Der Meister ist gegen Lugano auf dem Papier himmelhoher Favorit. Das mag alleine das Torverhältnis aus der Qualifikation zeigen. SC Bern 160:114. Lugano 142:153. Aber haushoher Favorit waren die ZSC Lions (166:115) auch. Playoffs werden auf dem Eis, nicht auf dem Papier entschieden.
Wie es auch kommen mag: Niemand wird SCB-Trainer Kari Jalonen vorwerfen können, er habe nicht alles vorgekehrt. Der kauzig-charismatische Finne arbeitet akribisch, achtet auf jedes Detail, zerlegt das Spiel in die Einzelteile, untersucht jedes Teil und setzt dann alles wieder zusammen. Wie sehr Kari Jalonen auf jedes Detail achtet, zeigt sich auch daran, dass er selbst das Einlaufen seiner Jungs im Berner Hockey-Tempel immer von der genau gleichen Stelle aus verfolgt.
Mit Ville Peltonen steht ihm ein Assistent zur Seite, der über Lugano mehr weiss als der aktuelle Lugano-Trainer Greg Ireland. Er war der Leitwolf in Luganos letztem Meisterteam von 2006. Der SCB-Optimist sagt, der SCB sei auf diese Playoffs viel besser vorbereitet als die ZSC Lions. Dort sei Sportchef Edgar Salis inzwischen der Roland Habisreutinger des Nordens. Sportliche Löwen, geführt von Büro-Eseln. Der SCB-Pessimist warnt: Die ZSC Lions waren im Viertelfinale trotzdem eine grosse Mannschaft. Wer diese ZSC Lions besiege, könnte auch den SCB bodigen.
Es gibt für den Titelverteidiger trotz minutiöser Vorbereitung keine Garantie. Keinen Kriegszug hat der grosse Napoléon so sorgfältig geplant wie den Russland-Feldzug. Seine Armee war auf dem Papier himmelhoch überlegen und seit mehr als zehn Jahren unbesiegt. Er kümmerte sich sogar um die Konstruktion der Wagen, auf denen die Vorräte transportiert wurden.
Mit Armand Caulaincourt stand ihm einer der fähigsten Generale und besten Russlandkenner zur Seite – Caulaincourt hatte sogar längere Zeit als Gesandter am Hofe des russischen Zaren verbracht. Napoléons Russlandfeldzug endete mit einer vernichtenden Niederlage, die bis dahin grösste Armee der Weltgeschichte ging zugrunde, von mehr als einer halben Million Mann überlebten knapp 5000.
Der SCB hat gegen Biel noch nicht sein bestes Hockey gespielt. Der SCB-Optimist sagt, das sei eben das Merkmal grosser Teams. Nicht gut spielen und doch gewinnen. Der SCB-Pessimist warnt: So wie gegen Biel wird es gegen Lugano nicht reichen.
Tatsächlich ist Lugano das «Team der Stunde». Nichts ist in den Playoffs gefährlicher als eine hochtalentierte Mannschaft, die monatelang unter ihren Möglichkeiten gespielt hat und dann in den Playoffs zusammenrückt und für ein paar Wochen in einer Mission unterwegs ist. Der SCB-Optimist sagt, bei Lugano sei das ausländische Personal nicht in Form. Der SCB-Pessimist warnt, dass ein paar erfahrene Leitwölfe ganz heiss sind: beispielsweise Julien Vauclair, Philippe Furrer und Dario Bürgler. Luca Fazzini habe zudem den Ausfall von Damien Brunner kompensiert.
Die wichtigsten Einzelspieler werden allerdings die Torhüter sein. Gegen Biel erleichterte Torhüter Leonardo Genoni dem Favoriten die Arbeit. Aber Lugano hat mit Elvis Merzlikins den «heissesten» Playoffgoalie. Er war im Viertelfinale eine Nummer grösser als Leonardo Genoni.
Am Samstag forderte Lettlands Nationaltrainer Bob Hartley von einem langjährigen Beobachter einen Scouting-Report über Elvis Merzlikins. Luganos Torhüter hat eine Schweizer Lizenz, ist aber für Lettland spielberechtigt. Der Mann berichtete an Bob Hartley, die wichtigsten Qualitäten von Luganos Schlussmann seien «ein unerschütterliches Selbstvertrauen und der Kampfgeist eines Warriors (Kriegers).» Elvis Merzlikins mahne in lichten Momenten in dieser Beziehung sogar an Patrick Roy.
Tatsächlich hat Lugano im Viertelfinale den stärksten Sturm der Liga im Schach gehalten und in den letzten vier Partien des Viertelfinals nur noch sechs Tore zugelassen.
Der SCB-Optimist sagt, der SCB werde mit rollenden Angriffen aller vier Linien den HC Lugano zermürben. Der SCB-Pessimist warnt, die Berner seien weder grösser noch schwerer noch erfahrener. Ein Lugano «auf einer Mission» sei sehr wohl dazu in der Lage, Härte mit Härte, Hiebe mit Hieben und Leidenschaft mit Leidenschaft zu vergelten.
Der SCB-Optimist sagt, mit Leonardo Genoni habe der SCB ganz klar den besseren Torhüter als die ZSC Lions mit Niklas Schlegl. Der SCB-Pessimist warnt, Leonardo Genoni habe auch ein Viertelfinal-Spiel verloren (3:6 gegen Biel). Der SCB-Optimist sagt, der SCB funktioniere wie eine Maschine und kontrollierte die Emotionen. Der SCB-Pessimist gibt zu bedenken, dass Hitzkopf Tristan Scherwey nicht zu kontrollieren sei.
Lugano ging im letzten Frühjahr auf der Zielgeraden der Sprit aus. Deshalb ging das Finale gegen den SC Bern verloren. Trainer Doug Shedden hatte seine besten Spieler zu stark forciert. Nun sind Luganos Energietanks noch voll. Eine «Ermattungsstrategie» wird nicht funktionieren. Kari Jalonen wird vergeblich auf die Ermüdung des Gegners warten wie einst Napoléon auf die Kapitulation des Zaren.
Wetten auf ein Weiterkommen des SC Bern? Gerade wegen meiner absoluten, ja legendären Objektivität bei der Beurteilung des SC Bern kommen Wetten für mich sowieso nicht in Frage. Ich hatte vor dem Viertelfinale gegen die ZSC Lions in Bezug auf Lugano ein eigenartiges Bauchgefühl («Remember 1992!»). Dieses Lugano-Bauchgefühl ist vor dem Halbfinale gegen den SCB eher noch stärker geworden.
Eine Prise Selbstironie Herr Zaugg, das gefällt! Verstehe ohnehin nicht, weshalb ihre Kritiker ihre Worte immer so bitterernst nehmen müssen.
Ich lese ihre Zeilen jedenfalls meistens mit grossem Vergnügen. Einzig die fast gänzlich ausbleibende Abdeckung von einigen Teams möchte auch ich beanstanden.
Weiter so!
Das hat nichts mit Pessimismus zu tun, sondern mit gesunder und objektiver Realität. Will der SCB die Luganesi schlagen, braucht es eine eklatante Leistungssteigerung gegenüber den Spielen gegen den EHCB. Andererseits kann Lugano in diesen Spielen auch nicht so defensiv agieren wie im letzten Match gegen den ZSC, denn der SCB ist schon wesentlich fähiger, diesen Beton wirkungsvoller zu knacken als die Schönwetterspieler des ZSC. Dürfte eine eher längere, aber umso spektakulärere Serie geben als die Finalissima 2016.