International
Interview

Geisel-Abkommen Israel: Nahost-Expertin sagt, wie realistisch das ist.

19.11.2023, Berlin: ·Lasst die Geiseln frei· steht auf einem Transparent, das eine Demonstrantin auf der Demonstration ·Jüdisches Leben Berlin· für Israel und gegen Antisemitismus hält. Sechs Wochen n ...
Aufnahme einer Demonstration in Berlin, nach dem Angriff der Hamas auf Israel.Bild: DPA
Interview

Nahost-Expertin zum Geisel-Abkommen: «Hamas verfolgt eine geopolitische Strategie»

Sowohl Israel als auch die Hamas haben einem Austausch von israelischen Geiseln mit palästinensischen Gefangenen zugestimmt. Nahost-Expertin Margret Johannsen sagt, wie realistisch es ist, dass dieser Deal wirklich umgesetzt wird.
23.11.2023, 00:4023.11.2023, 16:42
Folge mir
Mehr «International»

Die Hamas und Israel haben sich auf einen Deal geeinigt. Ursprünglich ab Donnerstag, nun frühestens ab Freitag, soll schrittweise ein Austausch israelischer Geiseln mit palästinensischen Gefangenen erfolgen. Gleichzeitig soll es vorübergehend zu einer Feuerpause kommen. Wie realistisch glauben Sie, ist es, dass dieser Austausch wirklich durchgeführt wird?
Margret Johannsen:
Der Austausch erfolgt ja schrittweise. Ich glaube schon, dass dadurch wenigstens ein paar Geiseln freikommen können. Ob der Austausch allerdings zu Ende geführt werden kann, so wie die Kriegsparteien das abgemacht haben, ist schwer zu sagen. Es kommt immer darauf an, welche Entscheidungen die Köpfe hinter diesem Konflikt, also Premierminister Benjamin Netanjahu und die Hamas-Anführer in Katar, treffen. Ändern sie ihre Meinung, ihre Strategie, kommt alles anders, als man denkt.

Zur Person
Margret Johannsen ist Politikwissenschaftlerin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Konflikt zwischen Israel und Palästinensern.
2023 erschien ihr Buch «Der Nahost-Konflikt» in fünfter Auflage. In diesem zeichnet sie nicht nur die Entstehung des Konflikts vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach, sie analysiert auch die verschiedenen Friedensprozesse, die seit den 1990er-Jahren stattgefunden haben. Johannsen reiste mehrfach nach Israel, in die Westbank und den Gazastreifen und hat jüdische Wurzeln.

Die Hamas hat am 7. Oktober bewusst Geiseln genommen, um sie als Druckmittel zu verwenden. Warum glauben Sie, hat sie nun diesem Abkommen zugestimmt? Welche Strategie verfolgt sie?
Ich kann mir vorstellen, dass die Hamas damit eine langfristige geopolitische Strategie verfolgt. Sie will sich damit international profilieren, sich einen Ruf als kompromissbereite, verlässliche Handelspartnerin machen. Bei aller Unterstützung, die Israel in der westlichen Welt geniesst, dürfen wir nämlich nicht vergessen, dass die Hamas vor allem in Drittweltstaaten auf viel Sympathie stösst. Etwa in Afrikanischen Staaten oder Indien. Lässt die Hamas Geiseln frei, allen voran Kinder und Frauen, kommt das in diesen Ländern sehr gut an. Es wird beinahe als humanitäre Geste angesehen.​

Was sind das für Gefangene, die Israel im Gegenzug für die Geiseln freilässt?
Das weiss man noch nicht. Ich nehme an, es werden «harmlose» Gefangene sein. Etwa Jugendliche, die das israelische Militär in den letzten Jahren gefangen nahm, weil sie Steine auf Panzer warfen. Das muss man sich mal vorstellen: Diese Jugendlichen wurden ohne Gerichtsurteil, ohne Prozess, fürs Steinewerfen für sehr lange Zeit inhaftiert. Es ist also fürs Erste schon mal eine gute Sache, dass diese Gefangenen freikommen.

Margret Johannsen, Politikwissenschaftlerin mit Fokus auf Friedensprozesse im Nahost-Konflikt.
Margret Johannsen, Politikwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt Israel-Palästina.Bild: zvg

Was bedeutet der Deal für Israel?
Es ist ein Teilerfolg. Die Angehörigen der Geiseln haben schon lange darauf gedrängt, dass ihr Staat einen Austausch ermöglicht. Ausserdem haben sie ebenfalls schon lange eine Feuerpause gefordert. Immerhin sind schon einige Geiseln in Gefangenschaft umgekommen. Der israelische Staat hingegen hatte bisher kein Interesse an einem solchen Deal. Doch Israel stand unter Druck von allen Seiten, allen voran von den USA. Schliesslich hat Netanjahu zugestimmt, um seine internationalen Partner nicht zu verprellen.

epa10925732 US President Joe Biden (L) looks on during a meeting with Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu (R) in Tel Aviv, Israel, 18 October 2023. President Biden pledged US support for Israel  ...
Benjamin Netanjahu zu Besuch bei US-Präsident Biden.Bild: keystone

Wie wird sich das Geisel-Abkommen nun auf den weiteren Verlauf des Krieges auswirken?
Auch darüber kann ich nur spekulieren. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Lage ein wenig beruhigt. Vielleicht sogar für die nächsten paar Jahre, bis der Konflikt dann erneut eskaliert. Aber ebenso wahrscheinlich ist es, dass der Krieg gleich weitergeht wie bisher. Schliesslich hat sich Israel zum Ziel gesetzt, die Hamas zu zerschlagen. Und das ist fast unmöglich. Sie kann die Hamas-Kämpfer im Gazastreifen töten. Aber die Strippenzieher, die Spitze dieser Terrororganisation, bleibt davon unberührt. So oder so: Ohne eine nachhaltige, faire Lösung für beide Seiten, wird in dieser Region nie Frieden einkehren.​

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Angriff auf Israel
1 / 24
Angriff auf Israel
Am Morgen des 7. Oktobers 2023 startete die Terrormiliz Hamas einen grossflächigen Angriff auf zahlreiche Ziele in Israel. Es handelt sich um den grössten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
quelle: keystone / abir sultan
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Vloggerin aus Gaza gibt tägliche Updates – Millionen Menschen schauen ihre Videos
Video: instagram
Das könnte dich auch noch interessieren:
114 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Kukei
23.11.2023 06:48registriert Dezember 2019
Einige Ausschnitte aus dem Interview:
"Ich glaube schon,
kommt alles anders als man denkt.
Ich kann mir vorstellen,
Das weiss man noch nicht. Ich nehme an,
Auch darüber kann ich nur spekulieren. Ich könnte mir vorstellen,
Vielleicht sogar
Aber ebenso wahrscheinlich ist es, .."
Kurz gesagt - niemand weiss was konkretes.
5312
Melden
Zum Kommentar
avatar
Dominik Egloff
23.11.2023 07:09registriert November 2015
Frau Johanssen schreibt, das unteranderem in Indien viel Sympathien für die Hamas vorhanden sei. Das deckt sich absolut nicht mit meinem Wissen in welchem Indien sich, im Unterschied zu den anderen BRICS Staaten, unmissverständlich und klar gegen die Hamas stellt. Richtig ist es jedoch, wenn sie schreibt, dass die Hamas eine internationale Strategie verfolgt. Sie wollen nicht nur das Ende Israel sondern langfristig auch das Ende des liberalen Westens.
4915
Melden
Zum Kommentar
avatar
Dominik Egloff
23.11.2023 08:16registriert November 2015
Frau Johansson schreibt "Es ist also fürs Erste schon mal eine gute Sache, dass diese Gefangenen freikommen" und meint damit nicht etwa die Geiseln, sondern die ihrer Meinung nach unschuldig Gefangenen Palästinenser die mit den Geiseln freigepresst werden!
Aus meiner Sicht ist das gefährlich nahe an einer Rechtfertigung oder zu mindestens nahe an einem gewissen Verständnis für die Geiselnahmen vom 7.10. So, nun hoffe ich, dass ich bei diesem zweiten Versuch nicht mehr gegen die Regeln hier verstosse!
2520
Melden
Zum Kommentar
114
London weist russischen Diplomaten unter Spionageverdacht aus

Grossbritannien weist den russischen Verteidigungsattaché in London unter Spionageverdacht aus.

Zur Story