Am 14. November kommt «Le Mans 66» in die Kinos, oder wie es im Original heisst, «Ford v Ferrari». Freuen wir uns! Es sieht nach einem Mordsspass aus:
Christian Bale und Matt Damon – beide immer wieder überzeugend, klar. Ob das der Film als Ganzes ebenfalls wird? Eigentlich ist's egal, denn selbst wenn der Streifen, wie es der Guardian beschreibt, eher «blandly sentimental» rüberkommt, ist die wahre Story dahinter nichts anderes als episch und grossartig.
Und um die geht's nun hier.
Anfang der Sechzigerjahre steht es um die grosse Ford Motor Company schlecht. Auf dem heimischen Markt wie auch auf der Rennstrecke dominiert GM. Insbesondere Chevrolet ist technisch einiges weiter fortgeschritten. Patron Henry Ford II weiss: Ford braucht einen sexy Sportwagen, der gegen GMs Corvette und europäische Importe bestehen kann. Und er will einen Rennstall, mit dem er diese Autos erfolgreich machen kann.
Vor allem will er damit die 24 Stunden von Le Mans gewinnen, denn zu Beginn der 1960er war dieses Rennen das Mass aller Dinge. Gewinnt eine Automarke Le Mans, weiss es die ganze Welt. Doch obwohl Ford einer der grössten Autohersteller ist, fehlt das Know-how dazu.
Da ist die Nachricht höchst willkommen, dass Enzo Ferrari, Il Commendatore höchstpersönlich, interessiert sei, seine Firma zu verkaufen. Just jene italienische Sportwagen-Manufaktur, die einen makellosen Ruf im Rennsport geniesst, steht zum Verkauf. Ferrari hatte eben Le Mans drei Mal hintereinander gewonnen.
Trotz dieser sportlichen Erfolge steckt Ferrari gerade in finanziellen Schwierigkeiten und ist offen für Fords Avancen. Die Verhandlungen laufen, Ford gibt dabei Unsummen für Buchprüfungs- und Anwaltshonorare aus und am Schluss ist man sich einig: Ford kauft Ferrari für 16 Millionen Dollar. Und so trifft man sich am 21. Mai 1963 in Maranello nahe Modena, um die Verträge zu unterzeichnen.
Ford ist mit einer halben Armee von Anwälten vor Ort, der Commendatore selbst kommt lediglich mit dem städtischen Notar. Und dann liest Enzo Ferrari diese eine Passage des Vertragstexts, nimmt seinen Füllfederhalter und schreibt rein:
Bei der Klausel geht es um die zukünftige Rennabteilung, über die er weiterhin die Kontrolle behalten will (und die zudem auch noch Ferrari-Ford heissen soll). Enzo Ferrari war der Meinung, man habe sich darauf geeinigt; im Vertragstext steht's aber anders. Es folgt eine lautstarke Beschimpfung auf italienisch in Richtung der Ford-Vertreter, gefolgt von der Ansage an seinen Notar, «Andiamo a pranzo!» (Gehen wir Mittagessen!). Die Italiener verlassen den Raum, die Amerikaner bleiben verdutzt zurück.
Zuhause in Detroit ist Henry Ford II ausser sich vor Wut. Nun herrscht Krieg. Es gilt, Ferrari zu schlagen. Dort, wo es ihn am meisten schmerzt: in Le Mans.
Das muss man aber erst mal schaffen. Um Ferrari auf europäischem Boden zu schlagen, braucht es europäische Expertise. Ford wendet sich also an seine britische Abteilung. Diese wird bei Lotus, Cooper und Lola vorstellig – und entscheidet sich, Lola den Auftrag zu geben. Mit dem Mk6 GT besass Lola nämlich bereits ein Auto, das 1963 bei Le Mans teilgenommen hatte – mit einem Ford-Motor.
In einer kleinen Werkstatt in Slough westlich von London (der Stadt übrigens, die uns u.a. bereits den Mars-Riegel, den Zebra-Streifen und «The Office» beschert hat), macht man sich an die Arbeit. In nur 10 Monaten musste ein Auto her, das 320 km/h erreichen kann. Und das 24 Stunden lang unter den strapaziösesten Bedingungen von Le Mans.
Das Resultat sieht dann wie folgt aus:
Ford GT. Vom Boden bis zum Dach sind es lediglich 40 Zoll (101cm) – fortan heisst das Ding Ford GT40.
Bei den ersten Trainingsläufen in Le Mans 1964 erweist sich der GT40 als uneinholbar schnell ... und extrem instabil. Auf der berüchtigten Mulsanne-Gerade etwa drehen die Hinterräder durch – bei 280 km/h. Zwei GT40 verunfallen während des Trainings.
Zum Rennen tritt Ford schliesslich mit drei Autos an. Doch im Verlauf des Rennens erleiden zwei davon Getriebeschäden und einer fängt Feuer. Und am Ende gewinnt ... Ferrari.
Und, ach ja, an zweiter und dritter Stelle ist ebenfalls ein Ferrari.
Nun wendet sich Henry Ford II an den ehemaligen Hühnerfarmer Carroll Shelby (im Film von Matt Damon dargestellt), einen kauzigen Texaner, der einen der erfolgreichsten Rennställe der USA betreibt. In den 1950ern war er Werksfahrer für Aston Martin und Maserati gewesen. Und in einem Aston hatte er 1959 – tadaa! – Le Mans gewonnen.
Shelby hatte schon sehr früh auf europäisches Design, gepaart mit amerikanischen Pferdestärken gesetzt. Er hatte den handlichen britischen AC Cobra mit einem grossen Ford-V8 bestückt und dominierte damit seit geraumer Zeit die GT-Meisterschaft.
Und wie war das noch, in just jenem Le-Mans-Rennen von 1964, als Ferrari eben einen Dreifachsieg einheimsen konnte? Wer lag an vierter Stelle gleich dahinter und wurde zudem Sieger in der GT-Klasse? Ein Shelby Daytona Cobra Coupe!
Shelby bekommt also den Auftrag, den GT40 in ein Siegerauto zu verwandeln. Dazu verpflichtet er seinen besten Testfahrer: Ken Miles (im Film von Christian Bale dargestellt).
Ken Miles aus Birmingham in England war Panzerkommandant im Zweiten Weltkrieg gewesen und arbeitet seit geraumer Zeit eng mit Shelby zusammen. Er ist Ingenieur, Mechaniker und ein hervorragender Rennfahrer ... und geniesst einen Ruf als unverbesserlicher Eigenbrötler (etwas, das Ford widerwillig zu Kenntnis nimmt). Nach einer Testfahrt mit dem GT40 urteilt Miles:
Er und Shelby machen sich an die Arbeit. Bremsen, Federung, Aerodynamik, Motor – alles will man von Grund auf verbessern. Vor allem will man die gefährliche Instabilität bei hohen Geschwindigkeiten in den Griff bekommen ... doch schliesslich fehlt die Zeit, dies alles bis Le Mans 1965 zu klären.
Im Rennen sind die Fords zwar weiterhin die schnellsten, doch alle sechs gestarteten GT40 müssen wegen diversen technischen Schäden aufgeben (nb: auch das Auto des Schweizer Fahrers Herbert «Stumpen-Herbie» Müller).
Und Ferrari? Wieder ein 1-2-3-Sieg. Langsam wird's peinlich für Ford.
Das Handtuch werfen? Das kommt für Ford nicht in Frage. Shelby bekommt ein nahezu unlimitiertes Budget und ein Jahr später ist es so weit: Der Motor ist auf 7 Liter angewachsen, die Bremsen halten die Strapazen eines 24-Stunden-Nonstop-Betriebs aus, und – am wichtigsten – das Auto bleibt schnurgerade und stabil bei 340 km/h.
Am 1966er Rennen sind nicht weniger als acht Ford GT40 am Start. Henry Ford II höchstpersönlich reist an, um dem Geschehen beizuwohnen. Er lässt Visitenkarten drucken, die er an seine Teamchefs, Fahrer und Chefmechaniker verteilen lässt, auf denen steht:
Doch Ferrari war in der Zwischenzeit auch nicht untätig. 1966 treten die Italiener mit dem hier an:
Den Schönheitswettbewerb hat der neue 330 P3 schon mal gewonnen, also. Doch das rote Geschoss hat echte Vorteile gegenüber dem GT40. Es ist leichter und wendiger. Zwar liegt die Höchstgeschwindigkeit mit 305 km/h deutlich unter jener des Fords, doch man rechnet damit, dies mit höheren Kurvengeschwindigkeiten wettmachen zu können. Ausserdem verbraucht der Ferrari aufgrund des niedrigeren Gewichts weniger Kraftstoff, was wiederum weniger zeitraubende Boxenstopps bedeutet. Und Enzo Ferrari hat eine Trumpfkarte: den schnellsten Rennfahrer auf dem Planeten, Formel-1-Weltmeister John Surtees.
Und John Surtees hat einen Plan: Einer der insgesamt drei Ferraris soll der Hase sein, den es zu jagen gilt. Dieser soll gleich von Beginn weg volle Kanne geben, um die Fords zu zwingen, ihre Autos übermässig zu strapazieren. Le Mans ist Zermürbungskrieg; gewinnen tut nicht zwingend das schnellste Auto, sondern das zuverlässigste. Surtees ist bereit, einen Ferrari zu opfern, wenn dafür die Fords aufgeben müssen.
Doch kurz vor dem Rennen wird Surtees vom Ferrari-Teamchef Eugenio Dragoni entlassen – dies, obwohl er nachweislich der schnellste Fahrer ist. Surtees nennt die Gründe dafür «politisch» (sein Ersatz Ludovico Scarfiotti ist der Neffe von Fiat-Boss Gianni Agnelli) und als er auch von Enzo Ferrari keine Unterstützung zu bekommen scheint, verlässt er den Rennstall vollends (was Ferrari letztendlich den Formel-1-Meistertitel kosten wird).
Mit Surtees aus dem Weg sichern sich die Fords die vordersten Startplätze. Da der GT40 mit Ken Miles am Steuer eben die 24 Hours of Daytona und die 12 Hours of Sebring gewonnen hatte, fühlt man sich siegessicher. Doch bei Anbruch der Nacht sieht es nach einer Wiederholung der Jahre zuvor aus: Zwei Ferraris führen, vier der acht GT40 sind aus dem Rennen.
Die Ansage der Ford-Teamchefs lautet zudem: schonend fahren, die Autos nicht allzu stark ausreizen. Doch Ken Miles, der das Auto mitentwickelt hatte, schert sich einen Dreck darum. Er fährt wie ein Berserker, setzt Rundenrekorde und sichert sich bis zum Morgen die Führung. Währenddessen erleiden sämtliche Ferraris Getriebe- oder Motorenschäden oder Unfälle. Am Nachmittag des 19. Juni 1966 darf Henry Ford II zusehen, wie seine Autos einen 1-2-3-Sieg erringen.
Ziel erreicht. Doch zu welchem Preis? Wie viel muss ein Ami aufbringen, um einen temperamentvollen Italiener zu schlagen? Offizielle Zahlen existieren keine, doch man schätzt, dass die Entwicklung des GT40 den Ford-Konzern inflationsbereinigt um die 400 Millionen Dollar kostete. Keine nüchterne Investition, also. Aber: Ford gewann mit dem GT40 weitere drei Mal Le Mans. Zudem veränderte man damit auf einen Schlag das Image der Automarke. Fortan galt Ford als sportlich. Der GT40 erwies sich als derart ikonisch, dass er bis heute als Vorbild für den aktuellen Ford GT Supersportwagen dient.
Gibt es in diesem Epos Helden und Schurken? Nein, zu mannigfaltig ist Rennsport. Doch es gibt einen tragischen Helden: Ken Miles. Als es in den letzten Stunden des Rennens evident wird, dass Ford gewinnen wird, kommt von Henry Ford II die Order, die zwei führenden GT40 sollten gleichzeitig die Ziellinie überqueren – ein Publicity-Stunt sondergleichen. Obwohl Ken Miles dagegen ist, macht er dennoch artig mit.
Doch damit konfrontiert man die Rennveranstalter mit einem Problem: Die Statuten sehen kein Patt vor, weshalb in so einem Fall die Regel gilt, dass jenes Fahrzeug gewinnt, das die längste Strecke zurückgelegt hat. Das Auto der beiden jungen Neuseeländer Bruce McLaren und Chris Amon war 20 Meter hinter dem von Ken Miles und Denny Hulme gestartet – und damit Sieger.
Eine Enttäuschung sondergleichen für Miles, der so massgeblich am Erfolg des Autos beteiligt gewesen war. Er hatte zuvor noch Daytona und Sebring gewonnen. Mit Le Mans hätte er als Erster den Langstreckenrennen-Hattrick geschafft. Tragischerweise war Le Mans 1966 sein letztes Rennen. Zwei Monate später verunglückte er tödlich während einer Testfahrt in der neusten GT40-Version auf der Rennstrecke von Riverside in Südkalifornien.