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Tom Lüthi

Tom Lüthi – ein Sieger, der einfach nicht gewinnen kann

Woran liegt es, dass Tom Lüthi nie wieder an seinen Erfolg von 2005 anknüpfen konnte?
Woran liegt es, dass Tom Lüthi nie wieder an seinen Erfolg von 2005 anknüpfen konnte?
Bild: IPP

Tom Lüthi – ein Sieger, der einfach nicht gewinnen kann

Tom Lüthi verliert beim GP von Malaysia den scheinbar sicheren Sieg in der letzten Runde an Weltmeister Johann Zarco. Ein Rennen, das uns eine ganze Karriere erklärt.
25.10.2015, 11:0325.10.2015, 11:37
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Stars kommen und gehen – Tom Lüthi bleibt ... stehen. Der Emmentaler fährt in der Moto2-WM mit, seit sie 2010 aus der 250er-Klasse hervorgegangen ist. Toni Elias, Andrea Iannone, Stefan Bradl, Marc Marquez, Scott Redding, Maverick Vinales, Pol Espargaro – alle, die Tom Lüthi im Kampf um den WM-Titel in der Sonne standen, haben die Moto2-WM verlassen und ihr Glück in der Königsklasse MotoGP versucht oder fahren immer noch dort. Die Logik sagt: Tom Lüthi müsste mit seiner Erfahrung, seinem Talent und den finanziellen Mitteln, die sein Team jeweils zur Verfügung hat, längst um den Titel fahren.

Aber während andere gehen, bleibt Tom Lüthi in der WM stehen. In der Endabrechnung hat er sich immer unter den ersten sechs behauptet. Unabhängig davon, wer auch immer seine Gegner waren: 2010 4./2011 5./2012 4./2013 6. 2014 4. Auch diese Saison wird er unter die Top 6 kommen.

Warum das so ist, haben wir soeben beim GP von Malaysia gesehen. Eine Karriere, erklärt in einem Rennen. Tom Lüthi hat uns wieder einmal vor Augen geführt, dass er einer der weltbesten Töffrennfahrer ist. Er dominiert das Training und er dominiert das Rennen. Bis zur letzten Runde. Aber dann, als es drauf ankommt, gewinnt ein anderer. Diesmal wird er von Weltmeister Johann Zarco in der Schlussphase noch eingefangen.

Weltmeister Johann Zarco fängt Tom Lüthi in Malaysia auf den letzten Metern ab.
Weltmeister Johann Zarco fängt Tom Lüthi in Malaysia auf den letzten Metern ab.
Bild: Joshua Paul/AP/KEYSTONE

Nie mehr wie 2005

Ein Rennen in der zweitwichtigsten Töff-WM zu gewinnen – oder auch nur um einen Platz auf dem Podest zu fahren – ist eine Leistung, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass die Schweizer vorne mitfahren und neigen schon fast dazu, diese Leistungen zu unterschätzen. Aber gerade weil Tom Lüthi seit Jahren vorne mit dabei ist, brennt die Frage auf der Zunge: warum kann er nie um den Titel fahren? Er hat doch alles. Oder?

Das, was wir in Malaysia gesehen haben, lässt sich auf die ganze Saison, ja auf seine ganze Karriere übertragen. Tom Lüthi sagt im Rückblick, er wisse eigentlich gar nicht, wie ihm 2005 geschehen sei. Damals hat er, mit 19 Jahren noch beinahe ein Bub, die 125er-WM in einem starken Schlussspurt, mit drei Siegen in den letzten fünf Rennen, den Titel geholt. Die ganze Schweiz fiebert mit und der Bauernbub aus Linden im Emmental wird auch noch Sportler des Jahres vor Roger Federer.

2005 sticht Tom Lüthi als Teenager sogar Roger Federer aus.
2005 sticht Tom Lüthi als Teenager sogar Roger Federer aus.
Bild: KEYSTONE

Seither ist er nie mehr um einen Titel gefahren. Drei seiner fünf Siege in der Moto2-WM hat er, chancenlos im Titelkampf, auf der Fernost-Tournee am Ende der Saison herausgefahren (in Japan und Malaysia). Bei den anderen zwei Siegen in der ersten Phase der WM folgten zügig Rückschläge, die alle Hoffnungen zerstörten: 2012 stürzte er im dritten Rennen nach dem Sieg von Le Mans. Diese Saison, wiederum nach einem Sieg in Le Mans, gleich beim anschliessenden GP in Mugello. An der Spitze fahrend. 2005 wusste er nicht, wie ihm geschah – seit 2005 weiss er sehr genau, welch hohe Erwartungen in ihn gesetzt werden.

Ausser 2013 (bei den ersten zwei Rennen nach unverschuldetem Teststurz nicht dabei) hat er jede Saison als Titelanwärter begonnen – und jedes Jahr war für ihn der Titelkampf schon bei Saisonmitte vorbei. Tom Lüthi ist ein Sieger, der nicht gewinnen kann.

Was fehlt Lüthi?

Hat er nicht die richtige Maschine? Nicht das richtige Team? Nicht das richtige Umfeld, um den letzten Schritt vom grossen Fahrer zum Champion noch einmal zu machen?

Am Töff liegt es nicht. Schon gar nicht in der Moto2-WM mit den Einheitsmotoren und Einheitsreifen. Nur bei den Fahrwerken gibt es ein bisschen Konkurrenz. Die Suter war ein Titel-Töff und die Kalex, die er diese Saison fährt, erst recht.

Am Geld liegt es auch nicht. Seit 2010 haben seine Teams jedes Jahr so viel Geld wie die Mannschaft des Weltmeisters. Es gibt nichts, worauf Tom Lüthi aus finanziellen Gründen verzichten müsste. Nichts, was die anderen haben, weil mehr Geld investiert werden kann.

Tom Lüthi und sein Team können aus dem Vollen schöpfen.
Tom Lüthi und sein Team können aus dem Vollen schöpfen.
Bild: Waldemar Da Rin/freshfocus

Am Talent liegt es auch nicht. Tom Lüthi gilt als einer der weltbesten Töfffahrer. Kein Haudegen. Ein feiner Stilist. Der oft verwendete Vergleich, andere seien raue Abfahrer, Tom Lüthi hingegen ein technisch brillanter Riesenslalomfahrer, hat schon etwas für sich. Tom Lüthi ist ein zäher Kämpfer, aber auf der Piste eher der Typ des Verwalters: des Piloten, der dann gewinnt, wenn er klug einteilen kann, wenn alles stimmt. Aber weniger der Typ, der mit halsbrecherischen, tollkühnen Manövern die Entscheidung erzwingt. Der Showdown an der Grenze der Todeszone ist nicht unbedingt sein Ding. Was sich auch daran zeigt, dass er in der Regel im atemberaubenden Gerangel der Startphase die grössten Schwierigkeiten hat und viele Rennen bereits in den ersten Runden verliert.

Und was ist mit dem Team? Tom Lüthi wird nach dieser Saison den deutschen Cheftechniker Alfred Wilecke auswechseln. Er wird ab nächster Saison von Dominique Aegerters Vertrauensmann Gilbert Bigot betreut. Der teaminterne Wechsel wird mit ziemlicher Sicherheit nicht viel ändern. Denn ansonsten wird es 2016 das gleiche Umfeld sein wie jetzt.

Das Team spielt eben schon eine Rolle. Johann Zarco ist erst diese Saison im Alter von 25 Jahren zum konstanten Siegfahrer und Weltmeister geworden. Seit Aki Ajo sein Boss ist. Der asketische Finne gilt als bester Teamchef im GP-Zirkus. Er hat schon mehrere Piloten zum Weltmeister gemacht. Mike Di Meglio (2008), Marc Marquez (2010) und Sandro Cortese (2012) in der kleinsten Klasse (125ccm/Moto3) – und jetzt, in seinem ersten Jahr als Teamchef in der Moto2-WM (!), gleich Johann Zarco. Könnte Tom Lüthi mit Aki Ajo die Moto2-WM gewinnen? Wahrscheinlich schon.

Fast zu beliebt, um erfolgreich zu sein

Woran liegt es also? Um es salopp zu sagen: Tom Lüthi scheitert im Ringen um die höchste Krone immer wieder an seiner Sensibilität und Anständigkeit. Keiner ist so beliebt wie der Emmentaler. Weil er anständig, fair und intelligent ist. Muss einer, um Moto2-Weltmeister zu werden, unanständig, unfair und wahnsinnig sein? Nein. Aber ohne eine Prise Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Wahnsinn geht es nicht.

Nie haben wir das so eindrücklich erlebt wie im Frühjahr 2012. Tom Lüthi dominiert die Vorsaisontests und die Trainings zum ersten GP in Katar. Er führt auch das Rennen an. Es ist der beste Tom Lüthi aller Zeiten. Das ahnt auch Marc Marquez. Der Spanier, heute ein Star in der Königsklasse MotoGP, packt den Hammer aus. Mit einer der gefährlichsten Attacken in der Geschichte der Moto2-WM rempelt er Tom Lüthi im Kampf um den Sieg von der Piste. Der Spanier gewinnt, wird für seine halsbrecherische Aktion nicht bestraft und der Schweizer rettet noch Platz fünf, erholt sich aber von diesem Schock nie mehr richtig. Am Ende der Saison ist Marc Marquez Weltmeister.

Keine Hemmungen: Zur Not rempelt sich Marc Marquez auch auf das Podest.
Keine Hemmungen: Zur Not rempelt sich Marc Marquez auch auf das Podest.
Bild: Gareth Harford/freshfocus

Gerade wegen seiner Sensibilität reagiert Tom Lüthi empfindlich auf alles in seinem Umfeld. Dass er auf den Fernosttourneen am Ende der Saison die besten Resultate herausfährt ist kein Zufall. In Japan, Australien und Malaysia kehrt Ruhe ein. Praktisch keine Gäste. Fast keine Chronistinnen und Chronisten. So fällt es leichter, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Ein Team will finanziert sein, wer Geld investiert, will etwas dafür haben – in Europa ähnelt der Alltag im Fahrerlager rund ums Team sehr oft einem «Chilbi-Betrieb» und weder Daniel M. Epp noch dem aktuellen Teamchef Fred Corminboeuf ist es gelungen, den sensiblen Piloten richtig abzuschirmen – ein Problem, das übrigens auch für Dominique Aegerter gilt.

Aber wer Champion werden will, muss auch diesen Rummel aushalten. Womit wir im Grunde wieder beim Thema sind: Tom Lüthi ist anständig, fair und intelligent. Nicht arrogant und egoistisch. Das ist ja keine so schlechte Charakterisierung, macht ihn sympathisch und zu einem der beliebtesten Fahrer im GP-Zirkus. Und er ist erst 29. Im besten Rennfahrer-Alter. Es ist noch nicht zu spät. Vielleicht gelingt es ihm in den nächsten drei Jahren doch noch, seine immense Erfahrung und sein enormes Talent in einen Titel umzumünzen.

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Tom Lüthi: Zwischen 2002 und 2021 17 Siege, 64 Podestplätze und 1 WM-Titel (125 ccm). (Stand: 27.11.2023).
quelle: semedia / luciano bianchetto/semedia
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