Erst bei einer der bisher 21 Partien der laufenden Meisterschaft konnten alle Tickets verkauft werden: beim 6:2 von Ambri gegen Gottéron. 6775 Fans kamen zu den ersten Festspielen in der neuen Valascia. Ausverkauft. Die Zahl entspricht der Postleitzahl des Dorfes.
Bisher beträgt die Stadionauslastung miserable 70,07 Prozent. Die tiefste, seit diese Statistik geführt wird. Vorletzte Saison waren die Hockey-Tempel noch zu 83,94 Prozent gefüllt. Trotz Geisterspielen in den letzten zwei Runden.
Doch Ambri trotzt dem Trend und wird seine damalige Auslastung (76,85 Prozent) noch eine ganze Weile weit übertreffen. Die Stehplatz-Tickets für die nächsten fünf Heimspiele (Zug, Lakers, Biel, Lugano, Lausanne) sind bereits ausverkauft.
Kein Wunder also, dass die TV-Station «MySports» an einer neuen Dokumentation arbeitet. Der Bezahlsender überträgt nicht nur alle Spiele der höchsten Liga direkt. Kult-Produzent Sven Schoch, der «Steven Spielberg des Hockey-Filmes», arbeitet zudem fleissig an einem neuen Filmwerk, das den Mythos Ambri in die Wohnstuben bringen soll.
Letzte Saison dokumentierte er für seinen Sender Langnaus Leidensweg durch die Virus-Krise. Jetzt ist er bei Ambri dran. Drei Tage hat er schon im Kasten. Der Film beginnt mit dem letzten Spiel in der alten Valascia gegen Gottéron (5. April, 2:3 gegen Gottéron). Der zweite Drehtag war ein Team-Meeting vor der Saison und zuletzt rückte Sven Schochs Equipe am letzten Samstag fürs Eröffnungsspiel gegen Gottéron in die neue Valascia ein. 50 Drehtage sind eingeplant, um die Magie und den Spiel- und Trainingsbetrieb mit bunten, laufenden Bildern einzufangen. Der nächste Besuch im Dorf ist für den 5. Oktober terminiert.
Die umtriebigen Filmemacher dürfen sogar vor dem Spiel und während den Pausen in die Kabine. Also ins Allerheiligste. Ist das nicht störend? «Nein, überhaupt nicht. Solche Filme sind für unseren Sport von unschätzbarem Wert», sagt Ambris Trainer Luca Cereda. «Nur der Kameramann ist jeweils in der Kabine und das bemerken wir kaum.» Produzent Schoch muss also draussen im Kabinengang bleiben. Einen Titel für sein neustes Meisterwerk, das im nächsten Frühjahr gesendet wird, hat er noch nicht. Vorschläge nimmt er sicherlich gerne entgegen.
Keine Frage: Ambri rockt. Auch sportlich. Die Frage war ja nach dem rauschenden Auftaktsieg gegen Gottéron in der eigenen Arena: Kann Ambri auch in der Fremde so «fräsen» wie vor eigenem Publikum?
Zur Eröffnung des eigenen Stadions hatte Ambri am letzten Samstag in einem Treibhaus der verrückten Emotionen ein starkes Gottéron einfach 6:2 überrollt. Nun folgte beim ersten Auswärtsspiel in Langnau ein 3:1-Sieg.
Die Stimmung war im Emmental so emotionslos wie der freundliche Schlussapplaus nach dem Jahreskonzert der lokalen Blasmusik, wenn in den Kulissen schon die Bassgeigen gestimmt werden und alle unter dem Tisch mit den Füssen scharren, um endlich das Tanzbein schwingen zu können. Ja, das kleine, optisch verlorene Grüppchen der Ambri-Fans dominierte Langnaus Hockeytempel akustisch fast während des ganzen Spiels.
Unter diesen Umständen war die emotionale Differenz zum Heimspiel für Ambri ungefähr so wie für einen Fisch, der sich auf trockenem Land wiederfindet. Nun wissen wir, dass es tatsächlich Fische gibt, die im Wasser und auf dem Land lebensfähig sind: der Lungenfisch.
So gesehen hat Ambri nach dem «Lungenfisch-Prinzip» gewonnen: Auf dem «emotional Trockenen» bespielten bzw. bearbeiteten die Leventiner ihren Gegner genauso aggressiv, bissig und intensiv in alle drei Zonen wie vor eigenem Publikum. Die Entscheidung führten sie so bereits im ersten Drittel durch drei Treffer herbei, die ihre Ursache in der unablässigen Lauf- und Störarbeit hatten. Ambri dominierte die Partie mit 34:28 Torschüssen.
Langnaus Trainer Jason O'Leary war stocksauer, dass sich ausgerechnet seine Routiniers – Larri Leeger (34), Pascal Berger (32) und Yannick Blaser (32) – durch die gegnerische Fräserei aus dem Konzept bringen liessen und schliesslich mit Minus-Bilanzen in die Kabine schlichen. Nach dem ersten Drittel war schon alles vorbei (0:3). Der Kanadier monierte, gegen Ambri könne man sich einfach keine «soft plays» («Nachlässigkeiten») erlauben: «Dann ist der Puck weg.»
Langnaus Trainer sagt, er habe in der ersten Pause in der Kabine nicht getobt. «Wie die Tonlage war, müssen Sie schon die Spieler fragen. Ich bin sowieso immer laut. Wir haben einfach klar und deutlich gesagt, was besser werden muss.» So reichte es dann immerhin zu einem «Teilsieg»: Langnau gewann die die restlichen 40 Minuten 1:0 zum Endstand von 1:3. Müssen nun am Freitag in Bern ein paar Routiniers auf die Tribüne? «Nein», sagt Trainer Jason O'Leary, «mit wem sollte ich sie dann ersetzen?»
Hat Ambri nach dem 3:0 nachgelassen oder ist Langnau viel besser geworden? Diese Frage hat sich auch Luca Cereda gestellt. «Wir waren nicht mehr ganz so frisch und etwas weniger präsent.» Sorgen um den Energie-Haushalt macht er sich keine. Trotzdem hat er nach den auch emotional so intensiven letzten Tagen seinen Spielern am Mittwoch frei gegeben und am Donnerstag steht «nur» ein kurzes, aber intensives Training auf dem Programm. Dann folgt am Freitag die Partie gegen Meister Zug.
Der Energie-Haushalt ist für Ambri entscheidend. Luca Cereda sagt, er achte auf die Zuteilung der Eiszeit. Die ist in der Tat erstaunlich. Nur einem Spieler mutete er in Langnau über 20 Minuten Arbeitszeit zu (Verteidigungs-Minister Juuso Hietanen/22:44 Min.) und keiner musste sich mit weniger als 10 Minuten Eiszeit begnügen. Bei Langnau mussten gleich fünf Spieler mehr als 20 Minuten Eiszeit schultern und fünf kamen nicht einmal auf 10 Minuten Präsenz.
Diese Form des «Eiszeit-Sozialismus» wird diese Saison bei Ambri der entscheidende Faktor sein. Gerade deshalb ist das Farmteam (Ticino Rockets) so wichtig: Luca Cereda ist darauf angewiesen, dass er immer genügend Beine und Schultern zur Verfügung hat, um die Belastung verteilen zu können. Bei der intensiven Spielweise wird Ambri im Laufe der Saison immer wieder verletzungsbedingt Ausfälle haben.