Seit dem 24. Februar 2022 ertönen die Kriegs-Sirenen über den ukrainischen Städten. Viele Menschen sind seither gezwungen, ihr Zuhause fluchtartig zu verlassen. Nach nur einer Woche sind laut der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR bereits über eine Million Menschen in die Nachbarländer geströmt.
Nach Einschätzung der UNHCR wird sich diese Zahl noch drastisch erhöhen: Das Flüchtlingshilfswerk rechnet mit bis zu vier Millionen Menschen, die die Ukraine verlassen werden. Es droht eine der grössten Flüchtlingswellen in diesem Jahrhundert.
Oftmals sind die Flüchtlinge nicht alleine unterwegs. Im Handgepäck nehmen sie ihre Katzen, Hunde oder andere Haustiere mit auf die beschwerliche Reise. Und das, obwohl dies die Flucht ins Ausland nicht unbedingt erleichtert – im Gegenteil.
Grund dafür sind die gesetzlichen Bestimmungen der EU-Mitgliedstaaten: Tiere wie Hunde und Katzen brauchen bei der Einreise eine Kennzeichnung (z.B. einen Mikrochip) sowie eine Impfung gegen Tollwut, die mindestens drei Wochen zurückliegt.
Viele Tiere erfüllen die Kriterien nicht. Auf Druck von vielen Tierschutzorganisationen hat die EU-Kommission am 28. Februar beschlossen, dass die Mitgliedsstaaten ihre Regeln für die Einfuhr von Haustieren lockern dürfen. Einige Staaten, unter anderem Polen, Ungarn und Deutschland, haben die Einreise von Tieren bereits unbürokratischer gestaltet. Und auch das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) erarbeite in Zusammenarbeit mit der EU und den kantonalen Veterinärdiensten derzeit ein mögliches Konzept, hiesst es auf Anfrage von watson.
Dort, wo diese bürokratische Hürde überwunden ist, geht man bereits einen Schritt weiter. Tierschutzstiftungen wie Vier Pfoten unterstützen Menschen auf der Flucht, die mit Haustieren unterwegs sind: Nebst Verpflegung, Transportboxen und medizinischer Versorgung bietet die Organisation auch Impfungen sowie das Einsetzen von Mikrochips an.
Doch längst nicht alle konnten ihre Haustiere an einen sicheren Ort bringen. «Durch Flucht und Evakuierung sind in der Ukraine zahlreiche Tiere zurückgeblieben», berichtete der Tierschützer Andreas Dinkelmeyer der Organisation International Fund for Animal Welfare.
Viele Menschen hatten schlicht keine andere Wahl, als ihre Tiere auf der Strasse auszusetzen, erklärte David Barritt, Direktor vom Network for Animals. Diese Tiere seien sich nicht gewohnt, für sich selbst zu sorgen. Ausserdem seien viele Tiere bei den Angriffen verletzt worden. Sein Team versuche deshalb, die zurückgelassenen Tiere zu versorgen und zu verarzten. «Wenn wir uns nicht um sie kümmern, haben sie kaum eine Überlebenschance», sagt der Tierschützer gegenüber «Indianexpress».
Barritts Organisation ist nicht die einzige, die sich dazu entschieden hat, in der Ukraine zu bleiben. Auch die Tierschutzgemeinschaft Love Furry Friends hat das Land bislang noch nicht verlassen. «Wir verlassen das Land nicht. Wir bleiben und versuchen, so viele Haustiere zu retten wie möglich», schrieb die gemeinnützige Organisation auf ihrer Webseite. Doch die Bedingungen seien schwer.
This man in Ukraine is wearing a helmet and a gun, while carrying a fish tank and a cat carrier through Kyiv.
— Tom Williams (@tom__williams) February 27, 2022
He reportedly took them out of an apartment which was damaged by shelling.
📸: Mikhail Palinchak / Reuters pic.twitter.com/th17d6HYCv
Eine der grössten Herausforderungen sei einerseits, die Haustiere zu finden, denn oft versteckten sie sich verängstigt in beschädigten Häusern. Andererseits fehle es an Futter sowie an Unterkünften. Die Tierheime in der Ukraine seien bereits überfüllt. Die verschiedenen Organisationen versuchen deshalb, Futter aufzubringen und einige der Tiere in die Nachbarländer zu bringen.
Doch dies dürfte nur ein kleiner Teil sein. Für einige Tierheime, darunter Shelter Friend, sei die Entfernung zur Grenze schlicht zu gross, um über 500 Tiere ins Ausland zu verfrachten.
Der Zoo in Kiew wagte die lange Reise trotzdem. Die beschädigten Strassen und die ständige Gefahr, angegriffen zu werden, hielt die Mitarbeitenden des Zoos nicht davon ab, einige ihrer Tiere in den Zoo nach Polen zu bringen. «Die Evakuierung mit teils bis zu achtstündigen Fahrten ist mit sehr vielen Gefahren verbunden gewesen», teilte Dr. Shkvyria, leitende Zoologin, der Tageszeitung «The National» mit.
Löwen, Tiger, Windhunde und ein Affe konnten bereits erfolgreich evakuiert werden. Weitere Tiere – darunter sieben Bären – sollen bald folgen. Etwa 4000 Tiere, darunter Elefanten, Kamele und der einzige Gorilla der Ukraine, können nicht an einen sicheren Ort gebracht werden. Dies sei logistisch schlicht unmöglich.
Um die Tiere trotzdem zu versorgen und so gut wie möglich zu beschützen, sind Zoowärter nicht nur zurückgeblieben, sondern gleich in den Zoo eingezogen. So können sie sich permanent um die Tiere kümmern. Um die Tiere vor Granaten und Raketen zu schützen, habe man sie bereits in Innengehege sowie unterirdische Gänge umgesiedelt.
Der Zoo hofft nun, dass bald weitere Tiere evakuiert werden können. Im Mittelpunkt stehe nun aber besonders die Aufstockung an Tierfutter, da die Bestände sowohl im Zoo als auch in den Tierheimen langsam knapp würden. Der europäische Zoodachverband EAZA arbeitet laut eigenen Angaben gerade an einem Fundraising.