treffen sollte am Mittwoch fortgesetzt werden. ((aeg/wst/kub/sda/reu/dpa))

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wilhelm Dingo
22.09.2015 14:47registriert Dezember 2014
Noch ein bisschen warten, dann VW Aktien kaufen.
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