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Arbeiten im Alter: Wie Pensionierte in der Schweiz ihre Rente aufbessern

Altersarmut: Immer mehr Seniorinnen und Senioren müssen nach der Pensionierung weiterarbeiten, aus finanziellen Gründen.
Arbeiten trotz Pensionierung: Immer mehr Rentner sind davon betroffen.Bild: Shutterstock

Arbeiten trotz Alter: Wie Pensionierte ihre Rente aufbessern

Knapp 300'000 Personen über 65 Jahre leben in der Schweiz an der Armutsgrenze. Viele von ihnen arbeiten nach der Pension weiter, um durch den Monat zu kommen. Weil sich Pensionierte bei Ergänzungsleistungen genieren, setzen sie vermehrt auf Nebenverdienste.
08.10.2022, 16:49
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Ein Kaffee für 4 Franken? Liegt nicht drin. Ein Restaurantbesuch? Bleibt wohl für immer ein Traum. Ausser, jemand anderes bezahlt. Jeder Rappen zählt: Für knapp 300'000 Rentner in der Schweiz ist das die Realität. Diese Personen leben an der Armutsgrenze, wie eine neue Studie von Pro Senectute, der Fachorganisation für Altersfragen, zeigt.

Das Problem betrifft jeden fünften Rentner in der Schweiz. Ganze 20 Prozent der Personen im Pensionsalter gelten mit einem Einkommen unter 2600 Franken pro Monat arm oder armutsgefährdet. 13,9 Prozent unterschreiten sogar die Armutsgrenze mit ihrem Einkommen von weniger als 2280 Franken.

Es sind Zahlen, die alarmieren. Stark betroffen von den schlechten Renten sind laut Pro Senectute Frauen und ausländische Staatsangehörige. Aber auch Personen mit tiefer Bildung sowie Menschen, die auf dem Land wohnen, laufen eher Gefahr, nach der Pensionierung zu wenig zu haben.

Keine Generallösung

«Für betroffene Personen bedeutet das viel Stress am Ende des Monats. Sie wissen nie, ob das Geld ausreicht, um alles zu bezahlen», sagt Alexander Widmer, Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Senectute Schweiz. Wer sich in solch einer Situation befindet, dem kann in der Regel die Fachorganisation weiterhelfen. «Das Wichtigste ist, sich bei uns zu melden und mit uns zusammen alle Möglichkeiten zu prüfen», erklärt Widmer.

Pro Senectute bemerke bei Beratungen beispielsweise, dass viele Ältere finanziellen Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätten, ohne dies zu wissen. Gewisse Senioren würden die Leistungen jedoch gar nicht wollen, obwohl es ihnen finanziell schlecht geht. «Es gibt Personen, die sich genieren, Ergänzungsleistungen zu beantragen», erklärt Widmer. Viele von ihnen versuchen, noch mehr bei den Ausgaben des Alltags zu sparen oder sie suchen sich einen Nebenverdienst, um ihre Rente aufzubessern.

Alexander Widmer, Mitglied der Geschäftsleitung bei Pro Senectute.
Alexander Widmer, Mitglied der Geschäftsleitung bei Pro Senectute.Bild: zVg

Für Pro Senectute ist dies jedoch keine Generallösung: «Ob man arbeiten kann, hängt von den Fähigkeiten sowie dem Gesundheitszustand ab». Und: Auch wer noch einige Jahre tätig sein könne, komme irgendwann an die eigenen Grenzen. Abgesehen davon sei es nicht das Ziel der Pensionierung, weiterarbeiten zu müssen.

Sinnhafte Beschäftigung

«Nach über 45 erwerbstätigen Jahren hat man sich den Ruhestand verdient», ist Alexander Widmer überzeugt. Der Ansatz, den Pro Senectute verfolgt, ist, den armutsgefährdeten Rentnerinnen aufzuzeigen, welche sozialversicherungstechnischen Möglichkeiten sie hätten.

Meistens heisst die Lösung Ergänzungsleistungen: Durchschnittlich erhalten Senioren, die zu Hause leben, monatlich 1127 Franken. Jene, die in einem Heim leben, sogar 3309 Franken. Für diese Personen lohnt sich ein Nebenerwerb oftmals nicht. «Wer Ergänzungsleistungen bezieht, für den wäre ein Zusatzeinkommen ein Nullsummenspiel», erklärt Widmer. Denn: Nebenverdienste werden an die Ergänzungsleistungen angerechnet.

Falls Pro Senectute von Seniorinnen nach «Arbeitsmöglichkeiten» nach der Pensionierung gefragt werde, gehe es meistens nicht um finanzielle Fragen. Sondern es gehe um die Frage nach einer sinnstiftenden Beschäftigung, heisst es bei der Fachorganisation.

Eine Tatsache, die auch das Bundesamt für Statistik festgestellt hat. Die meisten Personen, die nach dem gesetzlichen AHV-Rentenalter weiterarbeiten, tun dies, weil es ihnen Freude macht. Laut der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung 2019 sind es 57,7 Prozent.

36 Prozent mehr erwerbstätige Rentner

Gleichzeitig gibt jeder Fünfte an, aus finanziellen Gründen weiterarbeiten zu müssen. Von 179'000 erwerbstätigen Personen im Alter von 65 und mehr sind das 34'905 Senioren oder 19,5 Prozent (±4,6).

Immer mehr Rentner arbeiten also weiter, weil sie finanziell über die Runden kommen wollen. Generell sind immer mehr Rentner berufstätig. Zwischen 2010 und 2020 stieg das Arbeitsvolumen der Pensionierten um 21'000 Vollzeitstellen, schreibt das Staatssekretariat für Wirtschaft. Dies entspreche einer Zunahme von 36 Prozent.

Altersarmut: Immer mehr Seniorinnen und Senioren müssen nach der Pensionierung weiterarbeiten, aus finanziellen Gründen.
Viele Pensionierte bessern ihre Rente auf, indem sie weiterarbeiten.Bild: Shutterstock

Eine grössere Nachfrage an arbeitswilligen Seniorinnen bemerken auch die Betreiber der Online-Plattform «Rent a Rentner». Wie es der Name schon sagt, vermittelt die Schweizer Internetseite arbeitswillige Rentner an Privatpersonen, die einen Job zu erledigen haben. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Aufträge.

Auf der Website werden unter anderem Dienstleistungen angeboten, wie einen Rentner für Dogsitting zu mieten, eine Lampe oder ein Bild zu montieren, als Gärtner zu arbeiten oder damit während den Ferien auf die Haustiere aufgepasst wird. «Am beliebtesten sind handwerkliche Tätigkeiten», sagt Reto Dürrenberger, Geschäftsführer von «Rent a Rentner».

Not ins Gesicht geschrieben

Hauswartung, Elektroarbeiten, Gartenarbeiten und Fahrdienste stechen oben heraus. Aber auch juristische Begleitung und administrative Arbeiten würden vermehrt vorkommen. Ein Blick auf die Arbeitskräfteerhebung bestätigt dieses Bild der Trendjobs nach der Pension. Die beliebtesten Berufshauptgruppen von über 65-Jährigen sind sogenannte intellektuelle Berufe, danach Dienstleistungsberufe und Verkäuferinnen, gefolgt von Technikern und Hilfsarbeitskräften. Auch bei«Rent a Rentner» machen Aushilfen bei kleineren Aufträgen den Löwenanteil aus.

Reto Dürrenberger, Geschäftsführer «Rent a Rentner».
Reto Dürrenberger, Geschäftsführer «Rent a Rentner». zVG

Dabei unterschieden sich die Geschlechter nur wenig. Von den 2716 registrierten Pensionierten sind 55 Prozent Männer und 45 Prozent Frauen. Für diese lohnen sich die Arbeitseinsätze. «Der Verdienst variiert zwischen 200 und 4000 Franken pro Monat», erklärt Dürrenberger. Für einige Pensionierte sei dieses Zusatzeinkommen essenziell, um ihre Rechnungen bezahlen zu können.

«Rund 10 Prozent aller Älteren arbeiten, um sich über Wasser halten zu können», schätzt Dürrenberger. Für den «Rent a Renter»-Geschäftsführer ist klar, dass es ein zunehmendes Problem sei. Dies bemerke man vor allem bei persönlichen Kontakten. «Den Menschen steht die Not ins Gesicht geschrieben.»

Den Vermittlungsservice lässt sich «Rent a Rentner» bezahlen. 7 Franken pro Monat kostet die günstigere Mitgliedschaft, 18 Franken die teurere für die Rentner. Doch Dürrenberger erklärt, dass sie in der Not auch schon Monatskosten erlassen haben. Denn für viele Pensionierte zählt jeder Rappen. Damit auch sie sich wieder einmal einen Barista Kaffee leisten können. Oder damit ein Restaurantbesuch nicht nur eine Erinnerung bleibt. Trotz der Rente weiterzuarbeiten, ist dennoch keine Generallösung für alle Pensionierten.

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83 Kommentare
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Lowend
08.10.2022 17:00registriert Februar 2014
Es ist eine echte Schande, dass wir in einem Land leben, wo sich Rentner schämen, Ergänzungsleistungen zu beziehen, weil sie zu stolz sind, sich nicht überwachen lassen wollen, oder schlicht nicht wissen, dass sie ein Recht auf diese Gelder des Kantons haben, wenn die Rente nicht reicht.

Gleichzeitig haben Firmen, Landwirtschaft und andere Arten von Spesenrittern nicht den geringsten Skrupel, jeden, aber wirklich jeden Franken zu verlangen, der ihnen rechtlich zusteht und selbst dann noch Boni und hohe Aktiengewinne auszuzahlen.

Denen würde die Scham der Rentner besser anstehen.
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Schlaf
08.10.2022 16:56registriert Oktober 2019
Die Situation ist wortwörtlich ein Armutszeugnis unserer Altersvorsorge.
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Ribosom
08.10.2022 17:28registriert März 2019
Meine Grossmutter hat ihr Leben lang in einer Fabrik geackert und ab hrer Rente Treppenhäuser geputzt und auf ihre Enkelkinder und deren Kinder aufgepasst, bis sie mit 86 Jahren starb. Über Geld und Gesundheit sprach man in meiner Familie nicht und so wusste ich auch nicht, wie es wirklich um sie stand. Ich hätte vieles anders gemacht, wenn ich gewusst hätte, wie schlimm es um sie stand. Aber genau das wollte sie nicht, sie war eine äusserst stolze Frau.
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