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Fremde Geheimdienste sollen die Leitungen von Swisscom und Co. angezapft haben. Das musst du wissen

Protest gegen NSA-Überwachung in Deutschland. Rückt nun die Schweiz ins Zentrum?
Protest gegen NSA-Überwachung in Deutschland. Rückt nun die Schweiz ins Zentrum?Bild: Getty Images Europe

Fremde Geheimdienste sollen die Leitungen von Swisscom und Co. angezapft haben. Das musst du wissen

Die NSA-BND-Affäre erreicht die Schweiz, die bislang als passive Beobachterin am Rand stand. Heute wollen Grüne Politiker in Bern belegen, dass auch Schweizer Telekomfirmen heimlich überwacht wurden. watson berichtet live ab 10 Uhr.
27.05.2015, 08:2527.05.2015, 08:53
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Warum die Aufregung? 

«Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.» Dieses Zitat verfolgt Bundeskanzlerin Angela Merkel, seit sie im Oktober 2013 die NSA öffentlich kritisiert hat. Zuvor war publik geworden, dass die Amerikaner ihr Handy abgehört hatten. Die Spitzenpolitikerin wurde vom prominenten Opfer zur «Chefin der Tatverdächtigen». Wie wir dank Edward Snowdens Enthüllungen wissen, ist Deutschland seit Jahren ein eilfertiger Handlanger des US-Geheimdienstes NSA.

«Über diese Leitungen sind gemäss unserer Recherchen Bankdaten und Daten internationaler Organisationen mit Sitz in der Schweiz ausspioniert worden.»
Peter Pilz, Grünen-Politiker aus Österreich

Worum geht es überhaupt bei der NSA-BND-Affäre?

Der österreichische Politiker Peter Pilz ist nach eigenen Angaben im Besitz von brisanten E-Mails. Diese sollen belegen, dass der deutsche Geheimdienst (Bundesnachrichtendienst, BND) zwischen 2004 und 2008 den internationalen Datenverkehr aus Ländern wie Österreich und der Schweiz angezapft hat. Dazu Pilz: «Über diese Leitungen sind gemäss unserer Recherchen Bankdaten und Daten internationaler Organisationen mit Sitz in der Schweiz ausspioniert worden.» 

Wer ist Peter Pilz und was bezweckt er? 

Pilz ist ein erfahrener österreichischer Politiker, der als Grünen-Abgeordneter im nationalen Parlament sitzt, sich öffentlich gegen staatliche Massenüberwachung einsetzt und in den letzten Jahrzehnten medienwirksam bei der Aufklärung nationaler und internationaler Affären und Skandale mithalf. 

Dieses Jahr hat der 61-Jährige die NSA-BND-Affäre angestossen. Er versucht, in mehreren europäischen Staaten Parteigenossen zu Strafklagen zu motivieren. Laut Berichten will er Bundeskanzlerin Merkel zu einer Entschuldigung für ihr «heuchlerisches Verhalten» zwingen.

Peter Pilz (links) im österreichischen Parlament.
Peter Pilz (links) im österreichischen Parlament.Bild: APA

Was läuft heute Mittwoch? 

Um 10 Uhr startet in Bern eine mit Spannung erwartete Medienkonferenz, an der Pilz und der Schweizer Nationalrat Balthasar Glättli, Fraktionspräsident der Grünen, die Belege liefern wollen, «dass auch Leitungen von Telekomanbietern in der Schweiz von Spionage betroffen waren». Im Vorfeld wurde namentlich die Swisscom genannt, es könnten aber auch andere Schweizer Telekom-Unternehmen wie UPC Cablecom betroffen sein. watson berichtet live.

Natürlich wollen die Grünen Schweiz politisches Kapital aus der Affäre schlagen. Sie werden an der Medienkonferenz parlamentarische Vorstösse ankündigen, wie aus der Einladung hervorgeht.

Die NSA bespitzelt alle. Wo liegt das Problem? 

Die Deutschen sollen den USA «flächendeckend» bei der Ausspähung befreundeter europäischer Regierungen und internationaler Organisationen behilflich gewesen sein. Dies könnte wegen Verletzung des Fernmeldegeheimnisses strafrechtliche Konsequenzen haben. 

Österreichs Regierung hat Anfang Mai Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Pilz hat in Wien drei Mitarbeiter der deutschen Telekom und einen Mitarbeiter des BND angezeigt. Weitere Verfahren sind zu erwarten. Etwa in Luxemburg, wo ebenfalls untersucht wird.

Warum ist die Affäre aus Schweizer Sicht brisant? 

Diesen Sommer beschliesst das Parlament, ob der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) mehr Kompetenzen zur Überwachung der Bevölkerung erhalten soll. Die staatlichen Schnüffler wollen Telefone abhören, in Computer eindringen und den Datenverkehr im Internet scannen. Der Nationalrat hat dem neuen Nachrichtendienstgesetz bereits zugestimmt, nun ist der Ständerat dran. 

Im Zentrum der Kritik steht das systematische Abhören des kabelgebundenen Datenverkehrs: Die Gegner aus dem links-grünen Lager befürchten, der Nachrichtendienst werde zu einer «Mini-NSA» und dürfe im Internet die Daten aller erfassen und auf Schlagworte absuchen. Derweil sprechen sich die Bürgerlichen für die Vorlage aus, weil das Risiko terroristischer Anschläge zugenommen habe. 

Die Gegner drohen bereits mit dem Referendum, das letzte Worte dürfte demnach das Stimmvolk haben. 

Welche Beweise gibt es für die NSA-BND-Bespitzelung? 

Auslöser der Affäre ist eine E-Mail vom Februar 2005, die Pilz zugespielt wurde und die er kürzlich veröffentlicht hat. Absender: ein Mitarbeiter der Deutschen Telekom. Empfänger: der deutsche Geheimdienst (BND). Das Schreiben soll belegen, dass die Deutschen im Auftrag der NSA sogenannte Transitleitungen angezapft haben, die europäische Länder miteinander verbinden. Die NSA hat offenbar eine Prioritäten-Liste angefertigt, um ihre bevorzugten Ziele ausspionieren zu können.

Welche Schweizer Telekomfirmen sind betroffen? 

«Zehn Leitungen der Swisscom stehen auf der NSA-Liste, die mir vorliegt», sagte Pilz. Ob und in welchem Ausmass andere Schweizer Firmen betroffen sind, ist (noch) nicht bekannt.

Wie viele Schweizer Internet-Nutzer sind betroffen? 

Das ist nicht bekannt.

Wo wurden die Leitungen angezapft? 

In Frankfurt. Beim grössten Internet-Knoten der Welt, der von der deutschen Telekom betrieben wird. Dort kreuzen sich ultraschnelle Glasfaserleitungen aus diversen Ländern. Der BND hat direkten Zugriff, wie Verträge zeigen.

Welche Daten wurden heimlich abgegriffen? 

Man könne davon ausgehen, dass BND und NSA beim gesamten Datenverkehr mithören, erklärte Pilz an einer Medienkonferenz Mitte Mai in Wien. «Das betrifft E-Mails, Telefongespräche, Internet, das betrifft praktisch alles.» 

Wie funktioniert das technisch? 

Die in Frankfurt erfassten Datenströme werden (heimlich) in die Zentrale des BND überspielt und gehen von dort weiter nach Bad Aibling, wo eine grosse Abhörbasis des US-amerikanischen Geheimdienstes steht. Dazu Pilz: «Die NSA hat über Bad Aibling automatischen Zugriff auf die dorthin übermittelten Daten und kann sich über sogenannte Selektoren alles automatisiert rausholen, was sie interessiert.» Bis zum Jahr 2013 sei die Zahl der Selektoren auf 8,7 Millionen angestiegen.» 

Läuft die Bespitzelung noch? 

Das ist fraglich.

Was sagt die Swisscom? 

Die Swisscom hat laut eigenen Angaben keine Hinweise darauf, dass internationale Geheimdienste auf ihre Infrastruktur zugegriffen hätten. «Swisscom kann die Kommunikationskanäle so weit schützen, wie sie ihr Netz nicht verlassen», erklärte eine Sprecherin gegenüber der Zeitung Nordwestschweiz. Bei Daten, die das Swisscom-Netz verlassen, könne man hingegen keine Garantien abgeben. Und genau dies dürfte beim Internet-Knoten in Frankfurt der Fall sein.

Wie reagiert der Schweizer Nachrichtendienst? 

Der NDB hat «Abklärungen» angekündigt. Man stehe in Kontakt mit den betroffenen Institutionen und Firmen.

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Was sagt die deutsche Telekom zu den Vorwürfen? 

Die Deutsche Telekom hat die Kooperation mit dem BND verteidigt und behauptet, der Zugriff auf den ausländischen Datenverkehr sei im Rahmen des Gesetzes erfolgt.

Ist das überhaupt neu?

Nicht wirklich. Im Juni 2014 titelte die «Sonntagszeitung»: «Deutschland hat Horchposten wie die NSA – und belauscht die Schweiz». Laut dem Bericht fängt der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) beim grössten Internet-Knoten der Welt in Frankfurt seit Jahren systematisch E-Mails und anderen elektronischen Datenverkehr ab.

Quellen: Süddeutsche Zeitung, Futurezone.at, heise.de

Mit Büchsenantennen gegen NSA-Bespitzelung

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Mit Büchsenantennen gegen NSA-Bespitzelung
Die US-Botschaft in Berlin. Darin versteckt sich eine Abhöreinheit des amerikanischen Geheimdienstes. (Bilder: zvg)
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