Seit März sind Corona-Schnelltests in Deutschland kostenlos. Der Startschuss für viele neue Corona-Testzentren, die daraufhin wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Was einst Shisha-Bar, Tattoo-Shop, Handyladen oder gar Stripclub war, wurde kurzerhand in eine Station für Schnelltests umgewandelt. Der Prozess ist erstaunlich simpel: Um Tester:in zu werden, muss man lediglich einen Online-Antrag ausfüllen. Wird dieser angenommen, erfolgt eine kurze Schulung und mit dem Testen kann gestartet werden.
Es gibt weder genaue Vorgaben zur Datenübermittlung an den Bund, noch werden die Testzentren kontrolliert. Und die Schnelltests sind so gefragt wie noch nie: Wer auf einer Restaurant-Terrasse einen Kaffee schlürfen will oder sich beim Coiffeur eine neue Frisur verpassen lassen möchte, muss einen negativen Schnelltest vorweisen. Die Kosten übernimmt der deutsche Staat.
Recherchen des «WDR» (Westdeutscher Rundfunk Köln), des «NDR» (Norddeutscher Rundfunk) und der «Süddeutschen Zeitung» haben nun aufgedeckt, wie einfach in einigen Testzentren betrogen werden kann – und wird.
Pro durchgeführtem Schnelltest erhalten die Zentren bislang 18 Euro aus Steuermitteln. Das Problem: Ob der Test tatsächlich durchgeführt wurde, prüft niemand. Philipp Perlwitz, der derzeit sieben Corona-Testzentren betreibt, sagt gegenüber «MDR», dass es kaum Vorgaben gebe, welche Daten er von Getesteten sammeln und aufbewahren muss. Für die Abrechnung schicke er eine Tabelle an die Kassenärztliche Vereinigung, welche von dieser verarbeitet werde. Wie die Tabelle aussehen soll und welche Informationen enthalten sein müssen, sei nicht klar geregelt:
Der Datenschutz tut schliesslich sein Übriges: Beim Testen werden die Personalien der Getesteten zwar aufgenommen, dürfen aber nicht an den Staat weitergeleitet werden. Und so ist es möglich, falsche Strichlisten einzureichen und Millionen an Entschädigungen einzustreichen.
Reporter:innen von «NDR», «WDR» und der «Süddeutschen Zeitung» haben die Betrügereien in ihrer Reportage vom 27. Mai aufgedeckt. Sie stellten sich vor Teststationen in den Städten Köln, Münster und Essen und zählten, wie viele Menschen sich dort testen liessen. Noch am selben Abend verglichen sie diese Zahlen dann mit den Angaben der Betreibenden.
Bei einem Testbus vor einem Kölner Möbelhaus kamen sie so an einem Tag auf 80 Testwillige. Der Betreiber hingegen meldete den Behörden fast tausend Tests. Nun hat die Staatsanwaltschaft Bochum Ermittlungen eingeleitet. Auch in Bayern laufen Ermittlungen wegen Betrugsverdachts, berichtet die «Süddeutsche Zeitung».
Angesichts der bekannt gewordenen Betrugsfalle stellt sich auch die Frage nach der Zuverlässigkeit der durchgeführten Tests. Gemäss den Reportern von «NDR», «WDR» und der «Süddeutschen Zeitung» meldeten die von ihnen beobachteten Zentren in einer Woche rund 25'000 Tests. Dabei soll kein einziger der Getesteten positiv gewesen sein. Bloss Zufall oder das Resultat von schludrigem Testen?
Da Schnelltests weniger sensibel sind als PCR-Tests, müssen sie besonders genau durchgeführt werden. Wenn sich die Teststäbchen beim Abstrich nicht tief oder lange genug im Rachen oder der Nase befinden, ist der Test wertlos. Unterdessen warnt auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz vor mangelhafter Sorgfalt in den Teststellen. Stiftungsvorstand Eugen Brysch sagt gegenüber der Süddeutschen Zeitung:
Für den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hagelte es am Wochenende Kritik. Am Sonntag meldete er sich auf Twitter zu Wort:
Egal ob bei Masken oder beim Testen - jeder, der die Pandemie nutzt, um sich kriminell zu bereichern, sollte sich schämen. Es ist gut, dass die Staatsanwaltschaft bei den bekannt gewordenen Einzelfällen die Ermittlungen aufgenommen hat. (1/3)
— Jens Spahn (@jensspahn) May 29, 2021
So richtig verantwortlich scheint sich aber niemand zu fühlen. Gegenüber dem deutschen Radiosender Deutschlandfunk betonte Spahn die Verantwortung der lokalen Berhöden:
.@jensspahn im @DLF: "Ob die Räumlichkeiten und Qualifikationen bei den #Testzentren stimmen, können nur die Behörden vor Ort entscheiden. Der Bund setzt den Rahmen, gibt die Regeln vor und übernimmt die Kosten – aber der Bund kann nicht die Teststellen vor Ort kontrollieren."
— BMG (@BMG_Bund) May 31, 2021
Das sächsische Sozialministerium gibt auf MDR-Anfrage allerdings folgende Auskunft:
Auch jetzt reisst sich niemand um die Aufgabe, solche Betrugsfälle zukünftig zu verhindern. Jens Spahn kündigte zwar verschärfte Stichkontrollen an, doch wer diese durchführen wird, ist wohl noch nicht abschliessend geklärt.
Die Kommunen und ihre Gesundheitsdienste lehnen die Verantwortung, die Kontrollen zu übernehmen, ebenso ab wie die Kassenarzt-Vereinigungen, berichtet «n-tv» gestern. Die Gesundheitsämter seien keine Ermittlungsbehörden für Wirtschaftskriminalität, argumentierte die Vize-Verbandschefin der Amtsärzte in der «Rheinischen Post». So dürfte es weiterhin schwierig bleiben, Betrugsfälle aufzudecken.