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Wirtschaft

Unbezahlbare Mieten und weniger Touristen – stirbt St.Moritz?

A general view shows the mountain resorts of St. Moritz and Celerina (R), Switzerland March 17, 2016. St. Moritz hosts the FIS Ski World Cup Finals from March 16 to 20. REUTERS/Arnd Wiegmann
St.Moritz von oben.Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS

Hohe Mieten, leere Läden: Stirbt der Nobelort St.Moritz? 

Die Mieten sind astronomisch, die Gästezahlen im Keller und die Konkurrenz im Internet. In St.Moritz gehen immer mehr Läden zu und für die frei gewordenen Lokalitäten finden sich kaum noch Interessenten. Bei Handel, Tourismus und Politik breitet sich Nervosität aus.
22.08.2016, 20:1823.08.2016, 07:28
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25 Ladenlokale stünden in St.Moritz leer – überdurchschnittlich und besorgniserregend viele, schrieb die «Engadiner Post» Mitte Juli in einer Titelgeschichte. Mittlerweile sind es zwar ein paar weniger, eine Wende zum Besseren sieht darin im Nobelkurort aber niemand, wie ein Augenschein vor Ort zeigt.

«Die Ladenmieten sind so hoch, dass sie kaum noch jemand stemmen kann», sagt Christian Biel, als Vizepräsident beim Handels- und Gewerbeverein St.Moritz (HGV) für die Problematik zuständig.

Visitors in fur coats enjoy the ambiance during the first weekend of the White Turf races in St. Moritz, Switzerland, Sunday, February 5, 2012. (KEYSTONE/Arno Balzarini)
Schadet das Champagnerklima St.Moritz mehr als es nützt?Bild: KEYSTONE

Ein Jungunternehmer schaffe das nicht. St.Moritz könnten sich fast nur noch Ladenketten leisten. Für die müsse ein Lokal im vielbeschworenen Champagnerklima nicht rentieren, da der Standort gut für das Image sei.

16'000 Franken pro Monat

Bis zu 2000 Franken werden im Engadiner Ferienort für den Quadratmeter im Jahr verlangt – oder um die 16'000 Franken im Monat für ein Lokal von 100 Quadratmetern. Das sei mindestens doppelt so viel wie im benachbarten Pontresina, sagen St.Moritzer Händler. Zum Vergleich: Im Zürcher Niederdorf gelten laut dem «Tagesanzeiger» Quadratmeterpreise von 700 Franken als hoch.

A woman watches the Longines CSI St. Moritz horse jumping from her flat, on Saturday, August 29, 2015, in St. Moritz, canton of Grisons. The show jjumping event takes place for the first time and host ...
St.Moritz im Sommer.Bild: KEYSTONE

Die Mietpreise in St.Moritz stammen noch aus Zeiten, als dort der Luxus-Tourismus brummte und die Nachfrage nach Ladenlokalen grösser als das Angebot war. Diese Zeiten sind vorbei.

Einen Drittel der Logiernächte eingebüsst 

St.Moritz hat in den letzten fünfzehn Jahren fast einen Drittel der Logiernächte eingebüsst – der Handel entsprechend Umsätze. In der Region verschwanden wegen Hotelschliessungen etwa 1000 Betten.

Ein Schock war kürzlich die Aufgabe des Traditionsgeschäftes Chronometrie Bijouterie Scherbel. Doch auch bekannte Marken kehrten dem Nobelkurort den Rücken. «Vor 20 Jahren war das hiesige Angebot an Luxusboutiquen, Bijouterien und Galerien einmalig», erzählt HGV-Präsident Michael Pfäffli. Jetzt finde man das in vielen Städten auch.

Die hohen Mieten hätten in der Vergangenheit wenig ausserhalb des Luxussegmentes zugelassen. Die Nachfrage nach Läden war dennoch gross. Jetzt sei die Nachfrage gesunken, die Mietpreise hätten aber nicht nachgezogen. «Wenn das so bleibt, wird es besorgniserregend», meint Pfäffli.

ARCHIV - Der Restaurantbereich in der Jugendherberge in St. Moritz, aufgenommen am Sonntag 23. Februar 2014. - Der Frankenschock nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses von 1,20 Fr. durch die Schwei ...
In St.Moritz ist alles ein bisschen nobler. So sieht es in der Jugendherberge aus.Bild: KEYSTONE

Die Mieten indes scheinen in Stein gemeisselt. Geschäfte, die aus existenziellen Gründen die langjährigen Mietverträge neu verhandeln wollten, bissen auf Granit. Manche gaben danach auf. Die Rendite stimmte nicht mehr.

Keine Solidarität zwischen Einheimischen 

«Die Immobilienbesitzer haben lange Zeit Top-Mieten erzielt», sagt dazu HGV-Vizepräsident Biel. «Sie können es sich ohne weiteres leisten, Lokalitäten zwei, drei Jahre leerstehen zu lassen.»

«Für uns sind leere Läden ein echtes Problem.»
Martin Berthod, St.Moritz Tourismus

Solidarität gäbe es selbst zwischen einheimischen Vermietern und einheimischen Mietern nur selten. Den Immobilienbesitzern gehe es allein darum, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. «Die warten einfach, bis sich eine Ladenkette findet, welche die hohe Miete zahlt», erzählt Biel.

Bloss fänden sich solche Markenunternehmen kaum noch. Mittlerweile habe es sich herumgesprochen, dass Mieten und Erträge in St.Moritz in keinem Verhältnis stünden.

ST MORITZ, SWITZERLAND - FEBRUARY 08: Competitors of the GP Swiss International Air Lines Trotting Race of the White Turf St Moritz seen in front of the St Moritz skyline on February 8, 2015 in St Mor ...
Pferde-Events haben im Nobelort Tradition.Bild: Bongarts

«Für uns sind die leeren Läden ein echtes Problem», gibt Martin Berthod von St.Moritz Tourismus unumwunden zu. Die Stimmung im Dorf sei so nicht optimal.

«Wir versuchen gelegentlich zu vermitteln und Vermieter zu Mietsenkungen zu bewegen», erzählt Berthod. Aber oft komme die Retourkutsche: Die Touristiker sollten wieder für mehr Touristen sorgen, heisse es dann.

Pug Charly is pictured on the frozen Lake of St. Moritz on the third weekend of the White Turf races in St. Moritz, Switzerland, Sunday, February 22, 2015. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Beim White Thurf: Nur das Beste für das Hundchen.Bild: KEYSTONE

«Den Feriengästen fallen die leeren Läden sicher auf», meint HGV-Präsident Michael Pfäffli. Wie sich das weiterentwickle, werde man erst noch sehen. Es sei unklar, ob man am Anfang einer veritablen Krise sei oder ob die Talsohle bereits durchschritten sei.

Kann St.Moritz die Krise nutzen?

Den Ernst der Lage beschreibt Pfäffli als «negativ mit Potential». Die Krise sei eine Chance für eine bessere Durchmischung des angebotenen Sortiments, eine Chance für Angebote jenseits des Luxussegmentes. Damit es dazu komme, brauche es Unternehmergeist sowie Risikobereitschaft seitens der potentiellen Mieter und realistische Mietvorstellungen seitens der Immobilienbesitzer.

An aerial view shows cross-country skiers climbing a hill during the Engadin Ski Marathon near the Swiss mountain resort of St. Moritz March 8, 2015. According to the organizers, more than 13,000 skie ...
Der Engadiner Skimarathon ist und bleibt ein Magnet.Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS

«Der Druck auf die Vermieter muss so hoch werden, dass sie es sich nicht mehr leisten können, Lokale leer stehen zu lassen und mit den Mieten runtergehen», erklärt Biel. Von der Politik erhofft er sich, dass sie keine weiteren Einkaufszentren fördert und den Läden im Dorfzentrum die Kundschaft entzieht.

Gemeindepräsident Sigi Asprion wollte sich auf Anfrage zu dieser Forderung nicht äussern. Die Gemeinde habe keine Handhabe, etwas gegen die leeren Läden zu unternehmen, sagte er. Zwar würden immer wieder informelle Gespräche geführt mit Vermietern, aber die nützten nichts.

«Mein Wunsch wäre, dass die Vermieter die Problematik sehen und gewisse Kompromisse bei den Mietzinsen machen würden», erklärt Asprion. Er sei überzeugt, dass sich das langfristig für alle lohnen würde. Jeder leerstehende Laden sei ein unschönes Loch im Dorf. (sda/feb)

Anderen Orten geht es besser als St.Moritz. Zum Beispiel dem Äscher, der schönsten Beiz der Welt

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Der Äscher ist die schönste Beiz der Welt
«Schönster Ort der Erde» oder «interessantestes Restaurant der Welt». Es gibt kaum einen Titel, den das Berggasthaus Äscher nicht für sich in Anspruch nehmen kann.
quelle: peter böhi
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Die 26 am wenigsten besuchten Länder der Welt

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Die 26 am wenigsten besuchten Länder der Welt
25. Dominica: 78'000 Besucher. Grund: Die karibische Insel hat keine moderne Infrastruktur und ist deshalb schwer zu erreichen. Quelle: garfors.com
quelle: ap/ap / arnulfo franco
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44 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kliby
22.08.2016 22:14registriert September 2015
Die Gier der Immobilienbesitzer und Vermieter scheint keine Grenzen zu kennen. Denselben Bericht durfte man übers Niederdorf in Zürich lesen. Und vor einigen Tagen wurde berichtet, dass die Besitzer von Bumanns Restaurant in der Nähe von St.Moritz den bekannten Koch und langjährigen Mieter rauswerfen, um mehr Rendite zu erzielen mit der Immobilie.
http://www.watson.ch/!796548456
Solche Vermieter sind wie Krebs für unsere Gesellschaft und Wirtschaft: Abzocken wos geht, und dabei das Gewerbe kaputtmachen.
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toobitz
23.08.2016 00:24registriert Mai 2014
Da haben also ne menge Leute jahrelang abgesahnt weil sie aufs Luxussegment setzten und meinten, die Bäume wüchsen in den Himmel. Jetzt verändert sich die Nachfrage, was dieselben Leute verpennt haben und nun rennen sie rum und weinen, weil der Karren, den sie kräftig mitangeschoben haben, in eine andere Richtung fährt, als sie gemeint hatten.

Also irgendwie hält sich mein Mitleid ob dieses im wahrsten Sinne des Wortes Luxusproblems in sehr engen Grenzen.
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Charlie Runkle
22.08.2016 23:37registriert August 2016
Ja und ich finde das Grandios. St. Moritz ist ein grausiger Ort zum Leben, die Stellen sind meist saisonal und unterbezahlt während die Wohnungen in der Region fast unbezahlbar sind. Die Einheimischen werden von den Touristikern schamlos ausgenutzt: "Der Tourismus sorgt ja für Arbeitsstellen.....". Die wenigsten profitieren wirklich von dem Ganzen!
Sie ernten den Dreck das sie gesäht haben. 👍🏻👌🏻🎉🖕🏿
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