WM 2014
Italien

Italien ist nicht nur am Schiedsrichter gescheitert – viel zu lange hat man auf ein Unentschieden gespielt

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Zu viel gebetet, zu wenig die Offensive lanciert: Die Squadra Azzura darf die Schuld fürs WM-Aus nicht nur beim Unparteiischen suchen. Bild: KAMIL KRZACZYNSKI/EPA/KEYSTONE
Analyse 

Italien ist nicht nur am Schiedsrichter gescheitert – viel zu lange hat man auf ein Unentschieden gespielt

Ein streitbarer Schiedsrichter und Suarez, der keine Beisshemmungen zeigt: Italien tobt ob dem WM-Aus. Die Taktikanalyse aber zeigt: Viel zu lange hat die Squadra Azzura auf ein Remis gespielt.
25.06.2014, 08:3125.06.2014, 14:31
Tobias Escher, spielverlagerung.de
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  • Kompaktheit, wohin man sieht: In der ersten Halbzeit neutralisieren sich die Teams mit ihren defensiven Fünferketten.
  • Erst nach der Pause wagt Uruguay mehr, ihnen fällt ausser hohen Flanken gegen Italiens defensives 5-­4­-1 jedoch nichts ein.
  • Uruguay war lange Zeit zahnlos in der Offensive, erst nach der roten Karte gegen Marchisio bissen sie sich fest. Sturmstar Suarez sogar im wörtlichen Sinne.

Mit Spanien und England mussten bereits zwei europäische Ex­-Weltmeister die Heimreise antreten. Nun traf es auch Italien. Im Spiel gegen Uruguay standen sie lange Zeit taktisch sehr diszipliniert – vielleicht sogar zu diszipliniert. 

Defensives 3-­5-­2

Der italienische Trainer Cesare Prandelli stellte sein System erneut um. Er liess sein Team in einer 3-­5­-2-­Formation antreten; es war die dritte verschiedene Anfangsformation im dritten WM­-Spiel. Die meiste Zeit interpretierten die Italiener dieses System allerdings sehr defensiv. Gerade die Aussenverteidiger hielten sich zurück, sodass sie oft im 5-­3­-2 verteidigten. Auch die Uruguayer setzten zunächst einmal auf Disziplin und defensive Stabilität. Sie ordneten sich in derselben 5­-3-­2­-Formation an wie die Italiener, auch ihre Aussenverteidiger hielten sich zurück. Es entstand ein Spiel, das typisch ist, wenn zwei defensiv ausgerichtete Mannschaften mit derselben Formation aufeinandertreffen: Zahlreiche direkte Duelle im Mittelfeld prägten das Spiel, Durchbrüche hinter die Abwehr gab es selten.  

Was wie der idealisierte Traum eines Defensivfetischisten aussieht, ist eine reale Szene aus dem Spiel Uruguay gegen Italien: Beide Teams standen derart eng und hoch, dass sich das Spielfeld praktisch ...
Was wie der idealisierte Traum eines Defensivfetischisten aussieht, ist eine reale Szene aus dem Spiel Uruguay gegen Italien: Beide Teams standen derart eng und hoch, dass sich das Spielfeld praktisch auf wenige Meter verengte.
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Bewachung gegen die Spielmacher

Beide Teams achteten dabei penibel darauf, das gegnerische Mittelfeld nicht ins Spiel kommen zu lassen. Uruguay stellte gleich zwei Bewacher für Italiens Spielmacher Andrea Pirlo ab, wobei einer dieser Bewacher Stürmer Edison Cavani war. Sein Sturmpartner Suarez war daher im Pressing auf sich allein gestellt. Uruguay konnte Italiens Spielaufbau daher nicht effektiv stören, sodass die Italiener in der ersten Halbzeit den Ball lange durch die eigenen Reihen zirkulieren lassen konnten. 

Italien wiederum schirmte bei gegnerischem Ballbesitz den eigenen Sechserraum mit drei Spielern ab. Uruguays Zehner Lodeiro bekam keine Räume zwischen den Linien, der Spielaufbau wurde geschickt von ihm ferngehalten. Uruguay fehlte daher der Verbindungsmann, um den Ball aus dem Mittelfeld zu den Stürmern zu bringen. Die Aussenverteidiger stiessen nur selten vor, sodass Uruguay das enge Zentrum der Italiener nicht umspielen konnte. Ihnen blieben nur lange Bälle – und diese fing Italien mühelos ab. 

1-2-2-1: Italiens Aufstellung war nach dem Spiel erfolgsträchtiger als zuvor im Ernstkampf.
1-2-2-1: Italiens Aufstellung war nach dem Spiel erfolgsträchtiger als zuvor im Ernstkampf.Bild: Hassan Ammar/AP/KEYSTONE

Italien nach der Pause noch defensiver

Erst nach der Pause wagte sich Uruguay weiter vor. Die Aussenverteidiger rückten weiter auf, während sich das Dreiermittelfeld tiefer positionierte. Die Marschroute war klar: Über die Flügel wollten sie ins Zentrum kommen, entweder über Kombinationen durch den Halbraum oder über Flanken. Prandelli stellte sein Team jedoch auf ein 5­4­-1 um, wodurch Italien noch kompakter stand und die Breite des Feldes besser verteidigen konnte. 

Allerdings wurden ihre Konter noch wirkungsschwächer, oft war Immobile als Stürmer auf sich allein gestellt. Erst die rote Karte gegen Marchisio öffnete die Räume für Uruguay. Diese warfen nun alles nach vorne, was sie hatten. Innenverteidiger Godin postierte sich als kopfballstarker Stürmer im gegnerischen Fünf­meter­raum. Uruguay hatte stets drei bis vier Spieler im Strafraum und flankte nun früh den Ball ins Zentrum. 

Als Stürmer fiel Suarez noch positiv auf

Ihre Attacken fuhren sie vor allem über die rechte Seite, wo der eingewechselte Pereira weit vorrückte. Zwischendurch kombinierte sich Uruguay auch durch das Zentrum, wobei Suarez als zurückfallender Stürmer positiv auffiel. Zunächst biss sich der Liverpoolstar in den Halbräumen fest, ehe er dann bei Chiellini zubiss. Italien hingegen konnte sich mit dem eigenen 5­3­1 nicht befreien und liess sich an den eigenen Sechzehner festnageln. 

Uruguays Schlussoffensive: Mit drei Mann in den gegnerischen Sechzehner, wenn die Flanke von rechts kommt.
Uruguays Schlussoffensive: Mit drei Mann in den gegnerischen Sechzehner, wenn die Flanke von rechts kommt.

Am Ende war es ein Standard, der Uruguay den Erfolg brachte (81.). Doch ausser der Brechstange hatten sie spielerisch nur selten lichte Momente. Italien hatte am Ende grosses Pech mit den Schiedsrichter­Entscheidungen. Wenn ihnen ein Vorwurf zu machen ist, dann dass sie weder vor noch nach der Pause effektiv und schnell genug im Umschaltspiel waren. Dennoch: Ihr Ausscheiden ist sehr unglücklich und kaum mit den taktisch schwachen Leistungen der Spanier und Engländer zu vergleichen.

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