Venedig hat die Pandemie endgültig hinter sich gelassen: An Karfreitag zählte die Stadt nach Angaben der Behörden 110'000 Besucher, am Karsamstag waren es 160'000, an Ostern 140'000 und am Ostermontag immer noch fast 100'000. «Der Tourismus in Venedig ist wieder losgegangen», twitterte Stadtpräsident Luigi Brugnaro freudig.
Tatsächlich hatte die Stadt schon vor der Pandemie nur in Ausnahmefällen derart viele Touristen angelockt. Gefreut haben sich natürlich auch die Hoteliers und Restaurantbesitzer. Claudio Scarpa, der Direktor des örtlichen Hotelierverbands erklärte:
Venedig ist von der Pandemie überdurchschnittlich stark getroffen worden: Die Umsatzeinbussen betrugen 80 Prozent, viele Betriebe haben aufgeben müssen. Die anderen mussten Kredite aufnehmen. Dies ist der Grund, warum die Behörden ihre schon 2019 beschlossene Bremse gegen den Overtourism in der Lagunenstadt, das berühmt-berüchtigte Eintrittsgeld, um ein weiteres Jahr auf 2023 verschoben haben. Um den Betrieben Zeit zu geben, sich von der Pandemie zu erholen.
Nach Einführung des Eintrittsgelds sollen die Touristenmassen zumindest ein wenig eingedämmt werden. Es wäre dringend nötig. Vor der Pandemie war die Lagunenstadt Schauplatz einer regelrechten Invasion: Im letzten Jahr vor der Pandemie haben 33 Millionen Touristen die Stadt besucht, also durchschnittlich 90'000 am Tag. Das sind fast doppelt so viele, wie Venedig Einwohner zählt: In der Stadt leben noch etwas mehr als 50'000 Menschen.
Viele Gäste sind Tagestouristen. Ein grosser Teil ergiesst sich von den Kreuzfahrtschiffen in die Stadt. Wer nicht in Venedig übernachtet, wird ab nächstem Jahr zwischen 3 und 5 Euro Eintritt bezahlen müssen.
Die Steuer soll auf die Tickets der Fahrscheine draufgeschlagen werden, mit denen die Touristen nach Venedig gelangen. So war es zumindest geplant, als der Stadtrat das «Ticket» vor drei Jahren beschloss. Doch ob die Steuer im nächsten Jahr tatsächlich kommt?
Die Hoteliers, das Gastgewerbe und Co sind eine starke Lobby in Venedig, und sie sind alles andere als begeistert. Bürgermeister Brugnaro wiederum ist selber Unternehmer und hat immer wieder ein offenes Ohr für die Sorgen des Gewerbes gezeigt. Kritiker bezeichnen das Eintrittsgeld als reine Alibi-Massnahme der Behörden, um griffigere Massnahmen sein lassen zu können.
Die wenigsten Venezianer glauben indes, dass die Steuer die Zahl der Gäste senken wird. Im italienischen Fernsehen fragte unlängst ein Rentner, der seit seiner Geburt in der historischen Altstadt lebt, und der vom ewigen Gerumpel der Rollkoffer um den Schlaf gebracht wird:
Die Frage des Rentners ist berechtigt: Ein «Eintrittsgeld» für Tagestouristen gibt es seit vielen Jahren auf Ischia und Capri – dessen Bremswirkung auf die Zahl der Touristen liegt dort unter der Wahrnehmungsgrenze.
Sehr viel wirksamer wäre die Einführung einer täglichen Obergrenze für die Zahl der Touristen. Aber davon wollen die Hoteliers und Behörden Stadtbehörden nichts wissen. Stattdessen soll in diesem Sommer eine Reservierungspflicht ausprobiert werden. Sie wird wahrscheinlich am 1. Juni eingeführt – selbstverständlich gibt es bei den Reservierungen keine Obergrenze.
Mit Hilfe von Kameras, Sensoren und Handy-Ortung kann Venedig seit einigen Monaten in einem zentralen «Smart Control Room» sämtliche Touristen, aber auch die Anwohner tracken. Auch dieser «Big Brother» hat, wie die angekündigte Reservierungspflicht, natürlich null Einfluss auf die Zahl der Gäste.
Aber immerhin: Auswertungen zeigten, dass ein beträchtlicher Teil der Touristen in Venedig übernachtet, ohne die Touristentaxe zu bezahlen. Die Guardia di Finanza hat die Spur aufgenommen.
Es wird schwierig sein, den Konflikt zu lösen. Wer in Venedig wohnt, hat sicher genug von den vielen Touristen, aber andererseits ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle. Wird die Besucherzahl limitiert, müssen sich wohl einige Ladenbesitzer eine neue Arbeit ausserhalb suchen.