Süss finden ihn die Mädchen, stark die Jungs. Die Fussballfans nennen ihn Paraden-König. Junge Mütter schmelzen, weil er sich so rührend um seine junge Familie kümmert. Die Grossmütter wünschen sich einen wie ihn als Schwiegersohn, die Grossväter natürlich auch. Die Städter lieben ihn, weil er so urban und modern daherkommt. Die Landbevölkerung liebt ihn, weil er sich bodenständig und bescheiden gibt.
Sie lieben ihn in Basel, weil er mal für ihren FCB gespielt hat. Sie lieben ihn in Zürich, weil er wie sie redet. Sie lieben ihn in der Romandie, weil er dort zur Welt gekommen ist und Französisch spricht.
Bundesräte lieben ihn, weil er ein Vorzeige-Fussball-Botschafter ist. Die Werber lieben ihn, weil er ein perfekter Posterboy ist, skandalfrei, dafür mit ganz viel Ausstrahlung. Die Secondos lieben ihn, weil er so gut mit den Xhakas und Shaqiris kann. Die Traditionalisten lieben ihn, weil er als einer der wenigen die Hymne singt. Alle lieben ihn. Alle lieben Yann Sommer.
Dass ein Schweizer Fussballer diese bedingungslose Bewunderung durch alle Bevölkerungsschichten erhält, ist neu und unbekannt. Klar, wir hatten grosse Kicker mit Starpotential. Alex Frei, Rekordtorschütze. Aber er: zu sehr Basler, zu verbissen, zu eckig und kantig. Wir hatten den schlitzohrigen Stéphane Chapuisat. Aber er: zu introvertiert, zu blass, zu wenig Charisma.
Wir hatten auch den forschen Ciriaco Sforza. Aber er: zu selbstgefällig, zu grossspurig, zu ordinär. Oder den Serienmeister Stephan Lichtsteiner. Aber er: zu verkniffen, zu humorlos, zu gradlinig. Und wir haben heute diesen lausbubenhaften Xherdan Shaqiri. Aber er: zu sehr Gute-Laune-Bär, zu wenig staatsmännisch, zu flegelhaft. Oder den genialen Strategen Granit Xhaka. Aber er: zu polarisierend, zu laut, zu selbstbewusst, um von der Liebe der Schweizerinnen und Schweizern erdrückt zu werden.
Yann Sommer indes vereint, was so unglaublich schwierig zu vereinen ist: Sanftmut, Lockerheit, Wille und Ehrgeiz. Jede und jeder kann sich bei ihm etwas rauspicken. Es ist genug da. Allein, wie er nach der Sensation gegen Frankreich mit Tränen in den Augen erzählt, wie sehr es ihn freue, diesen Moment mit seinen im Stadion anwesenden Eltern zu erleben – berührender kriegt man das auch nicht hin, wenn man stundenlang übt.
Sollten hingegen seine öffentlichen Auftritte mit einer Prise Kalkül angereichert sein, so ist das nicht erkennbar. Ob mit oder ohne Tränen, ob zerknirscht, euphorisiert oder abgeklärt: Sommer wirkt stets echt.
Bei Sommers Wirkung ist auch ein bisschen Glück dabei. Er sieht ja schon mal unverschämt gut aus, wofür er nicht viel kann. Nicht 08/15. Allein die langen Haare suggerieren Verwegenheit und Unabhängigkeit. Der dunkle Teint und die braunen, mandelförmigen Augen geben ihm eine leicht exotische Note. Kurz: Ein abenteuerlicher Habitus getragen von einem durchtrainierten Körper, der für Beharrlichkeit und Solidität steht.
Es ist nicht nur sein Aussehen, seine Leistungen auf dem Platz, die verzaubern. Da ist auch sein vielschichtiges Wesen, sein weiter Horizont. Wenn er Familienbilder auf Instagram postet, springt den Betrachter das Glück quasi an. Aber wie kann er weltklasse Bälle halten, als prima Familienmensch funktionieren, Gesangsstunden nehmen, Gitarre und Klavier spielen und leidenschaftlich kochen? Keine Ahnung. Auch hier. Für alle etwas dabei, um Yann Sommer gut zu finden.
Viele solcher Sportler gibt es nicht. Roger Federer, der ist eine Weltmarke. Das ist für uns Schweizer vielleicht eine Nummer zu gross, um es zu fassen. Der Federer, der steht über allen. Aber der Sommer ist immerhin weltberühmt in der Schweiz und nun auch darüber hinaus. Und deshalb vielleicht sogar fast noch eine Spur populärer als Federer, weil nahbarer. Unbestritten ist, dass das Publikum ein feines Sensorium hat. Es spürt, ob einer nur von Teamgeist spricht, diesen aber nicht lebt. Es spürt, ob einer mit seinen Mitmenschen respektvoll umgeht.
Bei Sommer spürt das Publikum, dass dieser charismatische Typ loyal und authentisch ist. Apropos Loyalität: Da gibt es ja diese Geschichten mit den Nati-Spielern und ihren Autos. Während Sommer jeweils mit einem Wagen von Sponsor VW an die Zusammenzüge fährt, holen andere Spieler, die ebenfalls mit VW einen Vertrag haben, ihre Rennboliden aus der Garage.
Diese Treue erinnert an Bernhard Russi, den ewigen Ski-Liebling und Subarufahrer. 73 wird der Urner im August und ist damit 40 Jahre älter als Sommer. Russi, auch er ein Posterboy, ist längst eine Lichtgestalt des Schweizer Sports. Warum? Weil er weit über seine erfolgreiche Karriere hinaus als Fernseh-kommentator, Pistenbauer, Werbeikone und Ski-Autorität ein gefragter Mann ist.
Dank seiner Ausstrahlung, aber auch dank seiner Fachkompetenz. «Auch ich sehe Parallelen zwischen Russi und Sommer», sagt Matthias Hüppi, früher TV-Kommentator und langjähriger Mikrofon-Partner von Russi. «Beide sind verlässliche, positive Menschen, die sich selber nicht zu wichtig nehmen, aber genau wissen, was sie können.»