«Hajde, Kiss Kiss»: Mit diesen Worten beendet ein Passagier auf dem Rollfeld des Flughafens Zürich ein Gespräch mit seiner Liebsten. Dann besteigt er die Edelweiss-Maschine. Das Gespräch hat er noch auf Schweizerdeutsch geführt. Während der nächsten paar Wochen wird der junge Mann hauptsächlich Albanisch reden.
Es geht, wie für Tausende andere auch, in die Ferien in den Kosovo. In den Sommermonaten verlassen 52 Linienflüge wöchentlich die Schweiz mit Ziel Pristina – hinzu kommen Tausende Schweiz-Kosovaren, die per Auto oder Charterflug anreisen. Schätzungen gehen von jährlich 100’000 Besuchern aus der Schweiz aus. Bei einer ständigen Wohnbevölkerung des Kosovo von 1,7 Millionen. Sie und die anderen in Westeuropa lebenden Kosovaren werden von der einheimischen Bevölkerung «Schatzis» genannt – wegen ihres in den Ferien locker sitzenden Geldes und in Anlehnung an das Kosewort, das man auch im Kosovo kennt.
Von den 700’000 Kosovaren, die im Ausland leben, sind 25 Prozent in der Schweiz zuhause – nach Deutschland die zweitgrösste kosovarische Diaspora. Gemäss der kosovarischen Zentralbank überwiesen sie alleine im letzten Jahr über 95 Millionen Franken an ihre Verwandten in der alten Heimat. Kein anderes Land der Welt ist so stark durch die Schweiz geprägt wie der Kosovo, der jüngste Staat Europas.
Diesen Einfluss merkt man das ganze Jahr über: Wollen Ladeninhaber den Eindruck erwecken, qualitativ besonders hochstehende Waren anzubieten, setzen sie hier wahlweise das Wort «Swiss» oder das Wort «German» vor ihren Geschäftsnamen: «Swiss Doors», «German Farben», «Swiss Foods». Beide Länder gelten als Synonyme für einwandfreie Ware. Nicht immer klappt die Eigenwerbung mit Hinweis auf deutsche oder schweizerische Qualität: «Ihre professional Wahl», heisst es etwa im Claim eines Werkzeughändlers.
Die «Schatzis» auf Sommerurlaub bringen die lokale Wirtschaft zum Brummen – eine von der Schweizerischen Entwicklungshilfe DEZA finanzierte Studie stellte 2009 fest, dass das Bruttoinlandsprodukt während der Sommermonate spürbar anstieg.
Kein Wunder: Nicht nur lassen es sich die «Schatzis» in Restaurants, bei Ausflügen und auf Shoppingtouren gut gehen. Auch ihre Verwandten haben in dieser Zeit mehr Geld zur Verfügung – sie profitieren von Geldgeschenken der Feriengäste.
Wer übers Land fährt, sieht neben den zahlreichen ärmlichen, unverputzten Häuschen die luxuriös ausgestatteten, neuen Häuser, welche Kosovaren aus der Schweiz und anderswo für sich selber als Ferienhäuser oder für die im Kosovo gebliebenen Familienangehörigen gebaut haben. Was die Biederkeit der Vorgärten angeht, brauchen sie den Vergleich mit Einfamilienhausquartieren im Schweizer Mittelland nicht zu scheuen.
Die Sommermonate sind auch die Hochsaison für Hochzeiten. Die beiden Sitznachbarn auf dem Hinflug kennen sich nicht – finden aber schnell ein gemeinsames Gesprächsthema: «Wie viele Hochzeiten hast du dieses Jahr? Ich muss zum Glück nur auf eine», sagt der eine. «Ich müsste an vier Hochzeiten gehen, aber ich glaube zwei davon lass ich sausen und fahre stattdessen nach Albanien ans Meer», antwortet der andere.
Hochzeiten sind im Kosovo eine grosse Sache – mehrere hundert Gäste eher die Regel als die Ausnahme. Das braucht Platz. Entlang der Ausfallstrassen der Städte stehen mitten auf der grünen Wiese erbaute, blütenweiss gestrichene Gebäude – eigens für die Trauungen und die Partys danach errichtet. Sie tragen Namen wie «Imperial», «Emerald» oder «Luxor».
Ihre der Strasse zugewandten Fassaden werden von mächtigen griechischen Säulen getragen, die nicht so recht zwischen die Möbelhäuser und Autogaragen in unmittelbarer Nachbarschaft passen wollen. Auf den Vorplätzen plätschern Springbrunnen, aus dem Innern schimmern riesige Kronleuchter durch die schweren Samtvorhänge.
Die grosszügigen Parkplätze vor den Hochzeitslokalitäten sind voll mit Autos mit Schweizer Nummernschilder, genauso wie die Strassen. Die Nummernschilder zeigen auch exemplarisch, wie die Emigration aus dem Kosovo vielerorts nach dem in der Wissenschaft als «chain migration» bekannten Muster funktioniert hat: Ausgewandert wird dorthin, wo schon Verwandte leben, die einem vielleicht einen Job besorgen können und beim Start ins neue Leben helfen.
So führte diese «Kettenmigration» dazu, dass aus gewissen Gebieten Kosovos besonders viele Menschen in bestimmte Regionen der Schweiz auswanderten. In der Region Gjakova im Westen des Landes sieht man viele Nummern aus den Kantonen Bern, Solothurn und Aargau sowie aus der Ostschweiz. Rund um Ferizaj im Süden des Landes hingegen trifft man auf viele Kosovo-Schweizer aus der Romandie: Die Autos mit Schweizer Nummernschildern sind vorwiegend aus den Kantonen Genf, Waadt, Neuenburg und Freiburg.
Die zahlreichen Autos der «Schatzis» verstopfen im Sommer die Strassen und bringen die Parkplätze an den touristischen «Hot Spots» an den Rand ihrer Kapazität.
Natürlich löse der sommerliche Massen-Besuch der reichen Verwandten aus Westeuropa auch Neid aus, erklärt Liza Gashi, Programmdirektorin bei der NGO Germin, die sich für eine bessere Vernetzung zwischen der Diaspora und dem Heimatland einsetzt. Manche Kosovaren hielten die «Schatzis» für ungeduldig und werfen ihnen vor, die lokalen Traditionen zu wenig zu respektieren.
Diese zwiespältigen Gefühle der lokalen Bevölkerung bringt einer der beiden Passagiere im Flugzeug nach Pristina zum Ausdruck. Fünf Jahre sei er unterdessen nicht mehr im Kosovo auf Verwandtenbesuch gewesen, sagt der junge Mann aus dem Kanton Luzern: «Wahrscheinlich rollen sie mir den roten Teppich aus, wenn ich ankomme. Aber sie werden mir sicher auch sagen: Du bist ja ein Ausländer geworden.»
«Die allermeisten Kosovaren sind sehr glücklich über die Unterstützung und den Besuch aus dem Ausland», sagt Liza Gashi von Germin. Sie lebte während ihrer Ausbildung selbst jahrelang in den USA und in Argentinien. Die Menschen im Land wüssten zu schätzen, dass ihre Verwandten die Sommerferien Jahr für Jahr im Kosovo verbringen, sagt die junge Frau. Denn das sei längst keine Selbstverständlichkeit mehr: «Gerade die Kinder unserer Diaspora hören ja nach den Sommerferien die Ferienerlebnisse ihrer Klassenkameraden aus Portugal, Dubai oder sonst wo.»
Anstatt sich über die Parkplatzprobleme aufzuregen, würde man besser für mehr Parkmöglichkeiten sorgen, meint Gashi. Und wegen einzelner «Schatzis», die sich im Strassenverkehr nicht an die Regeln hielten, wolle niemand auf die immens wichtige Unterstützung aus dem Ausland verzichten.
Ein solcher Auto-Rowdy löst an einem Freitagabend in Pristina eine unerwartete Reaktion aus: Als ein Auto mit Schweizer Nummernschild an einer Verkehrsampel bei Gelb beschleunigt und mit quietschenden Reifen über die Kreuzung donnert, dreht sich ein Passant nach dem Wagen um. In astreinem Hochdeutsch wendet er sich danach an seine Kollegen, allesamt junge Deutsch-Kosovaren: «Mann, die gehen mir so auf den Sack, all diese Schweizer hier.»