Der Berner Künstler Jürg Halter (42) stellte in der Galerie Stephan Witschi in Zürich zum ersten Mal alleine aus. Für die Finissage der Ausstellung «Fuck Slogans» am 22. Oktober brauchte er Personenschutz.
Das wurde am Montag publik. In einem Post auf Facebook schrieb Halter, dass es im Vorfeld in den sozialen Medien anonyme Drohungen gegen ihn und seine Kunst gegeben habe. Es sei dazu aufgerufen worden, die Finissage zu «besuchen» und diese zu «stören».
Wie Halter auf Anfrage von watson schrieb, sei der Aufruf, dass sich «wahre Antifaschist*innen» zur Finissage am 22. Oktober von «Jür[g] Steigbügelhalter» in der Galerie treffen sollten, unter anderem von einem Account gekommen, der schon häufiger gegen ihn gehetzt habe. Der Tweet liegt watson als Screenshot vor.
In der letzten Woche hätten zwei junge Männer unabhängig voneinander tatsächlich die Galerie besucht und gefragt, ob man einfach so Zugang zu den Räumen habe. Die Bedrohung sei dadurch realer geworden, so Halter auf Facebook.
Die Galerie habe die Polizei informiert, die bestätigte, dass solche «Abklärungen» vor Ort oft geschehen, wenn «in extremistischen Kreisen» ein Angriff auf eine Veranstaltung oder eine Person geplant sei. Daraufhin engagierte die Galerie zwei Personenschützer. Zuletzt habe er vor 15 Jahren Personenschutz gebraucht, als er als Kutti MC in der Kaserne Basel auftrat.
Wie der Galerist Stephan Witschi auf Anfrage von watson schrieb, sei die Situation «sehr unangenehm» gewesen. Seit über 20 Jahren mache er die Galerie, aber noch nie habe er «solche Sicherheitsvorkehrungen» treffen müssen. Dabei sei die Kunst von Jürg Halter «alles andere als beleidigend oder despektierlich gegenüber Minderheiten».
In seinem Post auf Facebook nennt Halter zwei Gründe, die zu den anonymen Drohungen geführt haben sollen. Erstens ein Interview mit der «Aargauer Zeitung», welches auch auf watson zu lesen war, in dem er unter anderem eine übersteigerte Identitätspolitik, die kein differenziertes Dazwischen mehr erlaube, und eine drohende Zersplitterung der Gesellschaft anspricht.
Zweitens ein Bild in der Ausstellung, auf dem in Blau auf Weiss die Buchstabenabfolge «LGBTQIA + CDEFHJKMNOPRSUVWXYZ», darunter eine Linie und darunter wiederum das Wort «Human» zu sehen war.
Damit habe er zeigen wollen, dass wir derzeit an erster Stelle eher das betonen, was uns trenne, anstatt das, was uns eine – «obwohl das doch eigentlich viel mehr wäre». Doch als er das Bild auf Instagram veröffentlichte, wurde es von einem anonymen Account in einer Story, die watson als Screenshot vorliegt, als «queer- und transfeindlich» abgetan.
In seinem Post auf Facebook schrieb Halter auch, dass einige der «unsachlichen, verächtlichen, beleidigenden Tweets und Posts» gegen ihn teilweise von jungen SP- oder Juso-Mitgliedern sowie von «linksidentitären Journis» geliked wurden – was er für «besonders bedenklich» hält.
So schlug auch ein Tweet eines Journalisten der linken Wochenzeitung WOZ Wellen – vier Tage nach der Finissage von «Fuck Slogans».
Auf Twitter teilte der Journalist ein Foto von Halter, das ihn in der Ausstellung zeigt, und schrieb:
Kann bitte jemand ENDLICH Tomatensuppe auf dieses Bild spritzen?! Vielleicht beruhigt er sich dann. pic.twitter.com/8sV9VtKdb9
— Renato Beck (@Renato_Beck) October 26, 2022
Halter antwortete auf Twitter: «Ein WOZ-Redaktor ruft dazu auf, eine Ausstellung von mir anzugreifen und also auch eine kleine private Galerie, nachdem ich erneut von linksextremen Trollen durchs Twitterdorf getrieben wurde. Ironie darf alles. Wenn es gegen mich geht.» Darauf entgegnete der WOZ-Redaktions-Account:
Dass die Finissage mit Personenschutz stattfinden musste, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Ob die Journalistinnen und Journalisten der WOZ ahnten, dass sich Halter aufgrund der Anfeindungen vielleicht verängstigt fühlte und entsprechend empfindlich reagieren würde, ist unklar.
Am Dienstag gab es zwischen der WOZ und Halter ein klärendes Gespräch, worauf ein versöhnlicher Tweet folgte.
Nach dem Rencontre hier auf Twitter haben wir, @halterjuerg und @Renato_Beck, uns zum Gespräch getroffen: Fuck Slogans und alle gemeinsam gegen Hass im Netz! pic.twitter.com/PxUW395kLW
— Renato Beck (@Renato_Beck) November 8, 2022
Das war bei einem Journalisten der Republik anders, der am Montag, nachdem Halter auf Facebook seine Situation geschildert hatte, auf Twitter schrieb: «Verstehe ich [das] richtig? Niemand hat sich für deine Ausstellung interessiert auch WOZ nicht und jetzt konstruierst du wegen [einem] eindeutigen Witz-Tweet von einem WOZ-Journi […] eine Bedrohung, die es nie gab, damit wenigstens ein bisschen über dich geredet wird? Alter.»
Versteh ichs richtig? Niemand hat sich für deine Ausstellung interessiert auch WOZ nicht & jetzt konstruierst du wegen 1 eindeutigen Witz-Tweet von 1 WOZ-Journi als Ausstellung längt vorbei war eine Bedrohung die es nie gab damit wenigstens bisschen über dich geredet wird? Alter. https://t.co/SjDfb6ZKs3
— Daniel Ryser (@dnlrysr) November 7, 2022
Es sei nicht das erste Mal, schrieb Halter auf Facebook, dass er Häme und Spott ernte oder im Internet anonym angefeindet werde. Als Künstler sei er das gewohnt, doch sei es das erste Mal, dass er damit an die Öffentlichkeit gehe.
Wie lange Halter über diesen Schritt nachgedacht und an seiner sorgfältigen Wortwahl gefeilt hat und ob er das Ganze jetzt bereut, wissen wir nicht.
Auf Anfrage von watson schrieb er:
Hätte man sich vor einigen Jahren auch noch nicht ausdenken können, aber die Selbstradikalisierung im linken Lager schreite wohl voran.