Wie schnell man mit dem Auto durch die Stadt fahren darf, ist eine Debatte, die emotional geführt wird. Die Befürworter von Tempo 30 werben mit «weniger Lärm, mehr Sicherheit, mehr Platz». Doch die Gegner sehen ihre individuelle Freiheit bedroht.
Für Zündstoff sorgt deshalb die neuste Forderung der Städtekonferenz Mobilität (SKM) in ihrem Positionspapier. Sie will Tempo 50 zur Ausnahme und Tempo 30 zur Norm zu machen. «Wir möchten den herrschenden Grundsatz punkto Geschwindigkeit in der Stadt umkehren, da Tempo 30 viele Vorteile bringt für mehr Verkehrssicherheit, Lärmschutz und Lebensqualität», sagt SKM-Präsident und Luzerner Grüne-Stadtrat Adrian Borgula zu watson.
Seit diesem Jahr können Tempo-30-Zonen auf «nicht verkehrsorientierten Strassen» ohne Gutachten eingerichtet werden. Doch die Massnahmen des Bundesrates seien nicht ausreichend, findet Borgula. Dies, weil die Hauptverkehrsachsen durch die Änderung nicht betroffen seien. «Wir möchten dieses System umkehren. Generell Tempo 30 innerorts ohne Gutachten. Wenn es dann die Verhältnisse zulassen, können gewisse Strassen Tempo 50 bleiben», sagt der SKM-Präsident und Grüne-Politiker. Dies solle jedoch eher eine Ausnahme bleiben.
Adrian Borgula rechnet mit einem sehr hohen Potenzial an Strassen, bei denen man die Geschwindigkeit noch drosseln müsste. Er nennt ein Beispiel aus «seiner» Stadt: «Wir haben in Luzern sechs Gesuche für Tempo-Strecken eingereicht. Dies sind nur die Abschnitte mit höchster Priorität. Eines wurde bisher teilweise bewilligt, die anderen sind teilweise Monaten oder seit zwei Jahren hängig.» Um diese schneller zu realisieren, würde eine Umkehr des Systems helfen.
Diese Forderung begrüsst GLP-Nationalrätin Katja Christ aus Basel-Stadt, wie sie auf Anfrage sagt: «Es gibt sicher noch Potenzial an Tempo-30-Zonen in den Städten. Eine Umkehrung des Systems führt jedoch nicht per se zu Änderungen der aktuellen Geschwindigkeitszonen.»
Doch es führe dazu, dass man künftig Tempo-50-Zonen explizit begründen müsse, wenn diese sinnvoll seien. Eine Möglichkeit sehe sie in Strassen, die für den Durchgangsverkehr benötigt würden. «Aber nicht mehr», sagt Christ.
Die GLP-Nationalrätin findet, Tempo-30 in der Stadt habe viele Vorteile – doch nicht generell auf allen Strassen. «Navis oder Karten-Apps empfehlen jeweils die streckenmässig kürzeste Route, die wohl grossteils auch durch Quartierstrassen führen würde. Das ist nicht zielführend und kann nicht in unserem Sinne sein», sagt Christ. Für sie sei es wichtig, dass man genau definiert, wo es welche Tempobeschränkung benötige.
Das ist in etwa auch der einzige Punkt, bei dem SVP-Nationalrat Walter Wobmann den anderen beiden Politikern zustimmen kann. Wobmann ist Präsident des Verbands zur Föderation der Motorradfahrer der Schweiz (FMS). Gegenüber watson sagt er: «Wenn aus Sicherheitsgründen eine Tempo-30-Zone nötig ist, weil dort beispielsweise viele Kinder sind oder ein Spital in der Nähe ist, dann braucht es das. Bereits heute kann man in diesen Fällen vereinfacht die Geschwindigkeitsbegrenzung einführen.» Aber: «Es kann nicht sein, dass Tempo 30 zur neuen Norm erklärt werden soll und das auch noch auf die Hauptstrassen auszuweiten.»
Für Wobmann ist klar, dass es den Befürwortern nicht um «weniger Lärm oder mehr Sicherheit» gehe. «Es geht bei solchen Forderungen darum, den motorisierten Individualverkehr aus den Städten zu drängen. Dann schieben sie den Lärm als Argument vor, obwohl die Fahrzeuge immer leiser werden, auch dank Elektroautos», erklärt der Nationalrat. Dieses Signal sei schon länger in den Städten spürbar durch den Abbau von Parkplätzen und den Rückbau von Fahrspuren, um Velowege auszubauen. Dagegen werde er sich mit den Verbänden vehement wehren.
Der SVP-Politiker nennt auch ein anderes Argument gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung: «Wenn Fahrzeuge langsamer fahren müssen, sind sie länger auf der Strasse unterwegs und die Menschen machen auch wieder mehr Umwege, um ans Ziel zu kommen – was der Umwelt schadet. Die Forderungen sind also umweltmässig völliger Stumpfsinn.»
Darüber staunt der Luzerner Grüne-Stadtrat und SKM-Präsidenten Adrian Borgula. «Diese Behauptung ist natürlich nicht haltbar», sagt er. Wenn mehr Tempo 30 gelte, dann würde man «gleichmässiger fahren können, was auch weniger Treibstoff verbrauche». Zudem hänge der Verbrauch und damit die Umweltbelastung auch hauptsächlich vom individuellen Fahrverhalten ab, ob man etwa hochtourig und ruckartig fahre oder nicht. Borgula sagt: «Ich bin auch immer kritisch, wenn die SVP mit Umweltschutz argumentiert. Denn das grösste Potenzial liegt in der Umweltpolitik gerade darin, Fahrten zu vermeiden, auf den öffentlichen Verkehr zu verlegen oder sich zu Fuss oder mit dem Velo fortzubewegen – doch darum geht es nicht.»
Abgesehen davon gewinnt man mit Tempo 50 in einer Stadt kaum Zeit, da die nächste Kreuzung nur wenige Meter entfernt ist. Das wird jeweils beschleunigt und dann wieder abgebremst. Völlig unsinnig.